Lebendige Seelsorge 1/2021. Verlag Echter
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Название: Lebendige Seelsorge 1/2021

Автор: Verlag Echter

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Lebendige Seelsorge

isbn: 9783429065072

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      Die Replik von Marita Wagner auf Regina Polak

      Ich stimme Regina Polak in ihrem Argument, dass Rassismus nicht nur ein moralisch-individuelles, sondern darüberhinausgehend auch politisches Problem ist, welches insbesondere in der Migrationspolitik zutage tritt, zu. Mit Blick auf das Thema Rassismus scheint es besonders schwerzufallen, eine gesellschaftliche „Gesamtverantwortung“ (Arendt, 500) zu übernehmen, weil dies zunächst eine selbstkritische Auseinandersetzung und sodann einen verantwortungsbewussten Umgang mit den eigenen (weißen) Privilegien erfordert. Privilegierte Menschen erleben diese notwendige, ausstehende Umverteilung von unverdienten, qua Geburt erhaltenen Bevorzugungen oft als einen vermeintlich gesellschaftlichen Nachteil, wodurch sich das Gefühl einer ungerechtfertigten existentiellen Hinterfragung und daher der Bedrohung einstellt. Wie sähe vor diesem Hintergrund eine postkoloniale (Pastoral-)Theologie aus, die Beziehungen heilt, indem sie zu einer Globalisierung beiträgt, in der allen Menschen Gerechtigkeit zuteilwird (vgl. Mabanza)? Als kritischen Denkanstoß kann hier unter anderem der Roman von Abdourahman A. Waberi Die Vereinigten Staaten von Afrika dienen, in dem der Autor das eurozentrische Weltsystem gegen den Strich liest und beschreibt, wie eine Welle an Geflüchteten aus dem Globalen Norden an den afrikanischen Küsten wie Djerba und Algier stranden. Waberi zeichnet das Bild eines von Fortschritt, Entwicklung und einer wissenschaftlichen Bildungselite geprägten afrikanischen Staatenbundes, der sich aufgrund seiner Finanzstärke zu behaupten weiß – und gegenüber den Bedürfnissen und Nöten der von Armut geplagten europäischen Völker emotional eher unberührt bleibt.

      Polak schreibt, dass Rassismus heute in der EU geächtet sei. Ein wichtiger öffentlicher Schritt in der Auseinandersetzung mit Anti-Schwarzem Rassismus ist sicherlich, dass die UN im Jahr 2015 eine Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft ausgerufen hatte, an deren Zielumsetzung auch Berlin beteiligt ist. Dazu zählen in erster Linie die Bekämpfung von Diskriminierung sowie die Aufarbeitung der eigenen kolonialen Vergangenheit. Ein Konsultationsprozess mit Selbstorganisationen Schwarzer Menschen in Berlin hat 2018 begonnen. Dass People of Color und deren Lebenswirklichkeiten in Deutschland bislang nicht genügend sichtbar, obwohl vorhanden sind, und daher meist immer noch negiert werden, zeigt die Debatte um die Frage, ob es einer Studie zu Rassismus in der Polizei und damit einhergehend rassistisch motivierter Polizeigewalt bedürfe. Nachdem Bundesinnenminister Horst Seehofer diese Forderung zurückgewiesen hatte und dafür in die Kritik geraten war, stimmte er der Studie doch zu – später dann allerdings stellte er zur Bedingung, die Fragestellung zu erweitern, indem Rassismus in der Gesamtgesellschaft untersucht werden solle. Der Rassismus in der Polizei wird nur noch als ein Unterkapitel behandelt werden. Dieses Ringen und sich Winden um eine tiefergehende Aufarbeitung rassistischer Gewaltstrukturen in allen Lebensbereichen – psychisch wie physisch – zeigt, wie schwer es fällt, den eigenen weißen Schutzwall fallenzulassen und sich bewusst ‚verwundbar‘ zu machen.

      Weiter fortgeschritten in der Aufarbeitung und Sichtbarmachung Schwarzen Lebens in Deutschland ist der Berliner Verein Each One Teach One (EOTO). Er setzt sich für die „Interessen Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen in Deutschland und Europa ein“ (Each One Teach One (EOTO) e. V.). Von Juli bis September 2020 führte EOTO eine Onlinebefragung, den #AFROZENSUS durch, um statistisch aufzuzeigen, „welche Erfahrungen Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland machen, wie sie ihr Leben in Deutschland einschätzen und welche Erwartungen sie an Politik und Gesellschaft haben“ (#AFROZENSUS). An der Volkszählung durften folglich nur Menschen afrikanischer Herkunft teilnehmen. Thematisch wurde explizit auch nach den eigenen Erfahrungen mit Racial Profiling und rassistischer Polizeigewalt gefragt. Die Ergebnisse sollen bereits im Frühjahr 2021 veröffentlicht und der Politik zur Verfügung gestellt werden. Parallel ist ein ergänzender qualitativer Forschungsteil bestehend aus Interviews und Fokusgruppen in Planung. Unterstützt und begleitet wird dieses Forschungsprojekt unter anderem von Aminata Touré, Vizevorsitzende des Landtags in Schleswig-Holstein, deren Eltern damals als malische Geflüchtete nach Deutschland migrierten (vgl. Arte TRACKS).

