Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden. Bernd Schmid
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СКАЧАТЬ der Fall. Im Gegenteil sind wir davon überzeugt, dass es keine nachhaltige Entwicklung für die einzelnen Menschen gibt, wenn sich die Gesellschaft nicht in dafür geeigneter Weise entwickelt. Auch wird hier kein Gegensatz zwischen Wirtschaft und Gesellschaft proklamiert, sondern wir folgen dem Verständnis von Luhmann (1988), nach dem Wirtschaft und Gesellschaft nicht zwei verschiedene Bereiche sind, sondern Wirtschaften eine wichtige Dimension von Gesellschaft und der Lebensvollzüge darin ist. Von daher ist Wirtschaftskultur ein Bestandteil von Gesellschaftskultur. Gesellschaftskultur ohne oder gar gegen Wirtschaftkultur entwickeln zu wollen, wäre genauso, als wenn man die Lebenskultur einer Familie ohne den Umgang mit Zeit, Geld, dem Können, dem Engagement ihrer Mitglieder – also der Ökonomie der Familie – bestimmen wollte.

      Darüber hinaus sind wir überzeugt davon, dass größere soziale Systeme, also auch Unternehmen und Organisationen, ohne eine geeignete Kultur überhaupt nicht steuerbar sind (Schmid/Meyer 2010). Sie sind so komplex, dass der Versuch, alle Prozesse technisch kontrollierbar und lenkbar zu machen, die verfügbare Steuerungskompetenz und -kapazität um Dimension überschreiten würde. Größere soziale Systeme sind nur dadurch steuerbar, dass die handelnden Menschen verstehen, worauf es ankommt, wie Leistungen zu erbringen sind, wie man dabei mit sich und anderen umgehen soll, was zum Stil dieses Unternehmens gehört und was nicht. Dies klingt vielleicht wie ein Anspruch, ist aber eine Tatsache – auch wenn sie oft ausgeblendet wird.

      Menschen gestalten Unternehmensprozesse – im Guten wie im Schlechten – mehr oder weniger bewusst in Selbststeuerung. Sie tun dies aus ihrem mehr oder weniger gepflegten Kulturverständnis heraus. Daher sehen wir in der Organisationskulturentwicklung eine entscheidende Dimension der Organisationsentwicklung. Erfahrungsgemäß sind Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen nur dann hilfreich, wenn sie explizit oder implizit nachhaltig positive Wirkungen auf die Organisationskultur und über diese auf die Selbststeuerung der Menschen haben.

      Der Begriff »systemisch« markiert ein Wirklichkeitsverständnis und eine Haltung, aus der heraus Fragen gestellt und beantwortet werden. (Die vielfältigen Dimensionen des Begriffs »systemisch« sind an anderer Stelle abgehandelt, z. B. einführend von Klein/Kannicht 2007, Schmidt 2004.)

      Hierzu gehören Grundannahmen, wie die grundsätzliche Überkomplexität und Unergründlichkeit beziehungsweise die letztendliche Unberechenbarkeit lebendiger Prozesse. Hierzu gehört die Metaperspektive, aus der Wirklichkeit nicht objektiv existiert, sondern diejenige des Betrachters ist und somit eine mehr oder weniger gemeinsam gestaltete Wirklichkeit der beteiligten Systeme darstellt. Auch wenn Fakten im Spiel sind, sind doch die Bedeutungsgebungen für die Selbststeuerung entscheidend. Daher sind Wirklichkeit und Wirksamkeit ohne die Lebenskultur der beteiligten Systeme nicht zu verstehen.

      Systemische Betrachtungen machen immer wieder Klärungen notwendig, welche Aspekte der möglichen Wirklichkeiten wie einbezogen werden sollen, damit für die beteiligten Systeme sinnvolle Wirkungen entfaltet werden können. Man spricht von Rekursivität und Kybernetik verschiedener Ordnungen. Dies ist nicht ohne eine gewisse geistige Disziplin möglich. Dennoch darf das Gefühl für Konkretes und Lebendiges nicht verloren gehen.

