Название: Heißes Geld
Автор: Jan Eik
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955520212
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Kappes Nachbarn sparten nicht mit fachmännischen Urteilen und schwelgten in Erinnerungen an die großen Kämpfe der zwanziger Jahre. Von Hans Breitensträter und Paul Samson-Körner war die Rede, ebenso von Sabri Mahir, dem «schrecklichen Türken», wie er auch genannt worden war. Wiederholt versuchten sie Kappe ins Gespräch zu ziehen, aber der konnte und wollte nicht mitreden. In den Zwanzigern hatte er sich eher für Fußball als für Boxen begeistert. Allenfalls war ihm der Name von Franz Diener geläufig, den die beiden zu ihrer Freude drei Reihen tiefer im Publikum entdeckten. Kappe wusste, dass der ehemalige Boxer in Charlottenburg ein gutgehendes Lokal betrieb, in dem Berlins selbsternannte Prominenz verkehrte. Mehr fiel ihm zu dem Mann nicht ein.
Noch weniger ahnte er, dass etliche Reihen hinter ihm zwei Männer saßen, deren Gesprächsinhalt ihn wesentlich mehr interessiert hätte als alle Box-Reminiszenzen. Dabei waren die beiden vom Geschehen im Ring durchaus gepackt, hatte der Ältere und Größere der beiden doch einige Jahre lang keine Gelegenheit gehabt, einem offiziellen Boxkampf beizuwohnen. Dass er selbst mal im Ring gestanden hatte, sah man seiner von einem zu weiten Anzug umschlotterten Figur nicht auf den ersten Blick an. Die ungesund fahle Färbung des ausgemergelten Gesichts deutete eher auf einen zu langen Aufenthalt in geschlossenen Räumen hin.
«Na, wat sachste?», erkundigte sich sein Begleiter, ein mausköpfiges Kerlchen mit flacher Stirn und störrischem Haar, dem auch das schmale Menjoubärtchen unter der angeknickten Nase nicht zum erwünschten Aussehen eines Charmeurs und Weltmannes verhalf. Wenn der jemals geboxt hatte, dann allerhöchstens im Fliegengewicht.
«Ich komme gar nicht über die Geschichte hinweg», antwortete der Bleiche erschüttert. «Wieso hast’n das nicht gleich gesagt?»
Dem Kleinen, der mit Knickerbockerhosen, grellkariertem Sakko und Schiebermütze in Fischgrätenmuster nicht übermäßig modisch gekleidet war, fiel nichts anderes ein als: «Mensch, du musst dich erst mal zurechtfinden, hier in der neuen Welt …» Insgeheim ärgerte er sich, den Mund nicht gehalten zu haben. Er kannte Arnfried Weisel. Versprach eine Sache nur ein Minimum an Erfolg, verbiss der sich darin wie ein Köter in einen saftigen Knochen.
«Ich hab mich immer und überall zurechtgefunden!», gab Arnie prompt zurück. «Nun lass mich mal’n bisschen was Genaueres wissen!»
«Ausgerechnet hier?» Rudi Fenske, der in seinen Kreisen als «Funze» verkehrte, blickte sich um. Kein Mensch nahm Notiz von ihnen, zumal im Ring der nächste Kampf angekündigt wurde. «Das hat Zeit bis heute Abend.» Er hätte sich in den Hintern beißen können! Die Angelegenheit mit Arnie war von vornherein verkorkst, und das ausschließlich durch seine eigene Schuld. Er war und blieb ein Unglücksrabe! Brachte er mit den Händen ausnahmsweise mal was zustande, riss er es mit dem Mundwerk allemal wieder ein. Arnie gegenüber einen geglückten Millionenraub zu erwähnen war eine Schnapsidee gewesen! Der dachte doch an nichts anderes als an Geld! Er selbst auch, zugegeben – aber nicht in diesen Dimensionen.
Kennengelernt hatten Arnie und er sich Ende ’48 in Luckau, einer unbedeutenden märkischen Stadt, deren Namen in gewissen Kreisen kein guter Klang anhaftete. Im alten Luckauer Knast hatte schon so mancher ein paar Jährchen abgebrummt. Funze hatte nur achtzehn Monate dort gesessen, und das allein durch einen unglücklichen Zufall. Er war im Berliner Wedding aufgewachsen und alles andere als ein Ganove von Format. Lieber angelte er die kleinen Fische, stand mal Schmiere, sammelte Informationen und gab sie an Interessierte weiter. Der dilettantische Bruch in einer Provinzsparkasse, zu dem Funze sich hatte überreden lassen und der ihm Luckau beschert hatte, war eine Nummer zu groß ausgefallen, wie er sich inzwischen insgeheim eingestand. Noch dazu hatten sie das Ding kurz vor der Währungsreform gedreht – aber wer hatte das damals ahnen können?
