Название: Bilderwechsel
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Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Fuldaer Hochschulschriften
isbn: 9783429060732
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Abb. 2: Infrastrukturentwicklung in mittelgroßen Dörfern von 1950 bis heute (Gerhard Henkel 2012)
f) Ländliche Lebensstile
Trotz aller Angleichungsprozesse zwischen Stadt und Land in den zurückliegenden Jahrzehnten gibt es auch heute noch wesentliche Unterschiede zwischen dem Stadt- und dem Landleben. Das ist in den letzten Jahren durch verschiedene Studien belegt worden. Ländliche Lebensstile sind natur-, traditions- und handlungsorientiert. Das Arbeiten und Leben im Garten, das Spazierengehen, Wandern und Radfahren in Feld und Wald gehören zum Kernbestand ländlicher Lebensqualität. Dörfliche Lebensstile sind durch eine hohe Dichte sozialer Netze und Kontakte geprägt. Verwandtschafts- und Nachbarschaftshilfe, Engagement in Vereinen und Kirchen sowie Brauchtumspflege spielen im Zusammenleben eine wichtige Rolle und tragen sowohl zum Wohlstand als auch zur Identität in den Dörfern bei.
Nach einem kürzlich publizierten Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kommen auffällig viele Chefs der größten deutschen Unternehmen aus ländlichen Regionen. Als wesentliche Erklärung für dieses Phänomen werden die auf dem Dorf oder in der Kleinstadt erworbenen sozialen und emotionalen Kompetenzen sowie ein auf dem Lande noch vorhandenes „Arbeitsethos“ angeführt, die sich so in der unpersönlicheren und virtuelleren Großstadt nicht erlernen lassen.
g) Zufriedenheit der Bewohner
Ein hohes Plus des ländlichen Raumes ist nicht zuletzt die weit überdurchschnittliche Zufriedenheit seiner Bewohner mit ihrem Wohnumfeld. Sie liegt nach wiederholten Umfragen stets zwischen 80 und 90 Prozent und damit etwa doppelt so hoch wie in den Großstädten. Großstädter möchten übrigens zu 40 bis 45 Prozent lieber im Dorf als in der Großstadt leben. In einer kürzlich durchgeführten 1-live-Umfrage unter jungen Leuten, von der mir mein Sohn berichtete, wurde die Frage gestellt: „Was findet ihr besser: Leben in der Stadt oder Leben auf dem Dorf?“ Gut zwei Drittel der Antwortenden bevorzugten das Leben auf dem Lande. Eine Theorie aus den Wirtschaftswissenschaften besagt übrigens, dass Wirtschaft sich dort ansiedelt, wo Menschen sich wohl fühlen und ein Umfeld vorfinden, das ihnen erlaubt, produktiv zu sein.
Eine andere interessante Facette der Zufriedenheit ist kürzlich in einer Studie der Universität Münster herausgearbeitet worden, und zwar die Sicherheit im Wohnumfeld, die von der Bevölkerung als wichtiger Vorteil des Landlebens angesehen wird.
2.2 Schwächen unserer Dörfer und Kleinstädte
a) Anhaltende Verluste der traditionellen Wirtschaftspotentiale
Die traditionellen Wirtschaftspotentiale des ländlichen Raumes haben an Gewicht verloren: Holz und Wasser als Energielieferant und Rohstoff, (gutes) Land für Ackerbau und Viehzucht. Damit ist ein Verlust an traditioneller Wertschöpfung und Arbeitsplätzen eingetreten, der immer noch anhält. Der Verlust betrifft auch das traditionelle Dorfhandwerk, das sich als Dienstleistung für die wirtschaftstragende Landwirtschaft und für die rege Bautätigkeit auf dem Lande bis in die 1960er Jahre sehr gut entwickelt hatte. In manchen ländlichen Regionen haben sich nach den Schrumpfungsprozessen in Land- und Forstwirtschaft und Dorfhandwerk nur wenig alternative Gewerbe herausgebildet. Sie gehören zu den stagnierenden und von Bevölkerungsrückgang betroffenen Gebieten. Es gibt zahlreiche Dörfer in Deutschland, die ihren ökonomischen und demographischen Zenit vor 150 bis 200 Jahren hatten.
