Lebendige Seelsorge 3/2019. Verlag Echter
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Название: Lebendige Seelsorge 3/2019

Автор: Verlag Echter

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783429064235

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СКАЧАТЬ dieses Leidens-Vergebungs-Erlösungs-Narrativ nicht selten Bestandteil katholisch schmeckender Täter- und Vertuschungsstrategien ist. Täter manipulieren ihre Opfer, indem sie sie glauben machen, das Leid, das sie ihnen zufügen, wäre notwendig zur Sühne einer von ihnen begangenen Sünde. Sie manipulieren ihre Opfer, indem sie sich als Stellvertreter des Erlösers präsentieren und vermeintliche Gnaden austeilen oder vermeintliche Sünden vergeben. Vertuscher manipulieren Opfer, indem sie sie glauben machen, eine moralische Pflicht zum Schweigen zu haben, durch das die Kirche geschützt werde.

      Beispielsweise habe der Bischof Henri Bricard zu der Betroffenen Marie-Laure Janssens gesagt: „Das Schweigen der Kirche ist ein Akt der Barmherzigkeit gegenüber Menschen. Schweigen ist keine Furcht vor der Wahrheit, wenn dieses Schweigen das Zeichen von Selbsthingabe ist, die Sprache des Dienens, wie die Jungfrau Maria sie uns gelehrt hat“ (Global Sisters Report, Übers. DR). Das heißt, wer tatsächlich glaubt, Vergebung wäre ein wünschenswerter Ausweg aus der Krise, wer das gar gegenüber Betroffenen in irgendeiner Weise zum Ausdruck bringt, bohrt in eben jener Wunde, die er heilen zu wollen vorgibt.

      Wer Vergebung für einen Ausweg hält, übersieht aber auch etwas Anderes: Diese Vergebung ist schlicht und einfach logisch betrachtet gar nicht möglich. Denn Vergebung setzt Anerkennung persönlicher Schuld voraus. Solange es aber an dieser Anerkennung mangelt, können Opfer gar nicht vergeben, selbst wenn sie wollten, denn: Wem soll denn da was vergeben werden? Natürlich, wir haben das Wort „Schuld“ im Munde von Bischöfen oft gehört. Nur fehlte bislang immer das Subjekt, das „ich“ zu diesem Wort. So bleibt zwar die Schuld, aber es gibt keine Anerkennung persönlicher Schuld und somit auch keine Person, der vergeben werden könnte. Mehr noch: Diese Anerkennung wird nach wie vor von vielen Tätern und Vertuschern vehement zurückgewiesen.

      Solange Täter ihre Opfer verklagen, weil sie ihre Taten öffentlich gemacht haben, solange Vertuscher Schweigegelder bezahlen, solange unabhängige Aufklärer kontrolliert und erpresst werden (vgl. Christian Pfeiffer), solange überführte Täter ihre Unschuld beteuern oder sich als ungerechterweise Verfolgte inszenieren, kann niemandem von ihnen vergeben werden. Selbst wenn ihre Opfer das tun wollten. So kommen wir zu obigem Satz zurück: Wer sich für das eigene Fehlverhalten schämt, wird diese Scham erst wieder los, wenn er/sie dieses Fehlverhalten zugibt und korrigiert. Und frühestens dann ist Vergebung, rein logisch betrachtet, überhaupt denkbar. Das heißt, der nächste Schritt in der Krise muss tatsächlich von der Seite der Täter und Vertuscher kommen. Und er heißt: Anerkennung persönlicher Schuld und Korrektur des persönlichen Fehlverhaltens. Ohne diesen Schritt gibt es keinen echten Ausweg aus der Krise.

      DIE ERLÖSUNG

      Aber gibt es ohne diesen Schritt auch keine Erlösung? Hören wir Jesus nicht am Kreuz sagen: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun?“ Ist Jesus nicht genau der, der die Verlorenen, Verlaufenen und Verzweifelten sucht und zurückholt, wie Drewermann das formuliert, anstatt den Stab über sie zu brechen? Oder umgekehrt: Kann es Menschen geben, denen wir keine Erlösung wünschen dürfen, nur weil sie uneinsichtig, verstockt und selbstgenügsam sind? Sind sie nicht gerade die erbärmlichsten Menschen, die man sich denken kann? – Und damit eben auch die, die der Erlösung am meisten bedürfen?

