Trotz allem - Gardi Hutter. Denise Schmid
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Название: Trotz allem - Gardi Hutter

Автор: Denise Schmid

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783039199679

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СКАЧАТЬ im Rheintal, Rebellion, Schauspielausbildung, erste Schritte im Beruf in Italien, Entwicklung der weiblichen Clownfigur, ein Mann, zwei Kinder, eine Scheidung, Wohnsitz im Tessin, grosser Erfolg im In- und Ausland. Ein Leben in Stichworten, aber ich bin neugierig darauf, die Persönlichkeit dahinter kennenzulernen. Mit dem Prozess der Arbeit entdecke ich die Ursprünge und Konturen ihres Lebenslaufs. Ihre Rebellion, ihren Feminismus, ihre soziale Einstellung, ihr Umweltbewusstsein – all das geht auf den Geist der Achtundsechziger zurück. Sie war während ihrer Schulzeit in St. Gallen selbst aktiv in einer politischen Gruppierung. Sie testete alle Grenzen aus, vom LSD-Trip bis zur freien Liebe. Gardi Hutter hat viele Rollen gespielt, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Leben. Sie war katholische Internatsschülerin, politische Linksaktivistin, Hippiemädchen, eine Zweifelnde, Suchende und irgendwann eine erfolgreiche Künstlerin, Unternehmerin, Mutter und unabhängige Frau. Sie wollte kein Durchschnittsleben führen, und sie wollte Erfolg haben – beides ist ihr gelungen. Dass das nicht nur einfach war, dass dazu Jahre der Selbstzweifel, Verluste und Niederlagen gehörten, davon wird hier auch erzählt. «Ich will keine beschönigende Biografie», sagte sie im ersten Gespräch. Daran hat sie sich, mutig und offen, wie sie ist, beim Erzählen ihres Lebens gehalten.

      2010

      Eine Schneiderin muss sterben

      Da sitzt ein weibliches, unförmiges Wesen mit verfilztem Haar, roter Nase und Flickenkleid schelmisch lachend in einem überdimensionierten Nähkasten: Gardi Hutter als ihre Bühnenfigur Hanna. Diesmal ist sie eine Schneiderin. Es ist der 28. Oktober 2010. Gardi Hutters neues Stück hat Premiere im Theaterhaus Stuttgart. Ein voller Saal mit mehreren Hundert Menschen. Sie schauen zu, wie sie sich mit dem Faden abmüht, der nicht gleich durchs Nadelöhr will. Wie sie näht und brabbelt, elastisch vom Tisch springt, mit übergrossen Fadenspulen hantiert, eine lange Nadel verschluckt und sie mithilfe eines Magneten wieder aus dem Körper lockt. Fünf frei schwingende Schneiderpuppen hängen an einem Kleiderkarussell über ihr. Abgründe tun sich auf; sie soll sterben, will nicht, kämpft mit ihrer Seele im Spiegel, versucht, sie von der Himmelfahrt abzuhalten. Am Ende stirbt sie doch. Das Publikum geht siebzig Minuten lang mit, lacht und jubelt. «Die Schneiderin» wird zu dem Erfolg, den Gardi Hutter sich erhofft hat. Ein Kulminationspunkt in ihrem Leben. Sie ist 57 Jahre alt, seit drei Jahrzehnten als alterslose Clownin unterwegs. Zwei Jahre Vorbereitungsarbeit liegen hinter ihr. Dieses Stück bündelt ihre dreissigjährige Bühnenerfahrung als weiblicher Clown, als Hanna, als kreative Künstlerin. Mehr noch, es steckt die ganze Gardi Hutter darin, auch die ehemalige Achtundsechzigerin, die Feministin und das kleine Mädchen, das im St. Galler Rheintal in einem Haus aufwuchs, in dem die Eltern unten Kleider verkauften und das Kinderzimmer oben neben dem Schneideratelier lag.

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      Der Tod spielt im Jahr 2010 nicht nur im Stück «Die Schneiderin» eine Rolle, sondern auch in Gardi Hutters Privatleben. Ihr Vater, Erwin Hutter, ist ein halbes Jahr vor der Premiere, mit 91 Jahren, gestorben, ihre Mutter bereits 2005. Beide waren gelernte Schneider. Gardi Hutter konnte dem Vater noch von der neuen Idee für das Stück erzählen, als sie zu reifen begann. Er war begeistert, suchte sein altes Arbeitsmaterial zusammen und übergab es der Tochter. Wie gerne hätte er das Stück gesehen. «Meine Eltern hätten sich beide extrem darüber gefreut», sagt sie und fügt an: «Ist das nicht verrückt? Da habe ich so viel getan, um meine Herkunft hinter mir zu lassen, ein anderes Leben zu führen, und dann stehe ich mit Ende fünfzig als Schneiderin auf der Bühne.»

      INTENSIVES SUCHEN, FINDEN, ERFINDEN

      Doch Gardi Hutter ist eine ganz andere Schneiderin, als ihre Eltern es je waren. Lautet ihr eigener Beruf «Clown» oder «Clownfrau»? «Clownin» oder «Clownesse», wie es im Duden steht? Beim richtigen Begriff beginnt schon die erste Frage. «Clown» ist Englisch und daher neutral, aber eben eher männlich neutral. Denn männliche Clowns gibt es seit Jahrhunderten, weibliche dagegen sind ein Novum, ein Phänomen der weiblichen Emanzipation im 20. Jahrhundert. Oder gab es auch schon früher vereinzelt Frauen, die sich die Narrenfreiheit nahmen, und die Geschichtsschreiber haben sie nur ignoriert und am Ende vergessen?

