"... damit eure Freude vollkommen wird!". Sebastian Kießig
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СКАЧАТЬ miterleben: Nur noch ein kleines silbernes Kreuz am Revers unterschied den Gemeindepfarrer von anderen politischen Aufklärern auf so mancher Anti-Atomkraft-Demonstration oder Gewerkschaftstagung für mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Dieser Priestertypus hielt es für genauso relevant, „Allerwelts-Gespräche“ mit jungen Leuten auf der Straße zu führen oder bei der Bewältigung von Lebenskrisen beizustehen, ohne zwangsläufig „zum theologisch Wesentlichen“ vorzustoßen.60

      Auch in den überall ab der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre aus dem Boden schießenden Neuen Sozialen Bewegungen entdeckten jüngere Katholiken das Potenzial, ihrem christlichen Glauben Ausdruck zu geben: So waren die ersten Wähler der „Grünen“ um 1980 fast zur Hälfte katholischer Konfession; rückblickend lassen sich unschwer beträchtliche, bis in die Gegenwart fortwirkende Schnittmengen katholisch-kirchlicher und ‚grüner‘ Positionen ausmachen, vor allem in der Ökologie (Bewahrung der Schöpfung). Die engagierte Katholikin und ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (*1960) antwortet auf die Frage, was sie in ihrer Jugend in die Politik getrieben habe, rückblickend ohne Umschweife: „die Kirche.“61 Offenkundig agierten katholische Jugend-Organisationen als Transporteure von Ideen und Handlungsmustern zwischen „Grünen“ und der katholischen Kirche – und zwar vice versa, in beide Richtungen.

      7. Ausblick: „Megaparty Glaubensfest“ oder „Jesus ja – Kirche nein“?

      Spätestens mit dem Pontifikat Johannes Pauls II. (1978-2005), einem der längsten der gesamten Kirchengeschichte, wurde die katholische Kirche zu einem global player. Dazu dürfte nicht unerheblich das hohe Programm an Reisen, der interreligiöse Dialog und die politische Stellungnahme des Karol Wojtyła im Umfeld der polnischen Solidarność-Bewegung zu Beginn der 1980er-Jahre beigetragen haben.62 Während gegen Lehrworte seine Vorgänger mitunter erbittert von einem Teil der katholischen Jugend protestiert wurde, man denke nur an Humanae vitae, gelang es diesem Pontifex, nicht nur jüngere polnische Katholiken aus dem Umfeld der obengenannten Gewerkschaft zu begeistern, sondern auch Jugendliche weltweit für den Katholizismus (neu) einzunehmen: Der Medienstar Johannes Paul II. etablierte seit 1984 Weltjugendtage, die regelmäßig Hunderttausende Jugendliche in die Großstädte dieser Welt locken, um gemeinsam den Glauben zu zelebrieren. Auch seine Nachfolger, allen voran Joseph Ratzinger (2005-2013), konnten von diesem Phänomen profitieren – die „Generation Benedikt“ (seit 2013: katholisches Mediennetzwerk „Pontifex“) umfasst ein jüngeres Team von Katholiken, die sich aufs Engste mit dem Papstamt verbunden weiß und im wahrsten Sinne des Wortes als Brückenbauer zwischen Kirche und Gesellschaft wirken wollen.63 Kritiker fragen, ob den Teilnehmenden mit einer „Megaparty Glaubensfest“ die wesentlichen christlichen Glaubensinhalte präsent sind. Macht für viele nicht schon der Event als solcher den besonderen Reiz aus?64

      Gleichzeitig muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch der Wojtyła-Papst polarisierte – vor allem mit Lehrentscheidungen zur Amtshierarchie, zur Stellung der Frau und zur Familie. Nicht wenige katholische Jugendliche entschieden sich in den 1980er- und 1990er-Jahren für die Parole „Jesus ja – Kirche nein“. Was sich bereits seit den 70er-Jahren abzeichnete, hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr verdeutlicht: Jugendliche haben in einer Gesellschaft wie der gegenwärtigen bundesdeutschen mannigfaltige Optionen zur persönlichen Sinnfindung und spirituellen Verdichtung. Ihnen eine Sinnperspektive als Christ und innerhalb der katholischen Kirche neu aufzuzeigen – dafür ist die für Oktober 2018 anberaumte 15. Bischofssynode „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsentscheidung“ ein wichtiger Meilenstein, wie diese historische tour de force aufgezeigt hat.

