Christ sein – was ist das?. Matthias Beck
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Название: Christ sein – was ist das?

Автор: Matthias Beck

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783990404362

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СКАЧАТЬ rechte Mitte zwischen dem Handeln des feigen Soldaten, der im Straßengraben liegen bleibt und sich nicht heraustraut, und dem Tollkühnen, der blind ins Feld rennt. Das rechte Maß der Mitte ist die Feigheit, etwas zu überwinden und doch nicht blind ins Feld zu rennen, sondern klug zu entscheiden. Diese Mitte ist nicht nur die Mitte zwischen zwei Extremen, sondern im Maße, in dem der Mensch diese Mitte lebt, findet er auch seine eigene.

      Das Gegenteil dieser Tugenden sind die sogenannten Laster, die schon im vierten Jahrhundert von Evagrius Ponticus (345 – 399) zusammengefasst worden sind. Sie sind für viele Fehlentwicklungen verantwortlich. Es sind dies Hochmut (Eitelkeit, Stolz, Übermut), Geiz (Habgier), Wollust (Ausschweifung, Genusssucht), Zorn (Rachsucht, Vergeltung, Wut), Völlerei (Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht), Neid (Eifersucht, Missgunst) und Acedia (Faulheit, Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens). Dieser Lasterkatalog liefert den Hintergrund für die sieben Wurzelsünden (oft fälschlich als „sieben Todsünden“ bezeichnet), weil in ihnen die Abkoppelung des Menschen von Gott zum Ausdruck kommt und sie die Wurzel für viele andere Sünden in sich bergen. Ein Großteil des Fehlverhaltens von Menschen hat Maßlosigkeit zum Hintergrund. Vor allem aber stellen der Stolz, die Rachsucht und Vergeltung sowie der Verlust an geistiger Spannkraft und innere Erschlaffung (Acedia) eine große Gefahr für den Menschen dar.

      Dies ist ein erster philosophischer Zugang zur Frage, was Menschen im Tiefsten suchen und wie innere Haltungen auf dem Weg zum Glück helfen können. Es wird zu zeigen sein, dass das Christentum über diese Tugenden hinausgeht. Thomas von Aquin knüpft im Mittelalter an der aristotelischen Tugendethik an und erweitert diese um die christlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe. Glauben heißt dabei Vertrauen finden in den tragenden Grund des Lebens. Hoffnung bedeutet, über die Endlichkeit des Lebens hinauszublicken und darauf zu vertrauen, dass das Leben nicht im Nichts endet. Liebe meint die Liebe zu sich selbst, zum Nächsten, zu Gott.

      Ebenfalls im Übergang vom vierten zum fünften Jahrhundert hat Augustinus (354 – 430) über den freien Willen und über die Herkunft des Bösen nachgedacht: Der Mensch ist frei, sonst wäre jedes Lob für einen Schüler sinnlos11 und das Böse kommt seiner Meinung nach aus dem Menschen selbst, lässt man den Engelsturz einmal beiseite. Pico della Mirandola (1463 – 1494) wiederum nimmt im ausgehenden Mittelalter den freien Willen des Menschen als Zugang zur Beschreibung der Menschenwürde. Schließlich ist es Immanuel Kant, der im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert den Begriff der Menschenwürde genauer entwickelt. Die Menschenwürde wird zum zentralen ethischen Argumentationspunkt für die Menschenrechte und vieler Rechtssysteme. Der Einzelne steht im Mittelpunkt, ganz im Unterschied zu der sich in England am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts unter der Federführung von Jeremy Bentham (1748 – 1832) und John Stuart Mill (1806 – 1873) entwickelnden Ethikrichtung, die als Utilitarismus bezeichnet wird. Sie fragt nach dem größten Nutzen für die größte Zahl. Das klingt verlockend, lässt aber den Einzelnen weitgehend außer Acht. Gegenwärtig wird über eine Diskursethik von Jürgen Habermas (geb. 1929) gesprochen, die für einen herrschaftsfreien Diskurs eintritt. Ein solch herrschaftsfreier Diskurs auf Augenhöhe sollte auch zwischen den Religionen möglich werden. Darüber hinaus haben sich Bereichsethiken wie Medizinethik, Wirtschaftsethik, Medienethik, politische Ethik herausgebildet.

