Am Tag, als Walter Ulbricht starb. Jan Eik
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Название: Am Tag, als Walter Ulbricht starb

Автор: Jan Eik

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783955522445

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СКАЧАТЬ und eine Kollegin ganz besonders. Sie hieß Carola Weigang und war sieben Jahre jünger als er. Nicht dass er besonders auf ganz Junge abgefahren wäre – nein, sie war mit ihren 24 Jahren eine Frau, die wusste, was sie wollte, und damit wohl genau die Richtige für ihn. Obwohl sie neben all ihren – nicht allein körperlichen – Vorzügen mindestens zwei kleine Fehler besaß: Sie kam aus Sachsen, wo bekanntlich die schönen (und vollbusigen) Mädchen auf den Bäumen wuchsen, und ihre Eltern konnten nichts anderes als Bonzen sein. Das bestritt sie zwar vehement – aber wie waren die wohl sonst aus ihrer Wohnhöhle in einem Nest nahe dem umgetauften Chemnitz zu einer Drei-Zimmer-Komfortwohnung in der Rue de Blamage gekommen, jener auch Halb-und-Halb genannten Ex-Stalinallee, wo die Kacheln von den Hauswänden fielen? Den Namen Karl Marx sprach Hartmut selten aus. Kallmastergrad nannte er Carolas Geburtsstadt, und zu seinen Lieblingswitzen gehörten die vom Parteihochschüler, der annahm, Karl May hätte Das Kapitalgeschrieben, und sich nach hundert Seiten Lektüre wunderte, dass immer noch kein Indianer vorgekommen sei, und noch überraschter erfuhr, dass es sich bei Marx-Engels angeblich um zwei verschiedene Personen gehandelt habe.

      Carola spendierte für solche billigen Späße nur ein müdes Lächeln, hatte aber mit den westdeutschen Urkommunisten auch nicht viel am Hut. Zu Hause und in der Schule war einfach zu viel von den beiden die Rede gewesen.

      Hartmut begründete ihren Überdruss dialektisch mit dem Marx’schen Gesetz der Negation der Negation: Übergroße Quantität schlägt leicht um in eine neue Qualität.

      «Und mangelnde Quantität?», fragte Carola. Ihr Sächsisch klang nur noch ganz leicht an, anheimelnd geradezu. Vielleicht hatte er sich auch nur daran gewöhnt.

      Aber damit waren sie wieder bei der Arbeit angelangt, von der sie in der Freizeit eigentlich nicht reden wollten.

      Sie war die Sekretärin des Mannes, der für die Vergabe der Fernsprechanschlüsse in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik zuständig war, und wusste, wovon sie sprach. Telefonanschlüsse waren so knapp wie Räucheraal in den Fischläden. Dass es einen Fisch namens Lachs gab, war weitgehend unbekannt. In Carolas Heimatort Limbach-Oberfrohna gab es nicht mal Heringe. «Und dann kommt so ein Holzkopf wie mein Cousin aus dem Westen, schwärmt von Spanien und erzählt von Calamares und Thunfischsteak!», beklagte sie sich.

      «Dein Cousin ging noch», wandte Hartmut ein. «Der andere Typ war noch ein paar Zähne schärfer!»

      «Wenn sie den netten Alten nicht mitgebracht hätten, wär’s richtig furchtbar gewesen», gab Carola zu. «Am meisten hat mich geärgert, dass die Kerle mir nichts, dir nichts zur Olympiade nach München düsen können, während unsereins auf das Geschwätz von Herrn Oertel im Fernsehen angewiesen ist.»

      Ermattet lagen sie auf der breiten Liege in Carolas Einzimmerwohnung, Hinterhaus, vierter Stock, Ofenheizung und die Toilette eine halbe Treppe tiefer, aber eben nicht mehr das fernbeheizte Zimmer mit mütterlicher Ordnung im wörtlichen wie im ideologischen Sinne, aus dem sie sich vor Jahren hierher, mitten in den Prenzlauer Berg, abgesetzt hatte. Demnächst sollte sie eine noch kleinere, wenn auch komfortablere Wohnung der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft Deutsche Post beziehen.

      «Wohnklo mit Kochnische», spottete Hartmut, freute sich aber doch ein bisschen darauf, nicht mehr die Kohlen vier Treppen raufschleppen zu müssen. Als Nicht-Berliner stand ihm gar kein hauptstädtisches Domizil zu. Polizeilich gemeldet war er am südlichen Stadtrand in einem allmählich verfallenden Eigenheim in Eichwalde, das seine Mutter von ihrem zweiten Ehemann geerbt hatte. Mit dessen Tochter aus erster Ehe befand sie sich seitdem im Kriegszustand. Es war wie mit dem gespaltenen Deutschland: An einen Friedensvertrag war nicht zu denken.

      Hartmut bewohnte auch deshalb das große Zimmer und zwei Dachkammern mit schräger Decke in der oberen Etage, damit alle Versuche seiner ihm weitestgehend unbekannten ehemaligen Stiefschwester, die ihr angeblich zustehende Haushälfte zu beziehen, von vornherein zum Scheitern verurteilt blieben.

