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СКАЧАТЬ Norden den Turm von Hohenbodman sehen. Er war ein Überbleibsel der mittelalterlichen Höhenburg der Herren von Bodman, die ihren Sitz vor Jahrhunderten verlassen hatten, um auf der anderen Seite des Bodensees einen neuen Stammsitz zu errichten. Nur der Turm war als stummer Zeuge ihrer Herrschaft im Linzgau übrig geblieben. Unterhalb am Hang waren die Burghöfe und weiter unten das Dorf Ernatsreute. Im Osten, jenseits der alten Dorfstraße, thronte auf einer Anhöhe der Hebsackhof des Heilig-Geist-Spitals von Überlingen. Er und der Haldenhof lagen sich wie mittelalterliche Trutzburgen gegenüber, doch waren die Besitzer keine Feinde, denn Andreas’ Cousin, Werner Neidhart, bewirtschaftete als Pächter das große Hofgut. Weiter im Osten hinter dem kleinen Speicher auf dem Haldenhof war ganz klein die Kirchturmspitze von Lippertsreute zu erkennen und im Süden bei klarem Wetter in der Ferne ein Stück des Bodensees. Von der Stube aus konnten die Biehles im Westen den Hang hinab auf den Schönbuchhof sehen und dahinter lag der Wald Fronholz. Von der Auffahrt unten an der alten Dorfstraße aus gesehen bildeten die Gebäude des Haldenhofs, allesamt aus rotem Fachwerk, eine fast kreisrunde Ansammlung: Links stand die Scheune mit Stall und Knechtkammer, dahinter ein Stück nach rechts versetzt der Speicher, geradeaus weiter hinten das Backhäuschen und auf der rechten Seite das große Wohnhaus. Hinter dem Speicher hatte Andreas’ Mutter einen großen Beerengarten angelegt und neben dem kleinen Backhäuschen war der Gemüsegarten des Hofes. Außer den umliegenden Streuobstwiesen gehörten knapp fünfundzwanzig Hektar an Feldern und Wiesen zum Gut. In den Ställen standen zwei Pferde, vierundzwanzig Milchkühe, fünf Kälber und zwei Ochsen. Dazu kamen fünf Mutterschweine mit ihren Jungen, etwa dreißig Hühner und ein aufmüpfiger Gockel, der schon oft den Reisigbesen von Andreas’ Mutter zu spüren bekommen hatte. Der Haldenhof war ein altes Erblehen der Deutschordenskommende Mainau, die einst die Ortsherrschaft über Lippertsreute ausgeübt und auch Güter in Ernatsreute besessen hatte. Schon um 1720 hatte August Biehle, ein Urahn von Andreas, den Haldenhof bewirtschaftet. Dieser hatte den Zins in Form des Großzehnten von seinem Getreide an die Ordenskommende und den Kleinzehnten in Form von Rüben oder Kartoffeln an die Pfarrei von Lippertsreute abliefern müssen. Da die Vorfahren der Biehles ihre Abgaben stets getreu an die Kommende leisteten, wurde die Pacht jedes Jahr erneut verlängert. Im Jahr 1841 hatte Andreas’ Großvater den Haldenhof gegen eine Zahlung von zweitausendeinhundertdreißig Gulden und sechzig Kreuzer abgelöst. Seither befand sich der Hof ununterbrochen im Eigenbesitz der Familie und es galt als selbstverständlich, dass er auch weiterhin in der Hand der Biehles bleiben sollte. Doch nun, zum ersten Mal in seiner Geschichte, drohte der Haldenhof an eine fremde Familie überzugehen, da Andreas nur Töchter zustande brachte, und das bereitete ihm zunehmende Sorgen. Als Großbauer lebte er zusammen mit seiner Frau Johanna, den Töchtern Magdalena, Elfriede und Theresia, seiner Mutter Ludovica und dem Knecht Vinzenz auf dem großen Hof. Je nach anfallender Arbeit war er auf weitere Helfer wie den Tagelöhner Georg Back angewiesen. Dieser kam seit Jahrzehnten auf den Hof und hatte bereits Andreas’ Vater bei der Arbeit unterstützt. Besonders während der Erntezeit war Georg für Andreas ein wichtiger Arbeiter. Aber da Georg sich heute auf dem Haldenhof nicht hatte blicken lassen und Andreas seinen Schwager Ernst nicht um Hilfe bitten wollte, musste der alte Stumpfer Gottfried ihnen helfen. Ansonsten passte ihm der dürre Georg als Arbeiter doch am besten. Dieser war zwar ein paar Jahre älter und manchmal seltsam, aber anpacken konnte er. Während Andreas sich an den vergangenen Abenden mit Vinzenz über die Arbeit und den Hof unterhalten hatte, hatte der dürre Georg ohne viele Worte mit ihnen am Tisch gesessen. Nach dem Vesper hatte er zufrieden an seiner Pfeife gezogen, Most getrunken und ihnen zugehört. Das war Andreas am liebsten, denn auf dummes Geschwätz konnte er gut verzichten. In letzter Zeit war er recht angespannt. Johanna stand kurz vor der Niederkunft und vielleicht sollte es nun endlich sein ersehnter Hoferbe werden. Aber die Angst, dass der Herrgott ihnen eine weitere Tochter bescheren würde, war groß. Jeden Sonntag betete Andreas deswegen in der Messe, dass seine Johanna ihm endlich einen Sohn zur Welt bringen würde. Er brauchte dringend einen Erben. Sein Cousin Werner Neidhart hatte ihn am Stammtisch im »Adler« deshalb schon oft aufgezogen.

