Heimkehr. Jan Eik
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Название: Heimkehr

Автор: Jan Eik

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

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isbn: 9783955520182

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СКАЧАТЬ kein Beamter mehr und wohl kaum mit der Aussicht, jemals wieder einer zu werden, neigte nach wie vor dazu, sich an die Vorschriften zu halten, und die schlossen nun einmal jegliche Art illegaler Warenbeschaffung aus. «Die eigene Familie dem Hungertod preisgeben» nannte Klara die bei Strafe der sofortigen Entlassung aus dem Polizeidienst vorgeschriebene Konsequenz – an die sich Kappe, selbst wenn er es gewollt hätte, nicht wirklich halten konnte. Im Gegensatz zu vielen seiner Verwandten, Bekannten und Kollegen rauchte er nicht, und er fragte vorsichtshalber nicht danach, wie und in welche Art von Lebensmitteln Klara die spärlichen Tabakwarenrationen verwandelte.

      Vor allem Karl-Heinz paffte wie ein Schlot. Allerdings keine deutschen Zigaretten oder Zigarillos auf Markenzuteilung. Karl-Heinz war an Besseres gewöhnt und bevorzugte Lucky Strike. Allein des lieben Friedens wegen hatte Kappe sich daran gewöhnen müssen, die Schwarzmarktaktivitäten seines jüngsten Sprösslings zähneknirschend zu dulden, in denen der Lümmel es zu Klaras stiller Befriedigung binnen kurzer Zeit zu überraschender Meisterschaft gebracht hatte.

      «Eines Tages schnappen sie dich, und du gehst ab in den Kahn!», prophezeite Kappe seinem Jüngsten, sooft er ihn sah, und das war in letzter Zeit nicht eben häufig der Fall. Wenn überhaupt, so kehrte Karl-Heinz gewöhnlich erst in den späten Nachtstunden in die elterliche Wohnung zurück, die aus Stube und Küche bestand. Ursprünglich, lange bevor Kappes in die Halbruine gezogen waren, hatte es sich um eine komfortable Dreizimmerwohnung gehandelt. Seit Februar des vergangenen Jahres ruhten die Mauerreste der einstigen Schlafstube zwei Etagen tiefer auf der zertrümmerten Kellerdecke, und hinter der zersplitterten Tür zum zweiten Zimmer bot eine einsturzgefährdete Freiluftecke Platz für zwei Blumenkästen, in denen Klara Tomaten zu züchten versuchte. Das wollte angesichts der Nordlage des ehemaligen Herrenzimmers nicht recht gelingen. Kirschgroß und grasgrün, versprachen die Früchte vorläufig keine Bereicherung des Speiseplans.

      Dennoch war Kappe glücklich gewesen, mit Hilfe seines alten Freundes Theodor Trampe wenigstens diese «Ausbauwohnung» ausfindig gemacht zu haben. Klaras stiller Stolz, die Wohnung in der Großen Frankfurter Straße, war bei einem der letzten großen Angriffe im März 1945 durch einen Volltreffer zerstört worden. Glücklicherweise hatte sich Klara zu diesem Zeitpunkt gemeinsam mit der Tochter Margarete, der Enkelin Marlies und großen Teilen des mit ihnen evakuierten Hausrats in Wendisch Rietz befunden, so dass sogar die Bettstellen gerettet wurden. Schon Ende 1943 hatte Kappe die Familie dort vor den Bombenangriffen in Sicherheit gebracht. Er selber überlebte den Angriff als Luftschutzwache in den Gebäuderesten des Polizeipräsidiums und fand vorläufigen Unterschlupf bei seinem Bruder in der Yorckstraße.

      Bald hieß es, die Evakuierten, wollten sie ihr Wohnrecht behalten, müssten bis Ende September 1945 nach Berlin zurückkehren. Kappe wandte einige Mühe auf, für sich und Klara in der ihm fremden Gegend rings um die Yorckbrücken eine Behausung zu finden. Statt im russisch besetzten Osten war er unversehens in Schöneberg gelandet, das seit dem Einmarsch der Amerikaner im Juli 1945 zu deren Sektor gehörte. Noch wusste niemand so recht, ob sich das als Vor- oder Nachteil erweisen würde.

      Unverhofft war eines Tages Karl-Heinz erstaunlich gesund und munter aufgetaucht. Er war natürlich erst einmal bei Mama und Papa untergekrochen, wo es ihm anscheinend so gut gefiel, dass Kappe ihn im Verdacht hatte, sich keineswegs intensiv um eine eigene Bleibe zu bemühen. Da der Sohn, den es von der Schule weg direkt zur Waffen-SS gezogen hatte, nach anfänglicher Arbeitssuche offenbar nur sporadisch einer ordentlichen, das heißt legalen Tätigkeit nachging, sah es mit den Chancen auf eigenen Wohnraum schlecht aus.

      «Ich lasse meinen Sohn doch nicht bei irgendeiner schlampigen Schlummermutter verkommen!», lautete Klaras Kommentar, wenn die Rede auf dieses Thema kam.

      Machte Kappe sich im Morgengrauen auf den stets mit neuen Überraschungen aufwartenden Weg zum Dienst, dann ruhte der Sprössling, gluckenhaft von Klara behütet, auf der Chaiselongue in der Küche und träumte in Morpheus Armen von seinen Ami-Zigaretten oder wer weiß was. Jedenfalls nie vom Krieg, wie er glaubhaft versicherte: «Das ist vorbei. Daran verschwendet man doch keinen Gedanken!»

