Название: Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden
Автор: Bernd Schmid
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
Серия: EHP - Handbuch Systemische Professionalität und Beratung
isbn: 9783897975385
isbn:
CG: Das ist schon auch etwas Ungewöhnliches: diese Kombination von Lebens- und Arbeitsform.
BS: Ja, wir achten im Institut drauf, dass Leben und Arbeiten im Zusammenhang bleibt. Wenn jemand z. B. mit uns kooperieren will, dann lade ich ihn zum Gespräch ein. Wir reden erst. Dann nimmt er an unserem Mittagessen teil und kann sehen, wo er ist. Und wir sehen, wer er ist in dieser Runde. Und dies hilft uns, über mögliche Kooperationen zu entscheiden.
CG: Da bist du schon eine Ausnahme. Ich denke, viele Kollegen und Kolleginnen, die ich kenne, die möchten wirklich so eine Trennung haben. Also: »Nach der Arbeit möchte ich keinen Patienten und möglichst auch keine Probleme mehr sehen. Hier bin ich privat«.
BS: Ja klar. Es gibt auch diese déformation professionelle: In der Regel habe auch ich keinen großen Hunger auf Kontakt, weil ich davon eher zu viel habe als zu wenig. Bei privaten Begegnungen wie bei Festen treffe ich auf interessante und wertvolle Menschen, will sie aber meistens nicht näher kennen lernen, weil ich keinen Platz in meiner Seele habe.
CG: Ja, das geht wohl vielen älteren Kollegen so und ich höre von vielen, dass sie eigentlich »psychotherapiemüde« sind.
BS: Ich habe nach 20 Jahren Psychotherapie das Gefühl gehabt, ich habe es durch. Und dann habe ich etwas anderes gemacht.
CG: So ging es mir auch. Wenn ich irgendetwas konnte oder kannte, dann wurde es mir langweilig, dann wollte ich auch nicht mehr dort weitermachen.
Passung
BS: Das ist auch ein Kreuz in unserer Gesellschaft: Wir haben viel zu starre Berufe und institutionelle Funktionsbilder. Daran hängen dann viele Menschen fest, obwohl es sich überlebt hat. Nur für ganz wenige Menschen bleiben ihre Berufe Lebensberufe. Hier wären mehr Beweglichkeit und immer wieder neue Ausrichtung gesünder und kompetenter. Wir beschäftigen uns am ISB intensiv mit diesem sogenannten Passungsthema. Also: Wie passe ich zur Organisation und zur Rolle und wie passen die Institution und Rolle zu mir? Es finden ja Veränderungen auf beiden Seiten statt, sowohl gesellschaftlicher wie persönlicher Art. So können sich ehemals erfüllende Tätigkeiten für den Rolleninhaber erschöpfen oder so verändern, dass sie nicht mehr zur Person passen. Eigentlich gehört zu einer gehobenen Professionalität und zu einer Organisationskultur, dass man immer wieder einen Passungsdialog – wie wir das nennen – durchführt. Das heißt, man schaut, ob Person, Institution, Organisation, Rolle usw. noch zusammenpassen. Und wenn man merkt, es passt bald nicht mehr zusammen, kann man frühzeitig etwas am Rollenportfolio ändern oder man kann die Funktion in der Organisation umgestalten. Und wenn das nicht möglich ist, muss man sich fragen, wie man in einer anderen Organisation zu neuer seelischer Lebendigkeit gelangen kann. Die Erhaltung von Leistungsfähigkeit hat viel mit Lebendigkeit und daher viel mit einem kompetenten Passungsdialog zu tun …
CG: Dann wäre ich vielleicht doch Psychologin geblieben …
BS: … wenn du einfach mehr Möglichkeiten gesehen hättest, als Psychologin in anderen Funktionen und Rollen tätig zu werden?
CG: Als ich zum Beispiel eine Weile zusätzlich Marketingaufgaben hatte, fand ich das super. Ja, ich hätte wohl mehr Gestaltungsfreiraum für meine Ideen gebraucht.
BS: Ja eben, von daher ist es vielleicht weniger die Profession, die nicht deine wäre, sondern es waren die Organisationsfunktionen, die zu eng oder zu unbeweglich blieben.
CG: Ja, das stimmt. Insofern müsste ich in einem »neuen« Leben eher darüber nachdenken, welcher institutionelle und organisatorische Rahmen besser zu meinen Neigungen und Potenzialen passen würde.
BS: Wann bin ich eigentlich schon Psychotherapeut, Berater oder was mir als Identität vorschwebt? Diese Frage treibt einen jungen Menschen durchaus um.