      1 Vgl. Key, Ellen, Das Jahrhundert des Kindes. Übertragung von Francis Maro, Weinheim u. a. 1992 (Erstausgabe 1902).

      2 Zur Verhältnisbestimmung zwischen Kindheit, Jugend und Christentum grundlegend Lutterbach, Hubertus, Kinder und Christentum. Kulturgeschichtliche Perspektiven auf Schutz, Bildung und Partizipation von Kindern zwischen Antike und Gegenwart, Stuttgart 2010.

      3 Vgl. Damberg, Wilhelm, Jugendbewegung, Liturgie und Kirchenbegriff. Ein Beitrag zum Verhältnis von Charisma und Amt im 20. Jahrhundert, in: Althaus, Rüdiger / Lüdicke, Klaus / Pulte, Mattias (Hrsg.), Kirchenrecht und Theologie im Leben der Kirche. Festschrift für Heinrich J.F. Reinhardt (= Beihefte zum Münsterischen Kommentar Bd. 50), Essen 2007, 479-491, hier 479.

      4 Vgl. Herrmann, Ulrich (Hrsg.), „Mit uns zieht die neue Zeit…“. Der Wandervogel in der deutschen Jugendbewegung, Weinheim u. a. 2006.

      5 Berning, August Heinrich, in: Schildgenossen Nr. 3 (1923), 185.

      6 Vgl. Schneider, Bernhard, Daten zur Geschichte der Jugendbewegung unter besonderer Berücksichtigung des Pfadfindertums 1890-1945 (= Geschichte der Jugend Bd. 16), Münster 1990, 7.

      7 Vgl. Mogge, Winfried, „Ihr Wandervögel in der Luft…“. Der Wandervogel in der deutschen Jugendbewegung, Würzburg 2009, 9-123.

      8 Vgl. Giesecke, Hermann, Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend. Jugendarbeit zwischen Politik und Pädagogik, München 1981, 11-37.

      9 Vgl. Damberg (wie Anm. 3).

      10 Kösters, Christoph / Damberg, Wilhelm, Katholische Jugend 1930-1960: Zwischen liturgischer Altargemeinschaft und Berufsverband. Das Beispiel des Bistums Münster, in: Kersting, Franz-Werner (Hrsg.): Jugend vor einer Welt in Trümmern. Erfahrungen und Verhältnisse der Jugend zwischen Hitler- und Nachkriegsdeutschland, Weinheim 1998, 19-48, hier 21.

      11 Vgl. Damberg (wie Anm. 3), 481f.

      12 Vgl. Kösters / Damberg (wie Anm. 10), 22.

      13 Vgl. Kleymann, Siegfried, „… und lerne, von dir selbst im Glauben zu reden.“ Die autobiographische Theologie Joseph Wittigs (1879-1949), Würzburg 2000.

      14 Wittig, Joseph, Jesus, Soziale Frage und Christliche Revolution, in: Hochland 19 (1921/1922), 587-596, hier 588.

      15 Guardini, Romano, Die Kirche erwacht in den Seelen, in: Ders., Vom Sinn der Kirche, Mainz 41955, 19-38, hier 19.

      16 Vgl. Schmid-Keiser, Stephan, Aktive Teilnahme. Kriterium gottesdienstlichen Handelns und Feiern. Zu den Elementen eines Schlüsselbegriffes in Geschichte und Gegenwart des 20. Jahrhunderts, 2 Bde., Bern 1985.

      17 Vgl. Kösters / Damberg (wie Anm. 10), 24.

      18 Später sollte von Galen sehr wohl erkennen, wie wichtig die Jugendbewegung war, um Jugendliche an Kirche zu binden. Vgl. Damberg, Wilhelm, Die Bischöfe von Münster und die liturgische Erneuerung, in: Richter, Klemens / Sternberg, Thomas (Hrsg.), Dem Konzil voraus. Liturgie im Bistum Münster auf dem Weg zum Zweiten Vatikanum, Münster 2004, 17-38, hier 24f.

      19 Vgl. Schulte-Umberg, Thomas, Profession und Charisma: Herkunft und Ausbildung des Klerus im Bistum Münster 1776-1940 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte Reihe B: Forschungen Bd. 68), Paderborn 1999, 424.

      20 Vgl. Damberg, Wilhelm, Kriegserfahrung und Kriegstheologie 1939-1945, in: Theologische Quartalsschrift 182 (2002), 321-341.

      21 Dazu grundlegend die Arbeiten von Josef Pilvousek. Vgl. etwa Ders., Die katholische Kirche in der DDR. Beiträge zur Kirchengeschichte Mitteldeutschlands, Münster 2014.

      22 Vgl. Hirtenwort des deutschen Episkopats vom 23. August 1945, in: Volk, Ludwig (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945 Bd. VI: 1943-45 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Bd. 38), СКАЧАТЬ