      Von seinen Erlebnissen bei der Waffen-SS, zu der er sich siebzehnjährig freiwillig gemeldet hatte, sprach er nie. Er erwähnte nur hin und wieder beiläufig irgendwelche Kameraden, die er «rein zufällig» getroffen habe und die vermutlich dem gleichen Gewerbe nachgingen wie er. Skrupellos genug waren sie alle. Daran hatte die kurze amerikanische Internierung nichts geändert. In den davorliegenden zwölf Jahren hatte jeder gelernt, ausschließlich an seinen Nächsten zu denken – denn jeder war sich selbst der Nächste. Das hatte Karl-Heinz zutiefst verinnerlicht. Das Schicksal seines älteren Bruders Hartmut, von dem Hermann Kappe ebenso inständig wie Klara hoffte, dass er sich seit Stalingrad tatsächlich in russischer Gefangenschaft befand und eines Tages vor der Tür stehen würde, schien dem Jüngeren gleichgültig.

      Die Straßenbahn hielt ruckend. Jemand wollte aussteigen. Der Rucksackträger musste sich notgedrungen zur Seite wenden und schlug Kappe das vor undefinierbarem Schmutz starrende Behältnis heftig gegen die rechte Gesichtshälfte. Kappe, gewöhnlich nicht zu Wutausbrüchen neigend, kam nicht umhin, sich mit einem kräftigen Kniestoß zu revanchieren, der ihn fast den Platz auf dem Trittbrett gekostet hätte. Die Fahrerei jeden Morgen stellte eine Zumutung dar, aber irgendwie musste er seine Dienststelle im nördlichen Stadtzentrum erreichen.

      Im Verlauf der letzten Monate hatte Kappe die verschiedensten Möglichkeiten und Verkehrsmittel erprobt. Seine ständig geschwollenen Füße in den notdürftig selbst besohlten Schuhen ließen ihm keine Wahl. Alle Wege und Umwege hatten sich als gleichermaßen mühevoll erwiesen. Dabei kam das Verkehrsnetz allmählich wieder in Schwung. Pappvernagelte Straßenbahnen schepperten durch die Straßen. Seit der S-Bahn-Tunnel leer gepumpt worden war, fuhren die Nord-Süd-Bahn und neuerdings die Wannseebahn wieder. Im Straßenbahnnetz und bei der U- und Hochbahn klafften noch Lücken und gab es eingleisige Strecken. Der Hochbahnhof Nollendorfplatz glich einer Schrotthalde, und am Gleisdreieck war man dabei, den Viadukt in Richtung Hallesches Tor anzuheben und zu reparieren. Für die wenigen Buslinien mangelte es an Reifen und Benzin.

      Nur wenige Tage nach dem Einmarsch der Russen, den Hermann Kappe im Keller unter dem Tabakladen seines Bruders er- und überlebt hatte, ohne dabei wesentlich mehr als seine goldene Taschenuhr einzubüßen, war er quer durch die Mondlandschaft der einstigen Innenstadt in Richtung Alex aufgebrochen. Er hatte bebend den Landwehrkanal auf einem schwankenden Steg überschritten, kaum weniger abenteuerlich die Spree gekreuzt und war tatsächlich bis in die Dircksenstraße vorgedrungen, wo einzig der Ziegelbau des Gefängnisses noch etwas von der einstigen Pracht des zerbombten Polizeipräsidiums verriet. In dem Gebäuderest sammelten sich nach und nach einige ehemalige Polizeibeamte, mit Argwohn und gehöriger Skepsis dem entgegensehend, was sie erwartete.

      Der von den Russen ernannte Polizeipräsident hieß Oberst Markgraf und benahm sich auch so. Er machte mit den Kripo-Leuten nicht viel Federlesens, befragte sie in scharfem Ton nach Partei- und SS-Zugehörigkeit und verwies Kappe an den frischernannten Personalchef. Ehemalige SS-Leute wurden den Russen übergeben.

      Auf die Weise war auch Kappes Schwiegersohn Arno verschwunden, der es in neun Jahren SS-Zugehörigkeit nur bis zum einfachen Sturmmann gebracht hatte und wegen Missachtung der eigenen Uniform als Gefreiter an die Ostfront geraten war, bis es einem einflussreichen Freund gelang, den gelernten Elektriker als Radarspezialisten zu Telefunken abkommandieren zu lassen. Dieser u. k.-Stellung – u. k. stand für unabkömmlich – verdankte Arno vermutlich sein Leben, das nun keinen Pfifferling wert schien, seit ihn die Russen «interniert» hatten – dem vorsichtig agierenden Kappe gelang es nicht herauszufinden, ob in Hohenschönhausen oder in Sachsenhausen, wo die Besatzungsmacht das Konzentrationslager weiter betrieb. Möglicherweise war Arno längst tot oder in Sibirien. Die russischen Lager und die Zustände darin waren zwei der hundert neuen Tabuthemen, an die man besser nicht rührte. Den meisten Leuten fiel das Schweigen nicht schwer – und das Denunzieren erst recht nicht. Sie hatten zwölf Jahre lang Zeit gehabt, sich darin zu üben.

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