In der überfüllten Zelle, wo unverbesserliche Nationalsozialisten taten, als hätten sie um ein Haar den Krieg gewonnen, und ein paar Politische, die nicht mal wussten, weshalb sie inhaftiert waren, sich mausigmachten, versuchte er anfangs große Bögen zu spucken. Er renommierte mit seinen kriminellen Erfahrungen, bis Arnie, der dank seiner Körperkraft und Persönlichkeit tatsächlich den Ton angab, ihm einen schmerzhaften Rippenhieb verpasste und ihm kategorisch das Maul verbot.
Funze, sonst nicht der Klügste, begriff rasch, dass Arnie das Recht des Stärkeren auf seiner Seite hatte. Also schwieg er fortan und hielt sich wohl oder übel an Arnies Führerrolle. Der spielte in einer höheren Liga als er. Vier Jahre hatten sie dem übergeholfen, weil er irgendwo einen Tresor geknackt hatte. Mehr erfuhr Funze nicht. Das war auch besser so, denn die Bullen holten ihn manchmal, einfach so, um ihn auszuhorchen. Er war der Richtige dafür, ein Quatschmaul, das wusste jeder. Über Arnie zu reden, weigerte er sich jedoch standhaft.
Es dauerte lange, bis Arnie ihm das mit ein bisschen Vertrauen lohnte, und es kostete Rudi Fenske die Adresse der eigenen Mutter am Gesundbrunnen. «Über die erreichst du mich jederzeit», musste er Arnie eins ums andere Mal versichern, bis der ihm endlich glaubte. Das hatte er nun davon!
Nachdem Funze nach Berlin zurückgekehrt war, verschwand Arnie vorerst aus seinem Gedächtnis. Mit der neuen Währung und den gänzlich veränderten Verhältnissen zwischen Ost und West stürmte zu viel Neues auf ihn ein. Ein halbes Jahr Plötzensee verdrängte die Luckauer Erlebnisse endgültig.
Arnie jedoch hatte den Berliner Kumpel und dessen angeblich weitreichende Verbindungen in den einschlägigen Kreisen nicht vergessen. Der Osten war sowieso nichts für ihn: Hungerlöhne bei hohen Normen, Lebensmittelkarten, knappes Fressen und eine allgegenwärtige Polizei. Kaum aus Luckau entlassen, zog es Arnie nach West-Berlin – wohin sonst. Außerdem hatte er da noch eine dicke Rechnung offen, wie er Funze gegenüber andeutete. Um die zu begleichen, brauchte er ortsansässige Hilfe.
Als Erstes suchte er Funzes alte Mutter auf und bequatschte sie so lange, bis sie ihm haarklein den Weg zu der Laube in Mariendorf beschrieb, in der sich Funze nach dem letzten Reinfall verkrochen hatte. Seit über einer Woche hausten sie nun zu zweit in der Bretterbude, in der Arnie sofort das Kommando übernommen hatte. Er wollte nicht in irgendeinem Flüchtlingsnotquartier beklaut werden. Die Befragungen durch die drei Besatzungsmächte und etliche deutsche Stellen verlangten sowieso ein ungewohntes Maß an Zurückhaltung von ihm. Dabei standen seine Chancen, als politischer Flüchtling anerkannt zu werden, nicht einmal schlecht. Nur die Freiheitlichen Juristen ließen ihn abblitzen. Die kannten überraschenderweise sein Strafregister.
Arnie verstand es, das Maul zu halten, das wusste Funze. Ihn auszuhorchen, hatte er längst aufgegeben. Wenn es jedoch sein musste, konnte Arnie auch beredsam sein wie ein Missionar auf Seelenfang. Dem fühlte Funze sich in keiner Weise gewachsen. Bis in die tiefe Nacht erzählte Arnie von den Fachleuten, mit denen er zusammengesessen hatte, richtigen Schränkern der alten Schule, die von nichts anderem geredet hätten als vom großen Geld, das in festen, stählernen Behältnissen aufbewahrt werde. Die warteten nur darauf, von geschickten Händen geknackt zu werden. «Das ist künftig unser Feld!», schwärmte Arnie, der sich in der neuen Umgebung fühlte wie ein Golddigger am Klondike. «Es kann doch nicht so schwer sein, irgendwo in dieser Stadt einen gutgefüllten Tresor ausfindig zu machen und dazu ein, zwei Leute, die was auf dem Kasten haben. Ich denke, du kennst hier Gott und die Welt!»
Funze gab sich wenig optimistisch. Namen nannte er schon gar nicht. Doch an Arnie prallten alle Einwände ab. Immer wieder fing der davon an. Auch jetzt beobachtete er aufmerksam die Betuchten, die sich in der Nähe des Rings sammelten. «Irgendwo müssen die ihre Kohle bunkern!», stieß er zwischen den ungepflegten Zähnen hervor.
Um ihm wenigstens das Hirngespinst eines mühelosen Tresoreinbruchs auszutreiben, fiel Funze nichts Besseres ein, als ausgerechnet den Bruch in der Verkehrskasse als abschreckendes Beispiel aufzubauschen. «Du hast keine Ahnung, wie das hier zugeht! СКАЧАТЬ