Название: Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht
Автор: Stefan Storr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schwerpunkte Klausurenkurs
isbn: 9783811469044
isbn:
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L ist eine nach englischem Recht als private Kapitalgesellschaft gegründete Private Limited Company mit Hauptsitz in England und als solche seit 2013 ordnungsgemäß nach englischem Recht in das Register of Companies eingetragen. L hat 2016 eine Produktionsanlage für englisches Weingummi in Kaiserslautern errichtet und betreibt von dort aus einen Internet-Versandhandel nach ganz Kontinentaleuropa. Diese wurde als Zweigniederlassung ordnungsgemäß in das deutsche Handelsregister eingetragen und vom Finanzamt zur Gewerbesteuer veranlagt. Da den Kunden angesichts der Finanzmarktkrise der Appetit auf Weingummi vergangen ist, beträgt der Jahresumsatz 2016 allerdings nur 682,52 €.
Aufgabe 1:
Mit Schreiben vom 17.2.2017 begrüßt die örtlich zuständige IHK Pfalz in Ludwigshafen die L als neues Mitglied. L ist überrascht und erkundigt sich telefonisch nach den Konsequenzen. Ihr wird mitgeteilt, dass sie nicht nur nach § 2 IHKG automatisch Mitglied der IHK geworden sei, sondern auch gem. § 3 IHKG zu Kammerbeiträgen herangezogen werden müsse. Ein entsprechender Beitragsbescheid auf der Grundlage der Beitragsordnung sowie der von der Vollversammlung jährlich beschlossenen Wirtschaftssatzung vom 18.11.2014 werde nach endgültiger rechtlicher Prüfung noch folgen. Eine Beitragsbefreiung nach § 3 Abs. 2 IHKG komme trotz der geringen Einnahmen jedenfalls nicht in Betracht, da L ins Handelsregister eingetragen sei. Allerdings werde angesichts des geringen Umsatzes wohl nur der in der Beitragsordnung vorgesehene Mindestbeitrag von 50 € pro Jahr fällig. L sieht aber schon in der Pflichtmitgliedschaft einen unzulässigen Eingriff in ihre grundgesetzlich verbürgte Berufs- und Vereinigungsfreiheit sowie einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten des AEUV. Erst recht diskriminiere sie die Heranziehung zu Kammerbeiträgen, vor allem der Umstand, dass eine Befreiung, anders als bei nicht im Handels- oder Genossenschaftsregister eingetragenen IHK-Zugehörigen, deren Gewerbeertrag oder Gewinn aus Gewerbebetrieb 5.200 € nicht übersteige, nicht in Betracht käme. Auch die Privilegierung als Existenzgründer werde ihr aus denselben Gründen versagt.
Wie ist die Rechtslage? Europäisches Sekundärrecht ist nicht zu prüfen.
Aufgabe 2:
Größer wird die Überraschung als L in den pfälzischen Tageszeitungen, auf Plakaten und in bundesweit ausgestrahlten Fernsehspots eine groß angelegte Kampagne der IHK Pfalz bemerkt, in der unter dem Motto „Buy Pälzisch!“ dazu aufgerufen wird, zur Stärkung der heimischen Wirtschaft nur noch regionale Produkte mit spezifischem Bezug zur Pfalz zu kaufen. L befürchtet, dass der Umsatz ihrer zwar in der Region produzierten, aber eben nicht typisch regionalen Weingummis dadurch weiter zurückgeht. Erst recht hat sie keine Lust, diese Kampagne auch noch mit den Kammerbeiträgen zu finanzieren. Dies verstoße nicht nur gegen die Grundfreiheiten, sondern auch gegen nationales Verfassungsrecht.
L begehrt daher beim Präsidenten der IHK Akteneinsicht, um sich ein genaues Bild von der Finanzierung der Kampagne machen zu können und fordert außerdem ein unverzügliches Einstellen der Werbemaßnahmen. Der Präsident der IHK lehnt beide Ansprüche ab. Mit der Kampagne wolle man die regionale Wirtschaft fördern, was ohne weiteres zu den Aufgaben einer Handelskammer gehöre. Ein Akteneinsichtsrecht bestehe schon deswegen nicht, weil es sich weder aus dem IHKG noch der Kammersatzung ergebe; die Kontrolle des Präsidiums obliege vielmehr der Vollversammlung insgesamt, die aber die Kampagne mit großer Mehrheit gebilligt habe. Weder IHKG noch Kammersatzung sähen ein ausdrückliches Akteneinsichtsrecht vor. Selbstverständlich habe man trotzdem die Vollversammlung ausreichend informiert. L sei zwar seit kurzem gewähltes Mitglied der Vollversammlung, könne aber gerade keine Rechte des Gesamtorgans geltend machen. Auch das Demokratieprinzip verlange kein ausdrückliches Einsichtsrecht des einzelnen Mitglieds.