      Den Begriff der Menschenwürde kann man auf die Stoa und das jüdische Denken zurückführen, aber auch im Römischen Reich kommt er bei Cicero (106 – 43 v. Chr.) vor. Dort galt, dass der Mensch sich diese Würde durch ein bestimmtes Amt oder gutes Verhalten verdienen kann. Er konnte diese Würde erlangen, aber auch wieder verlieren, sie war abstufbar. Neben dieser römischen Tradition kommen aus der religiösen Dimension des Judentums Aussagen über den Menschen als Ebenbild Gottes, und bei Paulus heißt es, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Die hier beschriebene Gleichheit aller Menschen war für Römer und Griechen so nicht gegeben. „Im Mittelpunkt des antiken Denkens fanden wir die Annahme von der natürlichen Ungleichheit.“12

      Wie erwähnt wird im ausgehenden Mittelalter die Würde des Menschen an seinem freien Willen festgemacht, und schließlich ist es Immanuel Kant, der den Begriff der Würde im Unterschied zum Wert herausarbeitet. Dinge haben ihren Wert und ihren Preis, sie werden Sachen genannt, Vernunftwesen aber, die Personen genannt werden, haben Würde. Sie fallen aus der Wertkategorie heraus. „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“13

      Ein Glas, das einen Euro kostet und zu Boden fällt, kann durch ein anderes Glas ersetzt werden. Wenn aber ein Kind vom Wickeltisch fällt und stirbt, wäre es zynisch, den Eltern zu sagen: Ihr könnt ja ein neues Kind zeugen. Der Mensch hat keinen Preis und in diesem Sinn keinen Wert, er ist über jeden Preis erhaben, er hat Würde. Er ist einmalig und unersetzbar, er ist nicht ver-wert-bar und nicht be-wert-bar. Dinge und vernunftlose Wesen haben „nur einen relativen Wert, als Mittel, und heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst“14 achtet. Personen sollen also um ihrer selbst willen geachtet werden. „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel gebrauchst.“15 Diese sogenannte „Selbstzwecklichkeitsformel“ Kants bedeutet, dass der Mensch nicht für andere Zwecke missbraucht werden darf, als um seiner selbst willen geachtet zu werden. Man spricht vom Verbot der Totalverzweckung. Diese vollständige Verzweckung wäre gegeben, wenn ein Mensch nur dafür gezeugt würde, um ihm später alle Organe zur Transplantation zu entnehmen. Das wäre eine Totalverzweckung und widerspräche der Würde des Menschen. Dem Begriff der Würde ist der Begriff der Person an die Seite gestellt. Der Personbegriff stammt auch aus dem Römischen Reich. Im Lateinischen von personare abgeleitet, meint er die Maske des Schauspielers, durch die die Stimme des Schauspielers hindurchtönt (per-sonare). In Bezug auf den Menschen könnte man sagen, dass durch ihn eine andere (göttliche) Stimme hindurchtönen soll.

      Beide Begriffe der Würde und der Person zusammengenommen sagen etwas über die Hochschätzung des Individuums aus, das nicht verzweckt und nicht aufgrund seiner Herkunft, Geschlecht, Alter diskriminiert werden darf. Diese Auffassung von der Menschenwürde, die jedem Menschen aus sich heraus zukommt und ihm nicht von außen zugeschrieben oder aberkannt werden kann, liegt vielen Gesetzen moderner Staaten zugrunde.

      So lautet zum Beispiel Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes (und etwas anders in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union): „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art. 1 GG), und der zweite Artikel, der daraus folgt, lautet: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich“ (Art. 2 GG). Der erste Artikel des Deutschen Grundgesetzes beinhaltet eine Selbstbeschränkung des Staates. Er hat sich selbst auferlegt, niemals mehr so tief und vernichtend in die menschliche Intimsphäre einzugreifen, wie es zum Beispiel im Nationalsozialismus geschehen ist. Folgerichtig ist im Artikel 2 das Recht auf Leben und körperliche sowie in der Grundrechte-Charta auf geistige Unversehrtheit festgehalten. Ging es bei den Tugenden des Aristoteles um die innere Haltung des Menschen, geht es bei Kant und der Menschenwürde darum, etwas „Absolutes“ im Menschen festzumachen, das ihm niemals genommen werden kann. Daher kann auch der Artikel über die Menschenwürde im Deutschen Grundgesetz selbst mit hundertprozentiger Mehrheit des Deutschen Bundestages nicht aufgehoben werden. Er hat „Ewigkeitscharakter“. Daher wird der Artikel 79, Abs. 3, des Deutschen Grundgesetzes auch als „Ewigkeitsklausel“ bezeichnet. Eine Änderung dieses Artikels 1 ist unzulässig.16

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