Klingen, um in sich zu wohnen 1. Udo Baer
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Название: Klingen, um in sich zu wohnen 1

Автор: Udo Baer

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783934933453

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СКАЧАТЬ dass sie für eine Schrecksekunde die Luft anhalten und nicht mehr weiterspielen. Die Bratsche findet als erste ihre Stimme wieder, klingt wie zu Anfang, aber angestrengter, Glockenspiel und Rassel sind kaum noch zu hören, nur das Horn ‘trötet’ scheinbar unbekümmert weiter, klingt aber auch leiser und weniger lebhaft, macht sich ‘dünn’.’“ (Hecker 2003, S.38f) So geht es weiter und weiter im Konzert und die Klientin stellt fest: „‚Solch eine ‘Orchesteraufstellung’ bringt die Dynamik voll ans Tageslicht.’“ (a.a.O., S.40)

      Mit Instrumenten lassen sich also Züge der eigenen Persönlichkeit anschaulich beschreiben. Die Nutzung von Instrumenten als Metapher reizt zum Vergleich. So wird die Familie – wie oben – zum Orchester. Das Instrument, das die eigene Person verkörpert, kann in Beziehung zu anderen gesetzt werden: „Wenn ich mit mehreren anderen zusammen bin, zum Beispiel auf einer Geburtstagsparty, dann warte ich ewig auf meinen Einsatz. Ich habe im Schulorchester früher immer mitgefiebert, ob die Orchesterpauke ihren Einsatz findet. Auch ich warte und fiebere – und dann bin ich so gespannt, dass ich alles falsch mache. Zumindest kommt es mir so vor. Falscher Ton an der falschen Stelle. Und allen fällt es auf – wie die Orchesterpauke.“

      Wenn wir danach fragen, gelingt es Menschen leicht, sich mit Instrumenten zu vergleichen. Wir fragen KlientInnen zum Beispiel:

       „Wenn Sie ein Instrument wären, welches wären Sie?“

       „Und welches Instrument wäre Ihr Mann/Ihre Frau, Ihr Kind, Ihre Mutter, Ihr Vater, Ihre Schwester, Ihr Bruder, Ihr Arbeitskollege, Ihr Chef …?“

       „Wenn Sie Teil eines Orchesters oder einer Band wären, welches Instrument wären Sie? Oder: Welches Instrument würden Sie spielen?“

      Auch hier sind die meisten um eine Antwort nicht verlegen. Da ist einer die Violine, die nur mit anderen zusammen hörbar ist, und eine andere die Leadgitarre, während eine dritte Person sich mit dem Rhythmusinstrument im Hintergrund identifiziert. Manchmal hören wir auch überraschende Antworten, die den Kreis der Instrumente bzw. der MusikerInnen verlassen, zum Beispiel:

       „Ich bin Zuhörer, immer nur Zuhörer.“

       „Dirigent, ganz klar.“

       „Ich würde alles aufbauen und wieder abbauen und wäre während des Konzerts in der Kantine, Brötchen schmieren.“

      Jedes Musikstück kann mit musikalischen Parametern wie Rhythmus, Dynamik, Tonart usw. beschrieben werden, den in der klassischen Musik entwickelten Charakteristika und Rahmen des Musizierens. Auch diese eignen sich teilweise zur Identifikation.

      Zu ihnen zählen der Rhythmus bzw. der Takt. Eine Klientin beschrieb ihr Leben als 3/4 -Takt: „Ich bin wie der Wiener Walzer, dum-ta-ta, dum-ta-ta … In meinem Leben ist nichts geradeaus. Jeder Schritt ist eine Drehung. Irgendwie staune ich, dass ich trotzdem vorwärts komme.“ Bitten wir KlientInnen, sich bzw. ihr Leben als einen Rhythmus darzustellen, sind diese danach oft überrascht über die Deutlichkeit des Ergebnisses. Verknüpfungen mit Melodien oder Tonarten sind uns kaum begegnet, häufiger aber mit der Dynamik, also im engeren Sinne mit der Lautstärke, die bei klassischen Stücken mit Bezeichnungen wie piano, forte usw. angegeben wird. Auch Menschen beschreiben sich (und andere) als laut oder leise und meinen damit zumeist mehr als die Lautstärke ihrer Äußerungen. In der Musik finden sich über den Noten häufig Bezeichnungen des Tempos, in dem es gespielt werden soll. Auch hier weisen diese Bezeichnungen oft über das Tempo hinaus und werden zu Charakterisierungen der Musik. In diesem Sinne können sie auch als Bezeichnungen genutzt werden, mit denen Menschen sich selbst charakterisieren. Solche Bezeichnungen, die wir hier für TherapeutInnen anführen, die in der Musik nicht so sehr bewandert sind, sind zum Beispiel:

      Largo = breit, sehr ruhig

      Lento = langsam

      Grave = ernst, schwer

      Adagio = ruhig

      Andante = gehend

      Allegro = schnell

      Vivace = lebhaft

      Presto = sehr schnell

      Man sieht, dass Begriffe wie „ruhig“ oder „ernst, schwer“ sich nicht nur im engen Sinn auf das Tempo beziehen, sondern die Dynamik eines Musikstückes beschreiben. Dies gilt erst recht, wenn noch ergänzende Bezeichnungen hinzu kommen wie „agitao = aufgeregt, unruhig, nervös“ oder „meno mosso = weniger lebhaft“.

      Mit solchen Qualitäten der Musik können sich viele KlientInnen (und selbstverständlich andere Menschen) identifizieren. In den schon erwähnten Kapiteln 3 und 5 werden wir genauer darauf eingehen, welche Bedeutung einige dieser Bezeichnungen als Erregungsverläufe oder Leibbewegungen für Diagnostik und Therapie haben. Aber nicht nur im therapeutischen Kontext begegnen wir den Verknüpfungen solcher musikalischer Bezeichnungen mit Selbstcharakterisierungen. Während eines Spanienurlaubs sahen wir eine junge Frau, die ein T-Shirt mit der Aufschrift trug: „Adagio – ma non troppo“ (Ruhig – aber nicht zu sehr).

       2

       Die musikalische Biografie

      Wenn ein Mensch musiziert, fängt er nie am Nullpunkt an – immer schon sind musikalische Erfahrungen vorhanden. Wenn ein Mensch ein Lied hört, ist dies nie die erste Musik für seine Ohren – immer gab es schon vorher Klänge. Jedes Tönen und jedes Musikhören hat eine Geschichte: Schon unmittelbar nach der Geburt geben die Neugeborenen ihre ersten Töne von sich, schon im Mutterleib hören die Menschen die Herztöne der Mutter und viele andere Geräusche des Mutterleibes und der Umgebung. Und in der späteren Kindheit und Jugend wachsen die Erfahrungen mit Klängen, mit eigenen und fremden, verbalen und nonverbalen. Es entwickelt sich ein Ensemble musikalischer (Vor-) Erfahrungen, das bei jeder Person einzigartig ist. Wir nennen es musikalische Biografie.

      In der therapeutischen Praxis und im Alltagsgeschehen begegnet uns diese Geschichte, die musikalische Biografie, manchmal unverhofft und überraschend. Da ist der Klang der Stimme am Nachbartisch, der in uns heftige Reaktionen hervorruft: „Wenn ich diese Stimme höre, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.“ Da hört das Ehepaar auf der Urlaubsfahrt mitten im Palaver mit den Kindern auf dem Rücksitz plötzlich im Radio ein Lied – „Unser Lied!“ – und schon ändert sich die Atmosphäre. Da findet die Frau beim Umsortieren der CDs die Aufnahmen von Joan Armatrading, deren Stücke in den ersten Wochen nach ihrer Trennung vom Ehemann ununterbrochen liefen. Oder da hört der Vater, als er sein Kind im Kindergarten abholt, das Kinderlied, das sein früh verstorbener Vater immer mit ihm gesungen hat, und wird überwältigt von Trauer. Dass musikalische Biografie in jedem Menschen existiert und dass sie eine Wirkung im Alltag haben kann bzw. hat, ist keine Erfindung der MusiktherapeutInnen, sondern Lebenserfahrung. MusiktherapeutInnen können sich diese Erfahrung zu Nutze machen.

      Für MusiktherapeutInnen ist zuerst einmal wichtig zu wissen, dass sie selbst und ihre KlientInnen eine musikalische Biografie haben. Daraus können sie die Sicherheit und das Selbstbewusstsein ziehen, dass Musiktherapie bei ihnen und bei anderen einen Boden hat, etwas, woran sie anknüpfen können. Die eigene musikalische Biografie zu kennen und die der KlientInnen kennen zu lernen, ermöglicht Zugänge zu Mustern und Zugänge zu Wegen der Veränderung (s. a. Frohne-Hagemann, 2001, S.175ff). Einige der Möglichkeiten und Aspekte, mit denen musiktherapeutisch auf die musikalische СКАЧАТЬ