Daraufhin erhebt L vor dem örtlich zuständigen VG Klage auf Einstellung der Werbekampagne und Akteneinsicht.
Wie wird das VG entscheiden?
Bearbeitungsvermerk:
Gehen Sie bei der Bearbeitung davon aus, dass das einschlägige IFG im vorliegenden Fall keinen Auskunftsanspruch gewährt.
Fall 3 Buy Pälzisch! – Probleme mit der IHK › Vorüberlegungen
Vorüberlegungen
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Der Fall beleuchtet einen Dauerbrenner der verfassungsrechtlichen Diskussion näher, die „Selbstverwaltung der Wirtschaft“ durch die Kammern als öffentlich-rechtlich organisierte, berufsständische Einrichtungen[1]. Das Kammerrecht wird zum wirtschaftsrechtlichen Anwendungsbeispiel vieler aus dem Pflichtfachbereich vertrauter Grundprobleme. Gerade weil der Fall in hohem Maße Transferleistungen verlangt, ist er insgesamt als schwierig einzustufen.
Charakteristikum des Kammerrechts ist die gesetzlich angeordnete Pflichtmitgliedschaft[2]. Zu messen ist diese nicht nur an den Grundrechten (im Ergebnis nach hM Art. 2 Abs. 1 GG), sondern für Angehörige aus anderen Mitgliedstaaten auch an den Grundfreiheiten[3]. Damit befasst sich der Teil 1, bei dem deswegen erneut die Grundrechtsberechtigung mit Auslandsbezug relevant wird (insb zu Art. 19 Abs. 3 GG schon Fall 2; dort auch zur Einkleidung als Verfassungsbeschwerde und deren Verzahnung mit der Prüfung von Unionsrecht). Während die Zwangsmitgliedschaft nach bisheriger Rechtsprechung mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist, stellt sich die Lage nicht nur hinsichtlich der Grundfreiheiten komplexer dar, als die Rechtsprechung suggeriert. In seiner jüngst ergangenen Entscheidung hat das BVerwG die Pflichtmitgliedschaft in der IHK bestätigt[4].
Gerade weil die Zwangsmitgliedschaft als solche nicht in Frage gestellt wird, verlagern sich die Streitigkeiten vom Grundsätzlichen auf die Einzelfragen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der IHK: Mitglieder wenden sich gegen die Kammerbeiträge, Dritte gegen die (wirtschaftliche) Betätigung[5], vor allem aber suchen auch enttäuschte Mitglieder um Rechtsschutz nach. Mit letztgenannter Konstellation befasst sich der zweite Teil. Außer den eher lückenhaften Maßstäben des IHKG wird auch hier das Verfassungs-, aber zunehmend auch das Unionsrecht relevant. Die IHK ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und als solche an Grundfreiheiten und Grundrechte gebunden, wie das Beispiel einer von der IHK organisierten Werbekampagne illustriert[6]. Während Dritte bei Empfehlungen oder Werbekampagnen einen Folgenbeseitigungs- und Unterlassungsanspruch nur dann haben, wenn sie in ihren Rechten beeinträchtigt werden[7], steht Kammermitgliedern nach der Rechtsprechung ein mitgliedschaftlicher Unterlassungsanspruch bei jeder Aufgabenüberschreitung zu, ohne dass sie eine Rechtsverletzung durch die konkrete Maßnahme geltend machen müssten[8]. Denkt man diesen Ansatz konsequent zu Ende, kann mit diesem Anspruch auch die Verletzung anderer Grundrechte und vor allem auch der Grundfreiheiten geltend gemacht werden, die ja ebenfalls (insbesondere in Verbindung mit dem Gesetzesvorbehalt) für die Kammer kompetenzbegrenzende Wirkung entfalten. Das Verhältnis dieses „kammerrechtlichen“ Unterlassungsanspruches zum allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch ist nicht abschließend geklärt (s. Rn 81).
Außerdem bestehen im Innenverhältnis organschaftliche Mitgliedschaftsrechte, die mit dem der Kommunalverfassungsstreitigkeit vergleichbaren Organstreitverfahren geltend gemacht werden können. Die Reichweite solcher Ansprüche ist allerdings umstritten und ihre Existenz wurde vom BVerwG abgelehnt[9]. Richtigerweise sind derartige Ansprüche auf Partizipation allerdings notwendiges Korrelat zur Pflichtmitgliedschaft[10].
Anmerkungen
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