Nacht im Kopf. Christoph Heiden
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Название: Nacht im Kopf

Автор: Christoph Heiden

Издательство: Автор

Жанр: Триллеры

Серия:

isbn: 9783839269626

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СКАЧАТЬ rauchen.«

      »Die anderen, die anderen«, wiederholte Frank genervt. »Siehst du hier irgendwelche anderen Gäste?«

      »Pscht, das ist mein absolutes Lieblingslied.«

      »Was? ›Dancing Queen‹?«

      »Ja, schon immer.«

      »Und deshalb gilt das Rauchverbot nicht für dich?«

      »Okay«, sagte Erika sanft, »ausnahmsweise.« Sie bugsierte einen Aschenbecher zwischen sich und Bielecke und steckte sich selbst eine Zigarette an. Frank knautschte den Schirm seiner Mütze und seufzte. Auf Erikas Frage, wie es ihm gehe, antwortete Bielecke mit dem abgeschmackten Witz von den zwei Fliegen auf dem Weg zur Hölle. Erika bog sich vor Lachen, während Frank es bei einem Kopfschütteln beließ.

      Noch eine Stunde, bis sie den Laden öffneten; das hieß gleichfalls eine Stunde mit Bieleckes Weisheiten. Es kostete ihn schon Mühe, die abendliche Feier kommentarlos hinzunehmen, das ganze Tamtam, das Erika und Krügers Frau veranstalteten. Seinetwegen hätten sie die Feier mit einer billigen Ausrede abblasen können; aber für Erika war es wohl mehr als ein schnöder Geburtstag. Es war ihr Goodbye zu den Freunden und Nachbarn, der ganzen Meute und auch zu einer Landplage namens Bielecke.

      Mit einem Knurren zog Frank eine Flasche »Lübzer« aus dem Kühlschrank und schob sie ihm hin. Bielecke bedankte sich in gespieltem Eifer und langte zu. Seine Fingernägel machten den Eindruck, als wären sie sein Lebtag von schweren Hufen malträtiert worden. Frank war ein solcher Anblick nicht fremd: Sein Vater hatte auf der LPG »Märker Land Gollwitz« gearbeitet, höchstens 20 Fahrminuten von hier, und dessen Fußnägel waren vom Getrampel der Kühe einen halben Zentimeter dick gewesen. Grauer, scharfkantiger Schiefer, bei dem selbst robuste Nagelscheren versagten. Bielecke, der seit Urzeiten an der Flasche hing, hatte garantiert noch nie einen Stall von innen gesehen. Woher ausgerechnet der solche Schippen hatte, war Frank ein Rätsel.

      Erika jedenfalls schien sich mit ihm bestens zu unterhalten.

      Frank warf ein, er wolle kurz in den Keller. »Werkzeug holen.«

      »Wozu das denn?«, fragte sie ihn.

      »Der Zapfhahn ist verstopft.«

      »Wir lassen die Anlage eh aus.«

      Er rollte mit den Augen. »Du weißt schon, der Zapfhahn.«

      »Ihr stecht ein Fass an?«, fuhr Bielecke dazwischen. »Und mir serviert ihr diese Plörre?«

      Frank krallte seine Finger in die Mütze und wünschte sich auf die Klippen von Land’s End. Er verließ die Kneipe, und sowie er die Hintertür von draußen schloss, stellte er fest, dass dort tatsächlich kein Schild hing. Es lag, keine zwei Meter entfernt, im Dreck.

      I Wanna Dance With Somebody

      Als Erika nach der Tüte mit den Papierhütchen und den Spaßbrillen griff, schenkte ihr Frank einen seiner vier Gesichtsausdrücke; in diesem Moment lautete die Botschaft schlichtweg: Muss das sein?

      Ja, es musste, gab sie ihm mit einem Lächeln zu verstehen. Sie zerrte den Packen aus der Tüte, und die Farben der Hüte und Brillen waren genauso verblasst wie die der Girlanden und Luftschlangen. Mehr darf die Meute eben nicht erwarten, dachte Erika. Immerhin hatte sie sich allein um die Dekoration kümmern müssen. Sie faltete einen goldfarbenen Hut auseinander, schob ihn sich auf den Kopf und lächelte breit in die Runde.

