Название: Existenzielle Psychotherapie
Автор: Irvin D. Yalom
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: EHP-Edition Humanistische Psychologie
isbn: 9783897976061
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Ich bin überzeugt davon, dass die große Mehrheit der erfahrenen Therapeuten, ganz gleich, ob sie einer anderen ideologischen Ausrichtung anhängen, viele der existenziellen Einsichten verwenden, die ich beschreiben werde. Die Mehrheit der Therapeuten ist sich beispielsweise der Tatsache bewusst, dass das Verständnis von unserer Endlichkeit oft eine bedeutende innere Verschiebung der Perspektive auslösen kann; dass es die Beziehung ist, die heilt; dass die Patienten von Entscheidungssituationen gequält werden; dass ein Therapeut Katalysator für den »Willen« des Patienten zum Handeln ist; und ebenso, dass die Mehrzahl der Patienten an Sinnverlust in ihrem Leben leidet.
Aber der existenzielle Ansatz ist mehr als ein subtiler Akzent oder eine implizite Perspektive, die die Therapeuten unwissentlich verwenden. Während meiner Vorlesungen für Therapeuten über verschiedene Themen fragte ich immer wieder: »Wer von Ihnen betrachtet sich als existenziell ausgerichtet?« Ein hoher Anteil der Zuhörerschaft, gewöhnlich mehr als fünfzig Prozent, antwortete zustimmend. Aber wenn diese Therapeuten gefragt wurden, »Was ist der existenzielle Ansatz?«, fanden sie es schwierig zu antworten. Die Sprache, die von Therapeuten verwendet wird, um irgendeinen therapeutischen Ansatz zu beschreiben, war nie berühmt für ihre Griffigkeit oder schlichte Klarheit; aber keine von all den therapeutischen Ausdrucksweisen kann mit der existenziellen in ihrer Vagheit und Verwirrung konkurrieren. Die Therapeuten assoziieren den existenziellen Ansatz mit solchen in sich unpräzisen und offensichtlich beziehungslosen Begriffen wie »Authentizität«, »Begegnung«, »Verantwortung«, »Wahl«, »humanistisch«, »Selbstaktualisierung«, »sich zentrieren«, »im Sinne Sartres« und »im Sinne Heideggers«; und viele Experten für geistige Gesundheit haben ihn lange Zeit für eine verworrene, »sanfte«, irrationale und romantische Orientierung gehalten, die, statt ein »Ansatz« zu sein, einen Freibrief für Improvisation gibt, damit undisziplinierte und ungenaue Therapeuten »ihr eigenes Ding machen können«. Ich hoffe, zeigen zu können, dass solche Schlussfolgerungen ungerechtfertigt sind, dass der existenzielle Ansatz ein wertvolles, effektives psychotherapeutisches Paradigma ist, das ebenso rational, in sich schlüssig und systematisch ist wie irgendein anderes.
Existenzielle Therapie: Eine dynamische Psychotherapie
Existenzielle Psychotherapie ist eine Form von dynamischer Psychotherapie. »Dynamik« ist ein Begriff, der im Bereich psychischer Gesundheit häufig verwendet wird – wie in »Psychodynamik«; und wenn man eines der grundlegenden Merkmale des existenziellen Ansatzes verstehen will, ist es notwendig, Klarheit über die Bedeutung dynamischer Therapie zu gewinnen. »Dynamisch« hat sowohl allgemeinsprachliche als auch therapeutische Bedeutungen. Im allgemeinen Verständnis hat »dynamisch« (von griech. dunasthi = Stärke, Kraft haben) die Konnotation »Energie«, »Bewegung« (ein »dynamischer« Fußballspieler oder Politiker, »Dynamo«, »Dynamit«); aber das ist nicht seine therapeutische Bedeutung, denn wenn sie es wäre, welcher Therapeut würde dann zugestehen, dass er undynamisch – das heißt langsam, träge, stagnierend, unbeweglich ist? Nein, der Begriff findet eine spezifisch technische Verwendung, die das Konzept von »Kraft« beinhaltet. Freuds wesentlicher Beitrag zum Verständnis des Menschen ist sein dynamisches Modell psychischer Funktionsweisen – ein Modell, welches postuliert, dass es Kräfte gibt, die innerhalb des Individuums in Konflikt miteinander stehen, und dass Gedanken, Gefühle und Verhalten, sowohl adaptiver als auch psychopathologischer Art, das Resultat dieser miteinander in Konflikt stehenden Kräfte sind. Darüber hinaus – und das ist wichtig – existieren diese Kräfte auf verschiedenen Ebenen der Bewusstheit; einige von ihnen sind tatsächlich völlig unbewusst.
Die Psychodynamik eines Individuums beinhaltet deshalb die verschiedenen unbewussten und bewussten Kräfte, Motive und Befürchtungen, die in ihr oder ihm wirksam sind. Die dynamischen Psychotherapien gründen auf diesem dynamischen Modell psychischer Funktionsweisen.
