Der Bienenleser. José Luis de Juan
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Bienenleser - José Luis de Juan страница 4

Название: Der Bienenleser

Автор: José Luis de Juan

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Alltagshelden

isbn: 9783949558023

isbn:

СКАЧАТЬ hatte, bevor er die Insel verließ.

      Der Imker spricht wenig. Seine Frau klagt, man müsse ihm jedes Wort aus der Nase ziehen. In seiner Jugend dagegen führte er angeregte Gespräche mit seinem Lehrer, und einige der Floskeln von damals sind bei ihm hängen geblieben, wie auch ein gewisser Tonfall zwischen persuasorisch und mahnend. Bei seinen Ausflügen auf den Monte Capanne hatte er Gefallen daran gefunden, seine Lieblingsverse auswendig zu lernen und sie laut zu deklamieren. Heute spricht er nur mehr noch das Nötigste und beendet seine Sätze nur selten. Es gibt da einen Punkt, an dem er ihrer müde wird, als merkte er mit einem Mal, dass sie keinen Sinn ergeben. Gelegentlich hat seine Stimme dann einen hohlen Nachhall und klingt wie das Geplapper eines Bauchredners.

      Eines Bauchredners, der um die geheime Beziehung zwischen Bonaparte und den Bienen weiß, seit ihm einmal die Chronik der Schlacht bei Marengo aus der Feder eines unbekannten Dragonerhauptmanns in die Hände gefallen ist. Darin steht, dass Napoleon seine Generäle überraschte, als er einen am Vorabend befohlenen Angriff wieder abblasen ließ, nachdem er im ersten Morgenlicht einen riesigen, vom Ast einer Eiche hängenden Bienenschwarm eingehend beobachtet hatte.

       5

      Vor drei Monaten ist der Korse auf Elba eingetroffen. Noch bevor er an Land ging, wurde auf dem höchsten Punkt der Festungsanlage die Fahne gehisst, die er auf der Überfahrt von Marseille her selbst entworfen hatte. Ein roter Streifen durchschneidet diagonal von links oben den weißen Grund. Darauf sind drei goldene Bienen gestickt.

      Seit der Ankündigung der baldigen Ankunft des Kaisers ist die Insel in Aufruhr. Die Elbaner sind überwältigt, dass der Mann, der das Schicksal ganz Europas für eine so lange Zeit lenkte, es hingenommen hat, allein über ihre kleinen Leben zu regieren. Anfangs glaubten sie, Bonaparte würde sich beschämt in dieser notdürftigen Unterkunft aus ehemaligen Mühlen, Scheunen und kalkweißen Wänden verstecken. Sie dachten, er würde ihnen hochmütig den Rücken kehren, die Einfachheit ihrer Insel verachten und die läppische Regierung Elbas einem Statthalter überlassen. Sie malten sich aus, wie die Isolation seinen despotischen Charakter noch verstärkte und er schließlich, falls er nicht an seinem Zorn zugrunde ginge, zu einem wildernden Schatten werden würde, der im letzten Sonnenschein über die Bergrücken der Insel galoppierte.

      Keine dieser Erwartungen bestätigte sich. Weit gefehlt: Bonaparte ließ die Angelegenheiten seines neuen Herrschaftsgebiets keineswegs außer Acht, sondern nahm sich ihrer unverzüglich an. Am vierten Mai war er um sechs Uhr nachmittags an Land gegangen, und bereits am folgenden Tag, einem Donnerstag, stieg er, nachdem er die Obrigkeiten und Notabeln empfangen hatte, auf sein Pferd, ritt die Befestigungsanlagen von Porto Ferraio ab und kehrte erst nach Sonnenuntergang zum Essen zurück. Am sechsten Mai stand er sehr früh auf und inspizierte zu Fuß Festungen und Lager. Am siebten fuhr er mit dem Boot durch den Hafen und besuchte die Bergwerke. Am achten Mai, kaum tagte es, war er schon auf dem Weg zu den wichtigsten zivilen Gebäuden und Straßen im Zentrum der Stadt. Und so ging es jeden Tag weiter. Er versetzte alle in Erstaunen – selbst seine treuesten Gefolgsleute, die ihn in die Verbannung begleitet hatten und womöglich auf eine baldige Rückkehr zum gewohnten prunkvollen Leben hofften –, und konzentrierte sich mit derselben Hingabe und Genauigkeit auf die Herrschaft über die Insel wie zu den Zeiten, als er noch sechzig Millionen Untertanen gehabt hatte.