      Im Laufe der Jahre war er mehrmals ausgezogen, hatte unter dem Protest seiner Mutter hier und da, kürzer oder länger mit Frauen in deren Behausungen zusammengelebt, war aber immer wieder reumütig heimgekehrt, froh darüber, sein Wohnrecht nie wirklich aufgegeben zu haben. An Mutters Marotten war er gewöhnt.

      Auch in Carolas Vergangenheit gab es einen dunklen Punkt, was die Wohnung in der Winsstraße anging. Jedenfalls ließ sie nie wirklich durchblicken, wie sie zu dieser gekommen war.

      Natürlich hätten sie heiraten können, und über kurz oder lang hätte ihnen ein Arbeiterschließfach zugestanden, aber so weit waren sie nicht miteinander. Er wollte seine Unabhängigkeit nicht ganz aufgeben, und sie hoffte immer noch, ihm vor einer eventuellen Ehe seine Machoallüren und ein paar andere störende Eigenschaften wenigstens zum Teil abzugewöhnen. Zu ihm und der Schwiegermutter in spe zu ziehen wäre Carola nie in den Sinn gekommen, selbst wenn sich deren Haus dreihundert Meter nördlich und damit in Berlin befunden hätte.

      Mit dem Westbesuch hatte man sich in Schmöckwitz treffen müssen, zwischen Berlin und «der Zone», wie der Onkel sich auszudrücken beliebte, lag noch mal eine Grenze. Um die zu überschreiten, benötigte man den blauen DPA, den Deutschen Personalausweis, der seltsamerweise noch immer so hieß, obwohl die oberste Partei- und Staatsführung das Wort deutsch seit einiger Zeit sichtlich verabscheute. Dabei kamen Honecker und sein neuer Oberagitator selber aus dem Westen. Nicht mal der Verteidigungsminister war ein Sachse.

      Im Schmöckwitzer Bootshaus direkt neben der «Palme» lag Hartmuts geklinkerter Stolz, ein fast sechs Meter langes Paddelboot namens Early Bird. Eine der kleinen Freiheiten im Sozialismus war, dass man sein Boot und seine Kinder nennen durfte, wie man wollte, jedenfalls beinahe. Der Stasi-Beauftragte im Amt hatte seinem Sohn den Namen Steve verliehen.

      In der Woche blieb Hartmut häufig der Bequemlichkeit wegen – und weil er insgeheim fürchtete, ein anderer könne inzwischen seinen Platz einnehmen, aber das gab er nicht zu – über Nacht bei Carola. Der Weg zur Arbeit war nicht halb so lang. Nach den Anstrengungen der Nacht tat es ihm gut, ein Stündchen länger zu schlafen, auch wenn er die Morgendusche vermisste und sich nur schwer an die morgendliche Katzenwäsche gewöhnen konnte und daran, nachts in den Küchenausguss zu pinkeln. Außerdem bereitete es ihm Schwierigkeiten, in Carolas Küche seine lange Haarpracht zu waschen, auf die er so stolz war. Carola hingegen trug ihre blonden Borsten sehr kurz, was aber durchaus reizvoll aussah. Sie wäre auch mit Glatze noch hübsch gewesen.

      Erst freitags und wenn das Wetter es zuließ, fuhren sie nach Dienstschluss raus nach Schmöckwitz, machten die Birdklar und bauten Hartmuts winziges Zelt in Rauchfangswerder, auf dem Seddinwall oder einfach gleich drüben an der Krampe auf und blieben dort bis zum Sonntagabend. Der Seddinwall war eine ehemals bewohnte Insel, die schon von weitem mit meterhohen weißen Buchstaben grüßte: Gott schütze uns vor Sturm und Wind und Menschen, die aus Sachsen sind!

      Hartmut liebte das Wasser, mochte es noch so dreckig sein, während Carola – nicht etwa des Spruches wegen – ein eher ambivalentes Verhältnis zum feuchten Element besaß. Getrieben vom eigenen Ehrgeiz und dem Stolz ihrer patriotischen Eltern, hatte sie sich vom SC Dynamo in jüngsten Jahren zu einer Freistilschwimmerin ausbilden lassen, auf der große Hoffnungen ruhten. Da ruhten sie allerdings noch immer, denn trotz hilfreicher Pillen und gelegentlicher Auslandsreisen in sozialistische Bruderländer war die Heranwachsende allmählich und schließlich endgültig des ständigen Trainingsdrucks müde geworden und hatte ihre Laufbahn beendet, bevor sie in den Olympiakader aufrücken konnte. Zurückgeblieben waren eine leicht nach vorn gekrümmte Schulter und der Ratschlag des Arztes, es doch einmal mit Schwimmen zu versuchen. Mit Brustschwimmen allerdings und ohne Leistungsdruck. Papa und Mama hatten die Welt nicht mehr verstanden.

      Jahre später verstanden sie noch weniger, was ihre Tochter an diesem windigen, gänzlich unehrgeizigen und langhaarigen Ingenieur Hartmut fand, der sich als ein überaus СКАЧАТЬ