Trotz allem - Gardi Hutter. Denise Schmid
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Название: Trotz allem - Gardi Hutter

Автор: Denise Schmid

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783039199679

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СКАЧАТЬ September 2009, ein gutes Jahr vor der Premiere, beginnt die erste Probenrunde mit Regisseur Michael Vogel in Berlin. Der Regisseur ist wichtig für die Künstlerin. Er ist ihr Gegenüber, ihr Denk- und Austauschpartner. Er entwickelt mit ihr das Stück. Es entsteht nicht theoretisch auf dem Papier. Geschrieben wird zwar auch viel, da ist das von Gardi Hutter entwickelte Grundkonzept, aber nicht nur das. Täglich kommen neue Ideen, Gedanken, Abläufe hinzu, alles wird festgehalten. Sie ist sehr gut organisiert, es gibt ausführliche Probenprotokolle. Aber noch wichtiger ist die praktische Entwicklungsarbeit.

      Michael Vogel und sie arbeiten das erste Mal zusammen. Er ist etwas jünger, sympathisch, ruhig, reflektiert. Er ergänzt die quirlige Gardi Hutter gut. Ausserdem bringt er viel Erfahrung mit als Regisseur, Autor, Schauspieler und künstlerischer Leiter der internationalen Theatertruppe Familie Flöz, die komödiantische, poetische und meist nonverbale Stücke auf die Bühne bringt. Er weiss, worum es geht, er hat ein gutes Auge für die Entwicklung von Szenen, und Gardi sagt: «Wir haben einen ähnlichen Humor. Wir lieben es, zusammen hin und her zu fantasieren, Absurdes und Schräges zu finden. Ich mag, dass er so uneitel ist. Wir amüsieren uns arbeitend, in lockerer Stimmung.» Sie schätzt das besonders, weil die Zusammenarbeit im Theater schnell emotional wird. Es gibt viele Reibungsflächen, viele irrationale Zerwürfnisse. «Man gibt sich im Theater immer als ganzer Mensch und muss sich oft auf ein inneres Chaos einlassen, und da prallen dann die Emotionen eben oft auch aufeinander.»

      Sie hat in jenem September eine Wohnung in Berlin gemietet, die der Trapezkünstlerfamilie Die Maiers gehört. Sie verdienen mit «Luft- und Bodenunfug» ihr Geld und haben für ein paar Wochen ein Engagement in Amerika. Die Wohnung ist ideal zum Proben, denn sie verfügt über eine riesige, 48 Quadratmeter grosse, neun Meter hohe Küche. Eher ein Proberaum mit angegliederter Küche. Jedenfalls gibt es genügend Platz, um sich Dinge auszudenken und auszuprobieren. Michael Vogel und Gardi Hutter hängen das Segel auf und beginnen, sich zu überlegen, wie man die Grundidee umsetzen könnte: Der Tod stellt Hanna nach, sie bettelt und fleht: «Nur noch eine letzte Zigarette, eine letzte Mahlzeit, eine letzte, eine letzte, eine letzte …»

      «Am ersten Probentag möchte ich immer den Beruf wechseln. Das Gefühl von Verlorenheit und Talentlosigkeit ist unerträglich», schreibt Gardi Hutter in ihren Aufzeichnungen zum Werkbuch «Die Schneiderin». Doch dann entwickeln sich Ideen Schritt für Schritt, mit Ausprobieren, Diskutieren, Verwerfen. «Es ist ein Im-Dunkeln-Tappen, und ich leuchte mit der Taschenlampe umher, und ab und zu erkenne ich im Lichtkegel etwas Brauchbares», schildert Gardi Hutter den kreativen Prozess. Vier Wochen lang beschäftigen sie und Michael Vogel sich mit dem szenischen Erfinden des Stücks. Danach steht das Grundgerüst. Anfang Oktober werden Freunde und Bekannte zu einer Probevorstellung in die Wohnung eingeladen. An welchen Stellen lachen sie, was funktioniert, was nicht? Im Anschluss wird diskutiert, und es zeigt sich, dass die Probezuschauer nicht verstehen, wie die Schneiderin stirbt, dass sie nämlich in ein Paket fällt und per Post wiederkehrt. Die Schlussszene ist aber essenziell für das Stück, deshalb braucht es eine neue Idee. Nur welche? Regisseur und Künstlerin beschliessen, dafür in einigen Monaten eine eigene Probenwoche anzusetzen, und gehen auseinander. Sie verbringen den Winter mit anderen Aktivitäten. Gardi Hutter ist unterwegs, tritt als Hanna auf, sorgt für ihr Einkommen.

      Die Sommermonate verbringt sie im Tessin, wo sie in Arzo wohnt, ganz im Süden des Kantons, unweit von Mendrisio, nahe der italienischen Grenze. Im Juni und Juli 2010 entsteht bei Urs Moesch in Verscio das Bühnenbild. Moesch ist gleich alt wie Gardi. Er begleitete Clown Dimitri viele Jahre als Techniker auf dessen Tourneen und macht Bühnenbilder. Gardi Hutter legt mit Hand an. Sie hämmert und zimmert gerne, malt den grossen Schneidertisch auf alt um. Sie ist praktisch begabt, hat eine Werkstatt in ihrem Haus in Arzo, und als Ausgleich zur Arbeit schnitzt sie am liebsten an alten Wurzeln herum. Ideen entwickeln, dramaturgische Bögen erfinden, spielen sind das Zentrale ihres Berufs, aber sie liebt auch alles Handwerkliche, das er mit sich bringt. Das Ein- und Ausräumen, das Auf- und Abbauen, das Werken, Tüfteln und Problemelösen. Zur selben Zeit wie die Bühnenausstattung werden in Verscio die Kostüme gefertigt; Anna Manz, die ihr Atelier gleich neben Urs hat, näht sie. Gardi hat klare Vorstellungen, es soll nicht einfach ein farbiges Gewand her. Das Kostüm soll etwas über die Figur erzählen. Die Schneiderin trägt am Ende ein Kleid aus lauter Stoffresten.