      »Deinen Hof solltest du am besten in den ›Mädlehof‹ umtaufen!«, hatte Werner schadenfroh zu ihm gesagt und die anderen Bauern am Stammtisch hatten lauthals gelacht. Andreas ließ die Witze auf seine Kosten immer ohne große Regung über sich ergehen. Im Wirtshaus zeigte er sich stark und zuversichtlich, doch tief in seinem Inneren nagte die Angst zu versagen unaufhörlich an ihm wie ein hungriger Hund an einem Knochen. Auf seinem Heimweg vom »Adler« bis zum Haldenhof hing er immer nur diesem einen Gedanken nach. Das ging schon seit Wochen so. Wenn er abends nach Hause kam, sah Johanna ihm von Weitem an, dass ihn etwas bedrückte. Im Bett nahm sie oft seine Hand und sprach ihm zu, dass es sicher gut gehen würde. Andreas nickte dann schwermütig, streichelte ihr liebevoll über das Gesicht und drehte sich schließlich zum Schlafen auf die Seite.

      Ludovica

      In den vergangenen Wochen hatte Johanna ihrem Andreas oft Mut gemacht, doch auch sie selbst befürchtete insgeheim, dass sie wieder ein Mädchen zur Welt bringen würde. Mittlerweile war sie in der dreißigsten Woche schwanger. Ihr Ansehen als gute Hausmutter wäre in Zweifel gezogen, sollte auch diesmal ein Erbe ausbleiben. Hinzu kam, dass ihre Schwiegermutter, die Altbäuerin Ludovica, ihr Tag für Tag vorschreiben wollte, was sie zu tun und zu lassen hatte, damit der Hof endlich seinen männlichen Erben bekam.

      Diese Gedanken gingen Johanna durch den Kopf, als sie nach dem Mittagessen den Abwasch machte. Ludovica warf draußen die Küchenabfälle auf den Misthaufen und kam wieder in die Küche zurück. Die Altbäuerin war kurz vor dem sechzigsten Lebensjahr, doch für ihr Alter noch äußerst rüstig. Sie war von kleiner, aufrechter Statur und band ihre langen grauen Haare tagsüber immer zu einem Dutt zusammen. Ihre grüngrauen Augen schienen alles in ihrem Umfeld zu durchdringen. Ludovica redete immerzu und die Sätze schienen von frühmorgens bis spätabends nur so aus ihrem Mund zu sprudeln. Die Altbäuerin hatte an allem und jedem etwas auszusetzen. Mit einem vorwurfsvollen Blick sah sie Johanna an, die sich ein Glas mit frischer Milch eingeschenkt hatte. »Bei unserem Herrgott!«, wetterte sie. »Ich glaube, du willst einfach nicht auf mich hören! Jetzt habe ich dir schon ein paarmal gesagt, du sollst keine frische Milch trinken. Die muss zuerst abgekocht werden. Das tut dem Kind nicht gut!«

      »Aber, Ludovica, das macht doch nichts. Meine Mutter hat auch immer frische Milch vor der Niederkunft getrunken.«

      »Dann hat sie es besser vertragen als du!«, schnaubte Ludovica und warf sich die Stallschürze über das dunkle Trägerkleid. »Schließlich sollst du deinem Mann ein gesundes Kind zur Welt bringen! Schlimm genug, dass es bis jetzt nur Mädchen waren! Mein armer Bub braucht doch unbedingt einen Hoferben! Und dann trinkst du auch noch aus Trotz die frische Milch, dass das Kind womöglich schon von Geburt an schlecht dran ist!«

      Johanna hatte sich daran gewöhnt, dass ihre Schwiegermutter immer recht behalten wollte. Die junge Bäuerin ließ sich deswegen nicht aus der Ruhe bringen. »Ludovica, die frische Milch schadet dem Kind sicher nicht. Das hat auch die Liesl zu mir gesagt. Und dass der Andreas …«

      Mit einem Aufschrei krächzte Ludovica dazwischen. »Die Kräuterliesl?!« Vorwurfsvoll und ungläubig zugleich sah sie Johanna an. »Du wirst doch bei Gott nicht dem alten Heidenweib glauben?! Oder hast du jemals gesehen, dass sie eigene Kinder hat?«

      »Nein. Aber …«

      Johanna konnte nicht einmal recht antworten, denn Ludovica riss das Wort sofort wieder an sich. »Da hast du es! Glaub lieber deiner guten Schwiegermutter. Ich habe fünf gesunde Kinder auf die Welt gebracht, darunter drei Buben! Und der Hoferbe davon hat dich geheiratet und auf unseren Haldenhof geholt. Glaub mir und nicht dem komischen Kräuterweib im Wald!«

      Johanna atmete tief ein und wollte Ludovica von den vielen Heilungen der Liesl erzählen, doch sie hielt inne. Sie mochte ihre Schwiegermutter, auch wenn der Umgang mit ihr nicht immer einfach war. Manchmal waren ihre Ratschläge tatsächlich hilfreich. Nach mancher Diskussion waren sich die beiden Frauen einig geworden, doch wenn es um die Kräuterliesl ging, zischte die Altbäuerin wie eine angriffslustige Schlange. Ludovica hielt nichts von der Kräuterliesl, Johanna СКАЧАТЬ