      Nicht zuletzt steht »systemisch« für Haltungen, die dem Leben und dem professionellen Handeln zugrunde gelegt werden, wie etwa Lösungsorientierung, Ressourcenorientierung, Offenheit gegenüber Unerwartetem und Würdigung der Vielfalt des Lebendigen. Daraus erwachsen schöpferische Gestaltungslust, Verantwortungsbereitschaft und beherztes Handeln gepaart mit professioneller Demut und Würdigung alles Lebendigen.

      Wie gerade beschrieben, geht es uns in diesem Buch vor allem um unser Selbstverständnis und unsere Kompetenzen an den Knotenpunkten zwischen Persönlichkeitskultur, Professionskultur, Organisationskultur und der Kultur des Wirtschaftens in unserer Gesellschaft. Dabei ist es uns ein Anliegen, die Zusammenhänge in ihrer Komplexität zu beschreiben.

      Sie haben erfolgreich unseren Überblick durchstreift und wollen vielleicht nicht nur nebenbei, sondern ausdrücklich die aufgeworfenen Fragen auf sich selbst anwenden.

      Daher möchten wir Sie einladen, mithilfe unserer Fragen herauszufinden, wo Sie sich selbst positionieren und welche der im Folgenden abgehandelten Dimensionen Sie im Augenblick mehr oder weniger beschäftigen und Fragen von Veränderungen aufwerfen könnten. Vielleicht gelangen Sie dadurch auch zu einem erweiterten Verständnis der Gesamtzusammenhänge.

      4. Mensch und Professionalität

       4.1 Der Beruf als Unternehmen

      Hatte man früher hierzulande einen Beruf erlernt, so konnte man diesen, wenn es gut ging, bis zum Ruhestand auf seine bewährte Art ausüben. Heute jedoch müssen sich die Menschen auf ein viel flexibleres Berufsleben einstellen als noch vor einigen Jahrzehnten.

      Ständig gehen Berufe und Tätigkeitsbilder unter, auf der anderen Seite entstehen neue Berufe bzw. Funktionen in Organisationen, die mit klassischen Berufsbezeichnungen kaum noch erklärt werden können. Auch das Studium einer bestimmten Fachrichtung gibt heute meist wenig Auskunft darüber, als was man sich danach beruflich verstehen und womit man sein Geld verdienen kann. Hier geben meist erst tätigkeitsbezogene Erfahrungen und Fortbildungen ein deutlicheres Verständnis davon, welche Qualifikationen man mitbringt und wie die Position auf dem Arbeitsmarkt eingestuft werden.

      Wer auf eine langfristige Zugehörigkeit zu einem Unternehmen oder einer sonstigen Organisation setzt, ist derzeit schlecht beraten. Und es ist fraglich, ob man mit der alleinigen Verantwortung des arbeitgebenden Unternehmens, für eine nachhaltige berufliche Entwicklung seiner Mitarbeiter gesorgt hat. Selbst wenn sich bei einzelnen Arbeitgebern entsprechende Haltungen zeigen, muss man zumindest bei kapitalmarktgesteuerten Unternehmen zweifeln, ob solche Haltungen zur Geltung kommen und ob die Partner solcher Verabredungen überhaupt noch im Amt sind, wenn es darauf ankommt.

      Deshalb sollte man in jedem Fall selbst dafür sorgen, dass man eine berufliche Identität unabhängig von aktuellen Beschäftigungsverhältnissen entwickelt, durch angemessene Qualifikationen die eigene Arbeitsmarkttauglichkeit herstellt und durch Anpassungen auf dem Laufenden hält. Zudem nehmen die Zugehörigkeiten zu Organisationen immer öfter Eigenschaften freiberuflicher Beziehungsverhältnisse an, auch wenn man sich in »fester Stellung« wähnt.

      Von daher wird die Beruf-Lebens-Gestaltung zunehmend zu einer unternehmerischen Aufgabe: Ich bin der Chef in meinem Unternehmen Beruf und als solcher auch verantwortlich für den florierenden Betrieb, für nachhaltige Entwicklung und meine Zufriedenheit sowie die »Bodenpflege« meines Berufs- und Tätigkeitsfeldes. Wie soll das gehen?