      Ebenfalls im Sommer werden die Gags entwickelt. Dafür kommt Gardi Hutters Ex-Mann Ferruccio Cainero für eine Woche ins Tessiner Dorf Camedo. Dort hat die Clownin einen Proberaum in einer umgebauten alten Textilfabrik gemietet. Ferruccio Cainero ist nicht nur Gagspezialist, er kennt auch die Figur der Hanna am besten. Sie haben sie damals gemeinsam entwickelt, als sie zusammen in Mailand lebten.

      Und dann die letzten grossen Proben von Ende August bis Ende Oktober in Berlin. Sie sind im TISCH, im Theater im Schokohof, eingemietet, einem kleinen Studiotheater in Berlin-Mitte, das sich heute nur noch «Schokoladen» nennt.

      Ende Oktober ist das Stück so weit, man kann es einem kleinen Publikum zeigen. Erst kommen Freunde und Bekannte, dann auch unbekannte Theaterinteressierte. Pro Abend schauen sich zwanzig bis dreissig Leute die Probevorstellungen an. Gardi Hutter und Michael Vogel registrieren während der Aufführungen genau, an welchen Stellen gelacht wird und wo nicht und bitten das Publikum, seine Meinung ohne Rücksicht zu äussern. Auf diese Art finden die Endproben statt.

      Nach einer dieser Vorstellungen läuft ein Zuschauer Gardi Hutter bis zur U-Bahn-Station nach, weil es ihm wichtig ist, ihr persönlich zu erklären, weshalb sie auf der Bühne auf keinen Fall verständlich sprechen dürfe, dass mache doch ihre Figur kaputt. Das Grammelot, das lautmalerische Sprechen, gehört essenziell zum Spiel der Hanna. Aber diesmal sind Gardi Hutter und Michael Vogel der Meinung, dass die Schneiderin ein paar witzige Sätze sagen soll. Beide brechen gerne Regeln. Schliesslich beherzigen sie die Kritik des Zuschauers aber doch: Hanna spricht nicht auf der Bühne, aber wenn sie ins Publikum springt, darf sie auch mal reden. So erbettelt sie beispielsweise von den Zuschauern ihre «letzte Zigarette», und als sie auf dem Paket «Rauchen ist tödlich» liest, schreit sie den Zigarettenspender an: «Wollen Sie mich umbringen?!»

      PREMIERENFIEBER

      Gardi Hutter fährt ihren grauen Tourbus – auf dem die vier Figuren Affe, kauernder und aufrechter Mann sowie Clown abgebildet sind – mit der ganzen Ausrüstung Anfang November von Berlin nach Stuttgart. Bühnenbildner Urs Moesch hat von Anfang an alles so geplant, dass sich das ganze Bühneninventar zusammenklappen und im 3,5-Tonnen-Lieferwagen verstauen lässt, denn so geht Gardi Hutter anschliessend auf ihre Tourneen.

      In Stuttgart angekommen, bleiben ein paar Tage Zeit, um vor Ort alles einzurichten und zu proben. Unendlich viele Details sind immer noch zu klären. Es wird geklebt, genagelt, die Technik eingerichtet, mit doppeltem Beamer, doppeltem Computer für die Videoprojektionen im Spiegel. Alles ist abgesichert. Gardi Hutter muss sich vor dem Publikum zu hundert Prozent auf das Team hinter der Bühne verlassen können, damit sie die Freiheit hat, zu spielen. Sie steht zwar alleine im Scheinwerferlicht, aber im Hintergrund arbeiten immer ihre beiden Techniker mit, die sie zu jeder Aufführung begleiten, sowie zwei, drei Leute vom jeweiligen Theater.

      Die Spannung steigt. «Ich schlafe vor jeder Premiere extrem schlecht, und eigentlich würde ich dann am liebsten mit niemandem mehr sprechen», sagt sie. Aber natürlich interessieren sich die Medien, was gut für die Publizität ist, und so gibt Gardi Hutter eben Interviews.

      Eine Stunde vor Premierenbeginn sind ihre Nerven zum Zerreissen gespannt. Sie macht Körperübungen auf der Bühne, versucht, sich zu konzentrieren, die Energie zu bündeln. Doch da ist die Kamera der Schweizer Nachrichtensendung «10 vor 10», und ein Journalist hält ihr das Mikrofon vors Gesicht. Man spürt ihre Nervosität, aber sie bleibt Profi, antwortet, obwohl sie in diesem Moment eigentlich nur eines möchte: ihre Ruhe. «Die Anspannung ist jenseitig», sagt sie ins Mikrofon, und man glaubt es ihr. «Ein Jahr Arbeit muss nun durch diesen ganz engen Kanal, durch diese Premiere, und es steht so viel auf dem Spiel.»

      Das СКАЧАТЬ