      »Mach mal lauter!«, rief René Berkholz, der sich ungeniert als Fan von Whitney Houston präsentierte.

      Eine Gruppe Mittvierziger hatte sich an einen Tisch gepflanzt und der Berliner Rundfunk versorgte sie unentwegt mit einem Mix aus Geschwätz und Oldies. In den Anfangstagen der Kneipe hatten Erika die Rod Stewarts dieser Welt kaum berührt, hatte sie weder einer Tina Turner noch einem Chris Rea, weder einer Kim Carnes noch einem Phil Collins etwas abgewinnen können. Für sie war die Musik lediglich Teil des Geschäfts gewesen – die Gäste tranken mehr, wenn sie in Nostalgie versanken. Warum sollte sie einer Vergangenheit nachtrauern, die nur in den Köpfen der Leute existierte? Weshalb sich nach einem Ort sehnen, den es ohnehin nicht gab und nie gegeben hatte? Um diese Sehnsucht zu verstehen, hatte es 24 Jahre Ehe und ein Leben in Kuxwinkel gebraucht.

      Sie trat hinter den Tresen, ignorierte Franks genervten Blick und stellte das Radio lauter. Dann klatschte sie im Takt von »I Wanna Dance With Somebody« in die Hände, bis sie den Zuspruch der Gäste registrierte. Sie sei einfach die Beste, grölte René Berkholz und hob den Daumen. Frank, der unablässig die Bierflaschen zählte, sagte:

      »Ausgerechnet die Kreische.«

      »Hey, so redet man nicht über Tote.«

      »Whitney Houston ist tot?«

      »Seit mindestens sechs Jahren.«

      »Das macht die Musik nicht besser.«

      »Okay, soll ich’s ausmachen?«

      »Einfach leiser, das reicht schon.«

      Kaum hatte sie die Lautstärke gemindert, bemerkte sie die enttäuschten Gesichter der Gäste. »Sorry!«, rief Erika. »Mein Alter ist ’n bisschen empfindlich auf den Ohren.«

      »Brauchst wohl was Jüngeres!«, brüllte René herüber.

      »Hast du jemand bestimmten im Auge?«

      »Du weißt doch: Der Gentleman schweigt.«

      »Der Gentleman kassiert gleich Hausverbot«, erwiderte Frank.

      Erika schüttelte kaum merklich den Kopf und er begriff sofort. »Jaja, alles klar«, sagte er und stellte das Radio wieder lauter. Er neigte sich zu ihr und fragte erneut, weshalb sie ausgerechnet für Krüger so viel Aufheben machten.

      »Das hab ich dir vorhin gesagt.«

      »Der Typ hat dich bedrängt.«

      »Jannes?« Sie lachte. »Der dackelt brav seiner Frau nach.«

      »Das sah am See aber anders aus.«

      »Frank, das ist 30 Jahre her.«

      Sie öffnete ein Paket Jägermeister und hielt Frank eine der kleinen Flaschen hin. Seit sich das Geschäft seines Lebens anbahnte, schien ihm jeder dumme Spruch von einem der Kerle Anlass zur Eifersucht. Dabei plagte ihn weniger die Sorge, er könne sie verlieren; vielmehr fürchtete er den eigenen Gesichtsverlust, den Mangel an Respekt ihm gegenüber, und das, obwohl ihm Kuxwinkel schnuppe war. Die Logik dahinter versuchte Erika erst gar nicht zu begreifen. Sie erinnerte ihn daran, weshalb sie diese Show abzögen. Auf sein Nicken hin öffnete sie ihr Fläschchen. »Prost«, flüsterte sie. »Unser Goodbye an die Meute.«

      »Trotzdem hätte ich mir das gespart.«

      »Tja, jetzt ist zu spät.«

      »Du willst sagen, mitgegangen, mitgehangen.«

      »Wenn schon Abgang, dann mit Paukenschlag.«

      Sie rang sich ein Lachen ab, und in seinem Gesicht formte sich ein Ausdruck, den sie in den letzten Jahren vermisst hatte, eine seiner vier Mienen, die tief verschüttet unter den übrigen СКАЧАТЬ