Außer sich Fallbeispiel
Martha war außer sich, als Sie in die Praxis kam. Ein Paar Tage nach unserer letzten Sitzung war ihr klar geworden, dass sie meine Interventionen als Übergriff erlebt hatte, und war nun wütend auf mich. (In der vorhergehenden Stunde hatten wir Möglichkeiten erkundet, wie sie sich sammeln und zentrieren konnte und so die Kontrolle über ihre Grenzen aufrechterhielt. Martha war als kleines Kind sexuell missbraucht worden. Nachdem ich ihre Erlaubnis zu einem verbalen Experiment eingeholt hatte, sagte ich, ich würde ihr einen Finger in die Muschi stecken. Sie hatte die Aufgabe, gleichmäßig zu atmen, ruhig zu bleiben und laut und deutlich „Nein“ zu sagen.)
Ich fragte Sie, was genau sie als Übergriff erlebt habe. Nach längerem Zögern fiel ihr die Antwort immer noch schwer, es war der Moment gewesen, in dem ich das Wort „Muschi“ benutzt hatte. Ich bat sie, das Wort „Übergriff“ zu erklären, und gemeinsam fanden wir eine Definition: Es handelt sich um einen Übergriff, wenn man wider den eigenen Willen einem verletzenden Zwang oder Druck oder einem Einfluss irgendeiner Art zum Nutzen der Person, die diesen Zwang anwendet, ausgesetzt ist.
Als Martha danach mein Verhalten logisch und leidenschaftslos betrachtete, war ihr schnell klar, dass ich sie weder körperlich verletzt hatte noch irgendeinen persönlichen Nutzen aus der fraglichen Situation gezogen hatte. Ich hatte lediglich die Rolle des Angreifers in einer Selbstverteidigungsübung übernommen. Ich schlug ihr vor, das Gefühl, angegriffen zu werden, von einem tatsächlichen Übergriff zu unterscheiden. Dadurch, dass ihr bewusst wurde, ein Gefühl von etwas zu haben bedeute nicht notwendigerweise, dass dem ein wirkliches Ereignis entspricht, konnte sie sich von den intensiven Gefühlen, die sie überschwemmten, distanzieren. Das half ihr, wieder eine selbstbestimmte Haltung gegenüber ihren Gefühlen und ihrer Umgebung einzunehmen.
Intellektuell war sich Martha darüber im Klaren, dass ich sie nicht angegriffen hatte. Aber während wir über die Situation sprachen, geriet sie mehr und mehr außer sich und begann zu weinen. Ich ließ sie die Hände auf ihren Bauch legen und den Bauch beim Atmen nach außen pressen. Sie beruhigte sich sehr schnell und meinte erstaunt, normalerweise schmerze ihr Hals wenn sie sich zwinge, nicht zu weinen, jetzt aber sei sie einfach nur innerlich ruhig. Das machte ihr den Unterschied deutlich zwischen dem „negativen“ Versuch, etwas nicht zu tun, mit dem Weinen aufhören, und der „positiven“ Handlung, sich zu sammeln und zu zentrieren.
Dann gingen wir wieder zur Arbeit auf der Matte über. Wieder sagte ich zu Martha, ich würde ihr meine Finger in die Muschi stecken. Ich bewegte meine Hand so langsam auf ihren Schritt zu, dass sie viel Zeit hatte, ihren Bauch zu entspannen und zu atmen. Dann ließ ich sie meinen Arm wegstoßen, meine Haare fassen, meinen Kopf nach hinten ziehen, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen, und ließ sie mich zu Boden werfen. Sie war sehr überrascht, dass ihr das gelang, und wollte diese Sequenz sofort begeistert mehrmals wiederholen. Nachdem sie mich ein paar Mal auf die Matte geworfen hatte, verkündete sie, sie fühle sich großartig und ihr Körper würde prickeln, als ob er gerade aufwache.
* Falls es Sie interessiert, wie dieser Trainingsprozess in anderen Lebensbereichen außerhalb der Trauma- und Missbrauchsverarbeitung angewandt werden kann, informieren Sie sich bitte auf meiner Website www.being-in-movement.com.
* The Ethical Use of Touch in Psychotherapy. Mic Hunter & Jim Struve. Sage Publications, Thousand Oaks CA, 1997.
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