CG: Welche Herausforderungen sind die richtigen? Wir beide haben ja schon öfter festgestellt, dass wir uns aufgrund unserer verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen recht unterschiedlich an Herausforderungen heranwagen. Mich haben die ersten Berufsjahre sehr verunsichert. Das Studium selbst bereitet dich ja wenig auf den direkten Kontakt mit zukünftiger Klientel vor. Ich habe mich lange gefragt, woran ich mich eigentlich bei meiner Arbeit orientieren kann und soll. Du selbst beschreibst dich dagegen als einen Menschen, der eher gerne an die eigene Kompetenz geglaubt hat. Dennoch hast du vor über 20 Jahren eine Wirksamkeitsstudie (1988a, 1988b) zu deinen Intensivseminaren durchgeführt? Das passt für mich gar nicht zu dem wenig selbstzweiflerischen Eindruck, den du auf mich machst.
BS: Dafür gab es vor allem zwei Gründe: Zum einen konnte ich mich in den bestehenden Psychotherapie-Schulen schlecht beheimaten. Ein ganz typisches Muster für mich ist, dass ich, sobald ich an Dogmen und Schemata stoße, sofort deren Begrenzungen aufzeigen möchte. In einem Fall können Menschenbilder sinnvoll sein, aber im anderen Fall käme es einem Götzendienst gleich, wenn man sie als Wahrheiten erstarren ließe. Ich glaube, dass ein gebildeter Mensch bei jeder Frage aufgerufen ist, in seiner Weise, aus seiner Zeit, aus seinem Kontext, aus seinem Milieu kommend mit seiner Biografie stimmig neue Antworten zu finden. Insofern fühlte ich mich immer als eine Art Wilderer, der sich zwar der Konzepte und Ideen aus den üblichen Schulen bedient, sich aber den Dogmen nie unterworfen hat. Diese Freiheit hatte auch ihren Preis. Ich hatte immer das Problem, meine Identität zu definieren: Wer bin ich, wenn ich mich in keinen festen Rahmen, der mir eine Autorisierung oder eine gesicherte Identität verleiht, einfügen mag? Ich hatte und akzeptierte also identitätsbildende Rahmen um mich in nur geringem Maße und musste mir eine eigene Heimat sowie meine eigene Arbeitsweise und Struktur schaffen, wie z. B. diese Intensiv-Seminare mit einem mir gemäßen Stil.
Selbstwertzweifel oder Selbstkompetenzzweifel machten mir damals Sorgen, ohne dass mir ein traditioneller Rahmen den Rücken gestärkt hätte oder ich den jeweiligen Moden nachgegeben hätte. Ich wurde in der sehr emotionsintensiven, alternativen Psychotherapieszene manchmal mit kritischen Infragestellungen konfrontiert. Mein eher kognitiv orientierter Stil wurde verdächtigt, eine Folge von eigenen frühen Störungen zu sein, weshalb ich mich emotionalen Dingen nicht in dieser Intensität widmen könne, die damals üblich war. Um mir dazu ein etwas objektiveres Bild zu machen, habe ich alle meine Klienten schriftlich befragt.
CG: Ja, die Untersuchung wurde 1988 durchgeführt. Das war die Zeit, in der es »en vogue« war, möglichst viele Gefühle in der Therapie zum Ausdruck zu bringen. Und du fielst aus dieser Schablone heraus.
BS: Genau. Man war sich in meinen Kreisen relativ einig: Wo die Gefühle sind, da geht es lang, und je mehr eine gegenwärtige Situation auf einen früheren Konflikt oder ein früheres Erlebnis, am besten noch vorsprachlich, zurückgeführt werden kann, um so elementarere Arbeit leistet man und desto mehr gelangt man an die Wurzeln des Übels. Störungen hat man durch Fehlentwicklungen in der Kindheit bedingt verstanden und fast ausschließlich entwicklungspsychologisch beschrieben. Mir persönlich lag dieses schematische Verständnis von Störungen als auch der daraus abgeleitete Therapiestil nicht sehr. Obwohl ich durchaus gelernt hatte, mit Gefühlen umzugehen und die hinter der Gegenwart liegende, belastete Vergangenheit aufzuspüren. Empathie wurde damals ganz stark als Eingehen auf intensive Gefühle verstanden. Der Exklusivanspruch des Emotionalen, ja der Motivpsychologie überhaupt, war mir persönlich immer zu kultisch. Und bei uns ging es eben nicht so expressiv und schon gar nicht so stark kindheitsorientiert zu.
Und ich habe mich gefragt, ob ich trotzdem wertvolle Persönlichkeitsarbeit mache, und ob sich die Leute verstanden und emotional angesprochen fühlen, auch wenn ich selbst mich hauptsächlich kognitiv gesteuert habe. Am meisten hat mich beschäftigt, ob meine Art verständlich ist und Auswirkungen auf das hat, was anderen wichtig ist.
Dass СКАЧАТЬ