      Gardi ist nie warm geworden mit einer der bestehenden Spezialbezeichnungen. Sie will Clown sein, kein weiblicher Sonderfall. Schon früh in ihrer Karriere findet sie zu dem, was sie als ihren «Brand», ihre Marke bezeichnet: «Bei einem Auftritt in Duisburg 1983 versprach sich der Veranstalter. Er verdrehte Clown und Wäscherin und kündigte mich als ‹Clownerin› an. Ich war sofort begeistert: wenn schon stolpern, dann richtig. So hatte ich nicht nur eine eigene Figur, sondern auch gleich eine eigene Sparte.» Fortan bezeichnet sich Gardi Hutter als «Clownerin».

      Es ist ein sehr besonderer Beruf, alleine auf der Bühne zu stehen, mehr als eine Stunde zu spielen, das Publikum zum Lachen zu bringen, zu verführen, zu bezaubern. Gardi Hutters Programme haben Tiefgang und Poesie. Das Schreckliche und das Lustige, das Traurige und das Schöne liegen immer nah beieinander. Es steckten viel Arbeit und Risiko in jeder neuen Produktion. Seit sie ihre Figur Hanna 1981 fand, lässt sie sich alle paar Jahre auf eine neue Erzählung dazu ein. Hanna war schon Wäscherin, Hexe, Maus, Souffleuse, Schaustellerin und Sekretärin.

      In der Schneiderin steckt Gardi Hutters jahrzehntelange Bühnenerfahrung, und mit dem Thema Tod nimmt sie etwas auf und stellt sich in eine Tradition, die weit in die Vergangenheit zurückreicht. Harlekine, Buffoni, Clowns – sie alle haben schon seit Urzeiten mit der Idee des Schreckens gespielt und damit, dass sie uns durch die Überzeichnung, durch das Groteske zum Lachen bringen und für einen kurzen Moment so etwas wie Erlösung schenken. Gardi Hutter hat sich über längere Zeit mit diesem historischen Aspekt auseinandergesetzt.

      Zum Beispiel damit, dass Clowns mit der ursprünglichen Form des Berufsschauspielers mehr zu tun haben als die heutigen Schauspieler, die man theaterhistorisch eher als «Darsteller» oder «Interpreten» bezeichnen müsste. Ursprünge und Parallelen findet man weit zurück überall dort, wo Menschen archaische Feste feierten, ihre Ängste in Rituale bannten, Masken trugen, tanzten und versuchten, dem Tod seinen Schrecken zu nehmen. Vorläufer der Clownfigur sind die Zanni der Commedia dell’Arte. Sie sind Dienerfiguren, die meist der bäuerlichen Schicht entstammen, darunter Arlecchino, Brighella, Pulcinella, Truffaldino und die weibliche Figur der Colombina, die keine Maske trägt und kokett gekleidet ist. Die Commedia dell’Arte entsteht im Italien des 16. Jahrhunderts. In etwa zur gleichen Zeit entwickelt sich im deutschsprachigen Raum das Stegreifspiel mit Hanswurst und im englischen Theater die Figur des Clowns. Letztere treten ab Anfang des 16. Jahrhunderts in den Pausen von Bühnenstücken auf. Shakespeare baute Clowns in «Othello» (1603) und «Ein Wintermärchen» (1606) ein, beide Male als etwas unterbelichtete Bauerntölpel. Das Spektrum der Darstellung und die Entwicklung des Clowns sind äusserst facettenreich. Im 19. Jahrhundert entwickeln sich die Zirkusclowns und bleiben bis in die Gegenwart fester Bestandteil jedes Programms. Gardi Hutter reiht sich ein in die bunte Schar von Spassmachern wie Clown, Buffone, Harlekin, Hanswurst, Narr, August, Pajass, Pulcinella und Pierrot und stellt ihnen eine Schwester vor die Nase.

      Ihr Wissen um die Hintergründe und die Entwicklung der Clownfiguren nimmt Gardi mit in die Gespräche mit Dominik Flaschka im April 2009. Der Tod soll im neuen Programm das Leitthema sein. Sie hat dazu ein Konzept verfasst. Und der physische Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist ein Segel. 2011 war Gardi Hutter mit Freunden auf einem Segeltrip im Bermudadreieck. Dabei ging ein Segel kaputt, sie bekam es geschenkt und dachte: Damit möchte ich mal etwas machen. Und dann kommt bald einmal die Idee der letzten Reise dazu und weitere Ideen. Sie könnte sich in das Segel einwickeln und damit zum Wickelkind, zur Braut oder zur Mumie werden. Sie diskutiert tagelang mit Regisseur und Autor Flaschka, ob die Figur im neuen Stück womöglich eine Seefahrerin sein könnte oder vielleicht eine Schneiderin, die das Segel näht? Gibt das genügend her? Sie hat noch nie eine Schneiderin auf der Bühne gesehen, aber es gibt so viele weibliche Rollen, so viel weibliches Leben, das noch СКАЧАТЬ