      Mir scheint folgende Differenzierung an dieser Stelle von fundamentaler Bedeutung: Erstens: Missbrauchsbetroffene sind nicht Jesus. Sie können und müssen niemanden erlösen – schon gar nicht, indem sie über erlittenes Unrecht schweigen oder uneinsichtigen Tätern „vergeben“. Und zweitens: Menschen, die sich strafrechtlicher, kirchenrechtlicher und ethischer Verfehlungen schuldig gemacht haben, können nicht mit Verweis auf ihre Erlösungsbedürftigkeit für sich in Anspruch nehmen, vor den Konsequenzen ihrer Taten bewahrt zu werden. Die juristische Strafbewehrtheit einer Handlung, ihre sozialen Implikationen und ihre soteriologische Dimension müssen unterschieden werden, solange wir uns als Menschen noch unter den Umständen unserer irdischen Existenz wiederfinden – und eben: noch im Zustand der Erlösungsbedürftigkeit.

      Diese Differenzierung vorausgesetzt bleibt die zutiefst christliche Hoffnung, dass es auch für die größten Übeltäter Erlösung geben kann. Aber diese Erlösung kann alleine von Gott kommen. Denn ihm – wenn überhaupt irgendjemandem – kann vielleicht doch gelingen, was Menschen nicht möglich ist: Die verhärteten Herzen der Täter zu berühren.

      Unter allen biblischen Bildern liebe ich eines am meisten: Es ist das vom jüngsten Gericht. Wenn alle Menschen, die jemals auf dieser Welt gelebt haben, vor Gott treten. Wenn die, die nur Elend und Not gekannt haben, die in den Hungersnöten, Seuchen und Kriegen der Geschichte elende und grausame Tode gestorben sind, ihr Leben zurückbekommen – und was für ein Leben! Und wenn die größten Übeltäter und Verbrecher der Menschheitsgeschichte vor Gottes Angesicht treten müssen, die, die für diese ungerechten und grausamen Tode Verantwortung tragen, und wenn kein Geld sie mehr freikauft und keine Intrige sie mehr dem Blick ihres Richters entziehen kann und sie sich selbst nicht mehr belügen können. Wenn sie begreifen müssen, was sie getan haben – und was Gott wiedergutgemacht hat, sodass auch ihnen endlich vergeben werden kann. Als Letztes, am Ende der Weltgeschichte. Ich wünsche, dass das mehr ist als ein Bild. Ich jedenfalls möchte meine Täter zwar auf Erden nicht mehr wiedersehen. Aber ich hoffe, ihnen jenseits der Geschichte als erlösten Menschen wieder zu begegnen. Ich wünsche ihnen den Himmel.

       LITERATUR

      Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/drewermann-ueber-die-katholische-kirche-mir-tun-die.886.de.html?dram:article_id=446500.

      Christian Pfeiffer im Interview mit GLAUBEN & ZWEIFELN, in: DIE ZEIT Nr. 17 vom 17. April 2019.

      Global Sisters Report: https://www.globalsistersreport.org/news/trends/french-catholics-raise-voices-demand-measures-prevent-further-clergy-sex-abuse-56083.

      Papst Franziskus in der Mittwochaudienz vom 24. April 2019: https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/papst-nicht-alles-lasst-sich-mit-gerechtigkeit-losen.

      Beschämte Opfer, schamlose Vertuscher und unverschämte Täter

      Strange Encounters mit der unheiligen Trinität des sexuellen Missbrauchs

      Seit Langem war zu ahnen, dass die Identitätspolitik nicht gut ausgehen konnte, die seit Ende der 1970er Jahre wie in anderen Religionsgemeinschaften auch in der katholischen Kirche Einzug gehalten hatte. „La revanche de Dieu“ hat Gilles Kepel diese scharfkantige public religion genannt (Kepel). Aber der Widerspruch gegen säkularen Relativismus war viel zu wenig von einer schweigenden, doch übergroßen Mehrheit der Gläubigen getragen. Für neue geistliche Gemeinschaften wie Legionäre Christi, Das Werk, La Famille Saint Jean, Communauté des Béatitudes etc., die einen Promille-Bereich der Weltkirche ausmachen, war die Revanche jedoch attraktiv genug, sich ihr hinzugeben. Seit Johannes Paul II. belegte diese Identitätsmatrix die Spitzen der katholischen Hierarchie und fand deshalb breite mediale Aufmerksamkeit. Man solle keine Angst haben, katholisch zu sein, so das Motto des Pontifikats. Hans-Joachim Sander

      Neben rubrizierter Liturgie, katechetischen Weltjugendtagen und disziplinierenden Bischofsernennungen spielte dabei die Sexualmoral eine tragende Rolle. Sie sollte die überlegene Wahrheit einer mit göttlicher Offenbarung verknüpften Wertehaltung demonstrieren, die im ausgemachten sexuellen Relativismus dieser Welt unweigerlich Widerspruch erfahren musste. Das wiederum, so das Kalkül der Revanche, würde die katholische Identität umso mehr qualifizieren.

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