In jüngerer Zeit gibt es ein wenig Hoffnung. Der Wert ländlicher Ressourcen wie Boden, Wasser und Holz scheint sowohl für die Nahrungs- als auch für die Energieproduktion zu steigen. Gerade der Trend zu erneuerbaren Energien kommt dem ländlichen Raum zugute. Es gibt bereits Dörfer, die sich mit Strom und Wärme selbst versorgen.
b) Anhaltende Infrastrukturverluste
Bezüglich der Infrastruktur gibt es neben den Stärken, die genannt wurden, eine Reihe von erheblichen Verlusten, die hier anzuführen sind (siehe Abb. 2). Am stärksten betroffen sind zahlreiche – auch mittelgroße – Dörfer vom Verlust der dörflichen Schule. Dazu kommen Post, Bürgermeisteramt und dörflicher Gemeinderat, Polizeiposten, Bahnanschluss sowie die Bäuerliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft. Bei den privaten Dienstleistungen sind vor allem die Schuhmacher, Schneider, Schmiede und in den letzten Jahren auch die Bäcker und Metzger weggefallen. Besonders schmerzhaft sind die Verluste an Gasthöfen und Dorfläden, vor allem dann, wenn es die letzten sind, die schließen.
c) Leerstand von Gebäuden in Dorfkernen
Noch vor 50/60 Jahren waren alle Dörfer in Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes „voll“; jeder Quadratmeter war genutzt durch Wohnungen für Menschen, Ställe für Tiere, Speicher für Erntevorräte und Schuppen für Maschinen. Durch Neubausiedlungen am Rande der Dörfer, aber auch durch Aussiedlungen und die bald einsetzende Landflucht entstanden bereits in den 1960er und 1970er Jahren Leerstände in den Dorfkernen, auf die man mit den staatlichen Förderprogrammen der Dorfsanierung und Dorferneuerung reagierte.
Inzwischen ist es in den meisten Dörfern zu einer zweiten Welle des Gebäudeleerstandes gekommen. Außerdem sind viele alte Bauernhäuser nur noch von ein bis zwei älteren Personen bewohnt, eine Nutzungsnachfolge ist höchst ungewiss. Ähnliches gilt für ältere Handwerkerhäuser, ehemalige Gasthöfe, Dorfläden usw. Die Probleme sind brennend, sie gehen an die Substanz des Dorfes, den alten Kern, der das Dorfbild prägt, mit dem man das Dorf identifiziert. Sogar in wachsenden Dörfern nimmt der Leerstand im Inneren noch zu, zugunsten neuer Wohngebiete am Dorfrand. Ein Problem ist vielerorts die Wahrnehmungsschwäche. So wollen viele Bürgermeister den Leerstand einfach noch nicht wahrhaben!
d) Zu wenig Arbeitsplätze für Höherqualifizierte, vor allem im Dienstleistungsbereich
Dies ist eine Schwäche, die dem ländlichen Raum generell zugeordnet werden kann. Die höher qualifizierten Dienst-leistungsberufe sind nun einmal in den Großstädten konzentriert. Aber es gibt erhebliche Unterschiede auf dem Lande. So steht das sonst vielfach zu lobende Bayern in diesem Punkt in einigen Regionen schlechter da als Nordrhein-Westfalen. Gerade im südlichen und östlichen Westfalen gibt es durch zahlreiche mittelständische Industriebetriebe ein relativ gutes Angebot z. B. für Ingenieure. Generell bietet die Nähe zu Oberzentren bzw. gut ausgebauten Mittelzentren ein gut erreichbares Angebot für höher qualifizierte Dorfbewohner.
Die modernen Informations- und Kommunikationstechniken könnten den grundsätzlichen Standortnachteil des Dorfes mittel- und langfristig aufheben oder mindern. Bereits heute finden sich vereinzelt in den Dörfern Klein- und Kleinstunternehmer, die hoch komplizierte Soft- oder Hardwaredienstleistungen für große Konzerne weltweit erbringen.
e) Abwanderung von Jugendlichen
Ein großes Problem für den ländlichen Raum in ganz Deutschland ist die Abwanderung der jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung, schwerpunktmäßig der Gruppe der 24–27-Jährigen. Man spricht hier auch von Bildungsabwanderung. Die Jugendlichen ziehen in die Großstädte mit ihren differenzierten und besser bezahlten Berufsmöglichkeiten. Der Wegzug dieser Jugendlichen schmerzt, weil hier ein wertvolles Humankapital wegzieht, das in der Region hohe Ausbildungs- und Infrastrukturkosten verursacht hat, wovon dann aber andere Regionen profitieren können.
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