      Nun breitet sich die napoleonische Bürokratie auf Elba aus. Der Kaiser hat für seine Garde aus siebenhundert Mann, mit siebenundzwanzig Pferden sowie Maultieren und sechzehn Wagen, ein Büro für militärische Angelegenheiten und einen Kriegsetat eingerichtet, den er ebenso gewissenhaft kontrolliert wie die Bücher der Grande Armée. Und in den zivilen Fragen zeigt er sich nicht weniger gewissenhaft: Anstelle gigantischer Bauvorhaben, wie er sie früher in Auftrag gegeben hat, kümmert er sich nun darum, dass die Brücken ausgebessert und die Straßen regelmäßig gereinigt werden. Weil er nun über keine herrschaftlichen Schlösser mit riesigen Grünanlagen und ausgeklügelten Gärten mehr verfügt, tröstet er sich mit der Ernennung von Wachen, die die Landgüter vor Schäden durch grasende Ziegen bewahren sollen. Da es in seiner Residenz, der Villa dei Mulini – vom kaiserlichen Gefolge Palazzina genannt – an Mobiliar mangelt, hat er Sessel und Sofas zu vernünftigen Preisen ausgewählt und schickt um Einkäufe im Wert von eintausend Francs nach Pisa.

      An einem Nachmittag seiner ersten Woche auf der Insel ruft Bonaparte die Amtsträger von Elba zusammen. Er verlangt die Anwesenheit des Unterpräfekten, des Marinekommissars, des Grundbuchführers, des Kriegskommissars, des Steuereintreibers und weiterer Personen, so heißt es in dem Einladungsschreiben, die ihm nützliche Auskünfte über den Verwaltungsstand auf der Insel liefern können, vom Zoll bis zu den Gesundheits- und Seebehörden.

      Alle nehmen um den langgezogenen Tisch aus Kastanienholz Platz, nach einer knappen Verbeugung vor dem Mann, der mit finsterem, durchdringendem Blick den Vorsitz hat und der durch die geschlossenen Fenster fallenden Nachmittagssonne den Rücken zukehrt. Es ist ein paar Tage her, dass der Korse unter Aufsicht des britischen Kommissars Oberst Neil Campbell, welcher ihn mit seiner Fregatte zur Insel eskortierte, Elba in Besitz genommen hat.

      — Herr Gouverneur, hören wir Ihren Bericht über den allgemeinen Zustand der Insel.

      Ein hagerer, gichtkrummer Mann rückt sich leicht zitternd die Brille zurecht und hebt mit einer umständlichen Schilderung seiner bescheidenen Erfolge im Amt und der seiner Meinung nach anstehenden Aufgaben an.

      — Das genügt, fällt Bonaparte ihm ins Wort, als der Gouverneur sich in endlose Lobhudeleien verstrickt.

      Als Nächstes spricht der Steuereintreiber:

      — Mit Verlaub, Eure Majestät, das laufende Jahr entwickelt sich schlecht. Eines der schlechtesten seit Jahrzehnten. Wir hatten schwere Unwetter, Seuchen und schreckliche Unfälle in den Minen.

      — Minen?

      Bonaparte starrt ihn finster an, er ist in Gedanken ganz woanders. Der Steuereintreiber hält seinem Blick mit gespielter Ergebenheit stand.

      — Ach so, ja, die Eisenerzminen. Sprecht weiter.

      — Ein Hagelsturm hat die Märzernte vernichtet und Schäden im empfindlichsten Stadium des Anbaus verursacht und so auch die ersten Knospen der Obstbäume zerschlagen. Anschließend sorgten sechs Tage Regen für Überschwemmungen, gefolgt von einer noch nie dagewesenen Dürre seit nunmehr anderthalb Monaten. Wenn vor dem Sommer kein Regen fällt, wird es kaum Hülsenfrüchte geben und auch keine Kartoffeln, dann müssen wir Gemüse und Obst aus Neapel und Weizen aus Caltanissetta holen.

      Ein unzufriedenes Murmeln geht um den Tisch.

      — Und Honig? Wird es Honig geben?

      Bonaparte wirkt besorgt. Der Steuereintreiber zögert. Er blickt zum Unterpräfekten, aber der Grundbuchführer ergreift das Wort.

      — Ich fürchte, Eure Majestät, dass die Imkereiwirtschaft auf Elba in diesem Jahr einen herben Rückschlag erfahren wird. Es ist Frühling, und man braucht sich nur die Felder anzusehen, wie öde sie um diese Zeit daliegen …

      — Und die Johannisbrotbäume haben noch nicht geblüht, ertönt eine zarte Stimme.

      — Kommt darauf an, fährt ein stattlicher Mann in Marineuniform und mit breitem Schnurrbart dazwischen, als wäre das Stimmlein gar nicht zu hören gewesen.

      — Worauf genau kommt es an, Herr Marinekommissar?

      — Auf die Winde, Eure Majestät. Wenn die Insel in den nächsten zwei Monaten vom Scirocco verschont bleibt, werden uns die feuchten Winde aus den Alpen und den Sumpfgebieten von Venedig Frische und СКАЧАТЬ