      Regina Polak führt in ihrem Beitrag kirchliche Positionierungen auf, in denen Rassismus und Diskriminierung verurteilt werden, weil sie dem Plan Gottes von der Einheit der Menschheit zuwiderlaufen. Es zeigt sich, dass Rassismus aber auch vor der Kirche als Teil des gesellschaftlichsozialen Raumes nicht haltmacht. Angesichts der Tatsache, dass Kirche und Christentum im Rahmen der Zivilisierungsmission keineswegs unbeteiligte Zuschauer waren, reicht der Verweis auf die theoretische Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und Rassismus nicht aus. Es braucht innerhalb der Kirche eine ernstgemeinte Auseinandersetzung mit dem eigenen gewaltvollen christlichen Erbe und der Ausübung von Zwang und Dominanz auf bestimmte Bevölkerungsgruppen sowie den anhaltenden hegemonial-eurozentrischen Prägungen christlicher Theologie, die sich bereits in der Besetzung von Kirchenämtern sowie der Repräsentanz von People of Color in kirchlichen Gremien und Organisationen widerspiegelt. Unsere Kirche in Deutschland ist weiß, was angesichts der Tatsache, dass jede*r vierte Katholik*in einen weltkirchlichen Lebenshintergrund aufweist, verwunderlich ist. Auch innerhalb der Kirche existiert kein machtfreies Vakuum. Aus diesem Grund sollte die Pastoral hier in meinen Augen nicht zu vorschnell als Lehrerin oder Expertin zutage treten und sich als antirassistische Verbündete Schwarzer Menschen emporschwingen. An erster Stelle braucht es eine kritische Introspektion, eine Arbeit an sich selbst und dem eigenen Weißsein sowie demütiges Zuhören den Menschen gegenüber, denen angesichts der anhaltenden ‚kolonialen Matrix der Macht‘ (vgl. Dussel; Mignolo) eine vollumfängliche Partizipation an der Weltgesellschaft gewaltsam abgesprochen wird. Was tut die Kirche, um sich selbst zu dekolonisieren? Wo finden interkulturelle Begegnung und Zusammenleben statt? Muttersprachliche Gemeinden bieten einen wichtigen geschützten Ort für Menschen mit weltkirchlichem Hintergrund, der es ihnen erlaubt, bestimmte Kollektiverfahrungen gemeinsam zu reflektieren. Gleichzeitig bleibt zu fragen, welche zusätzlichen kirchlichen Erfahrungs- und Begegnungsräume kreativ geschaffen werden können, um eine interkulturelle Fragmentierung und Separierung zu vermeiden, und ein echtes gelebtes Miteinander sowie ein neues Vertrauen zu- und ineinander zu fördern. Und gerade dieses Vertrauen ist es, das es wieder, bzw. der Ansicht einer befreundeten Schwarzen Theologin zufolge nach, erstmals überhaupt (!) zu gewinnen gilt.

      LITERATUR UND LINKS

      Arte TRACKS, Afrozensus - mit Megaloh, Aminata Belli und Aminata Touré; abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=I57LePt0cgc.

      Berlin.de, UN Dekade für Menschen Afrikanischer Herkunft; abrufbar unter: https://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/rechts-extremismus-rassismus-antisemitismus/un-dekade-fuer-menschen-afrikanischer-herkunft.

      Dussel, Enrique, Der Gegendiskurs der Moderne. Kölner Vorlesungen, Wien 2013.

      Each One Teach One (EOTO) e. V., https://www.eoto-archiv.de.

      Mabanza, Boniface, Gerechtigkeit kann es nur für alle geben. Eine Globalisierungskritik aus afrikanischer Perspektive, Münster 2009.

      Mignolo, Walter, Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität, Wien 2012.

      Waberi, Abdourahman A., In den Vereinigten Staaten von Afrika, Hamburg 2008.

      #AFROZENSUS, https://afrozensus.de.

      [Links alle zuletzt eingesehen am 03.01.2021]

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