So weit, so gut. Existenzielle Therapie, wie ich sie beschreiben werde, passt bequem in die Kategorie der dynamischen Therapie. Aber wenn wir fragen, Welche Kräfte (und Befürchtungen und Motive) stehen in Konflikt miteinander? Was ist der Inhalt dieses internen bewussten und unbewussten Kampfes? Dies ist der Punkt, an dem sich die dynamische existenzielle Therapie von der Gemeinschaft der anderen dynamischen Therapien löst. Existenzielle Therapie gründet auf einer radikal abweichenden Sichtweise der spezifischen Kräfte, Motive und Befürchtungen, die im Menschen interagieren.
Die präzise Eigenart der tiefsten inneren Konflikte ist niemals leicht zu identifizieren. Der Kliniker, der mit einem gestörten Patienten arbeitet, ist selten in der Lage, den grundlegenden Konflikt in seiner ursprünglichen Form zu untersuchen. Stattdessen beherbergt der Patient eine unendliche Fülle von Besorgnissen: Die ursprünglichen Besorgnisse sind tief verborgen, überkrustet mit vielen Schichten von Repression, Verleugnung, Verschiebung und Symbolisierung. Der klinische Forscher muss sich mit einem klinischen Bild auseinandersetzen, dessen Fäden so vielfältig ineinander verwickelt sind, dass eine Entwirrung schwierig ist. Um die ursprünglichen Konflikte zu erkennen, muss man viele Zugänge wählen: tiefes Nachdenken, Träume, Alpträume, das Aufblitzen tiefer Erfahrungen und Einsichten, psychotische Äußerungen und das Studium von Kindern. Ich werde diese Zugänge zu gegebener Zeit untersuchen, aber vorerst mag eine stilisierte schematische Darstellung hilfreich sein. Ein kurzer Überblick über drei kontrastierende Ansichten vom prototypischen innerpsychischen Konflikt des Individuums – die Freudsche, die Neo-Freudianische und die existenzielle – veranschaulicht in der Gegenüberstellung die existenzielle Sichtweise der Psychodynamik.
Freudsche Psychodynamik
Nach Freud wird das Kind von instinkthaften Kräften beherrscht, die ihm angeboren sind und die sich wie ein Farnwedel während des psychosexuellen Entwicklungszyklus entfalten. Es gibt Konflikte an mehreren Fronten: duale Instinkte (Ich-Instinkte versus libidinöse Instinkte oder in der zweiten Theorie, Eros versus Thanatos) stehen einander gegenüber; die Instinkte kollidieren mit den Anforderungen der Umwelt und später mit denen der internalisierten Umwelt – dem Über-Ich; für das Kind ist es erforderlich, zwischen dem inneren Drang nach unmittelbarer Befriedigung und dem Realitätsprinzip, das ein Verzögern der Befriedigung verlangt, zu vermitteln. Das instinktgetriebene Individuum steht daher im Krieg mit einer Welt, die die Befriedigung von angeborenen aggressiven und sexuellen Bedürfnissen verhindert.
Neo-Freudianische (interpersonale) Psychodynamik
Die Neo-Freudianer – besonders Harry Stack Sullivan, Karen Horney und Erich Fromm – präsentieren eine andere Ansicht vom Grundkonflikt des Individuums. Statt instinktgetrieben und vorprogrammiert zu sein, ist das Kind ein Wesen, welches, abgesehen von angeborenen neutralen Eigenschaften wie Temperament und Aktivitätsniveaus, vollkommen von kulturellen und zwischenmenschlichen Umgebungen geformt wird. Das Grundbedürfnis des Kindes ist Sicherheit – zwischenmenschliche Akzeptanz und Anerkennung –, und die Qualität der Interaktion mit bedeutsamen Erwachsenen, die ihm Sicherheit verschaffen, determiniert seine Charakterstruktur. Obwohl das Kind nicht von Instinkten beherrscht wird, hat es dennoch ein hohes Maß an angeborener Energie, Neugier, einer Unschuld des Körpers, einem ihm innewohnenden Wachstumspotenzial und an einem Wunsch nach dem ausschließlichen Besitz geliebter Erwachsener. Diese Eigenschaften stimmen nicht immer mit den Forderungen der es umgebenden bedeutsamen Erwachsenen überein, und der Grundkonflikt besteht zwischen diesen natürlichen Wachstumsneigungen und dem Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit und Anerkennung. Wenn ein Kind unglücklicherweise Eltern hat, die so sehr in ihren eigenen neurotischen Kämpfen verstrickt sind, dass sie weder Sicherheit geben noch autonomes Wachstum ermutigen können, dann gibt es ernsthafte Konflikte. In solch einem Kampf gibt es immer einen Kompromiss zugunsten der Sicherheit und zuungunsten des Wachstums.
Existenzielle Psychodynamik
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