Название: Das Heilige Fest
Автор: Fritz Steinbock
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783944180526
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Im germanischen Heidentum, das heute auch Ásatrú oder Asatru (Göttertreue) und Forn Siðr oder dänisch Forn Sed (Alte Sitte) genannt wird, ist das nicht ganz einfach. Eine einheitliche Ritualpraxis gab es schon in alter Zeit ebenso wenig wie Dogmen und Lehrsätze. Jedes Volk, jeder Stamm, ja bisweilen jedes Dorf und jede Sippe hatte besondere Bräuche, um mit den Göttern in Beziehung zu treten, sie zu verehren und sich ihrer Segen zu versichern. Überliefert sind sie, wenn überhaupt, nur in Bruchstücken. Das ist schade, aber nicht zu ändern. Wer es nicht wahrhaben will und behauptet, er könnte sie vollständig rekonstruieren, ist ein Träumer oder Scharlatan. Wie in alter Zeit muss auch heute jede Heidengemeinschaft ihre eigene, auf eigener Einsicht beruhende Ritualpraxis entwickeln.
Jede Darstellung germanischer Rituale von heute kann sich daher nur auf die Praxis einer bestimmten Gemeinschaft berufen und muss dies auch klar deklarieren. Die vorliegende zeigt die Praxis des Vereins für Germanisches Heidentum e. V. (VfGH), einer Gemeinschaft mit der programmatischen Selbstbezeichnung „traditionelles germanisches Heidentum in heutiger Zeit”, die den Autor zu ihrem Ewart, dem Hauptverantwortlichen für das Ritualwesen, gewählt hat. Eine der Aufgaben, die ich mit diesem Amt übernommen habe, ist die Erstellung eines Ritualbuchs, das die in vielen Jahren gemeinsam entwickelten, bisher nie schriftlich fixierten und nur in der Praxis selbst weitergegebenen rituellen Traditionen des VfGH sammelt und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht – einerseits als Anleitung für unsere Mitglieder, andererseits aber auch für Außenstehende, die germanische Rituale kennen lernen, das eine oder andere für sich entdecken oder sich schlicht informieren wollen, welche Zeremonien es gibt, was wir dabei tun und natürlich auch, was dahinter steckt.
Ich habe dieses Buch daher in drei Teile gegliedert und dem praktischen, der den Großteil des Umfangs ausmacht, einen kurzen Teil über Wesen und Sinn von Ritualen voran gestellt. Er ist so konzipiert, dass er Außenstehenden auch als allgemeine Information über den Geist des germanischen Heidentums dienen kann. Für praktizierende Heiden ist er zum Verständnis des Hauptteils nicht unbedingt nötig, kann ihnen aber helfen, ihr theoretisches Wissen darüber zu vertiefen, was das germanische Ritual überhaupt ist, welche Hintergründe die einzelnen Riten haben und welche Formen es gibt und in alter Zeit gab. Auch auf historische Ritualformen, die wir heute ablehnen, muss eingegangen werden, um den Sinn zu erläutern, den sie im Leben unserer Vorfahren hatten, und dadurch Irrtümern vorzubeugen, die das Verständnis für unsere Religion trüben könnten.
In den praktischen Teilen stelle ich, ausgewählt aufgrund einer Umfrage unter Mitgliedern und Freunden des VfGH, die vier Feste im Jahreslauf, die Lebenskreisfeste und einige Rituale für bestimmte Zwecke vor. Ich habe dafür kurz gehaltene Texte verfasst, die für sich allein genommen vollständig sind, aber mit zusätzlichen Elementen ergänzt werden können. Wo es welche gab, habe ich dabei historische Texte verwendet, die im Anhang auch in der Originalsprache wiedergegeben sind. Ein Glossar der verwendeten altsprachlichen Begriffe und „Fachausdrücke“ ist ebenfalls im Anhang zu finden.
Teil drei des Buches ist dem Verein für Germanisches Heidentum e. V. selbst gewidmet und erläutert seine Position in der modernen Heidenbewegung und die wichtigsten Inhalte, die er vertritt. Das dient nicht nur dazu, ihn Interessierten bekannt zu machen, sondern ist auch eine Art Offenlegung, die das eingangs Gesagte verdeutlicht: Was dieses Buch beschreibt, ist das Ritualwesen einer bestimmten Gemeinschaft, die es in heutiger Zeit aus historischen Quellen und eigener Erfahrung entwickelt hat. Wir berufen uns auf seriöse religionswissenschaftliche Forschungen und überprüfen, ob unsere Rituale mit ihren Erkenntnissen übereinstimmen. Insofern können sie als traditionell germanisch gelten: Sie setzen auf heutige Art die rituelle Tradition unserer Ahnen fort. Wir behaupten daher weder, dass unsere Rituale die gleichen wie damals wären, noch dass moderne Rituale, die der germanischen Tradition gerecht werden sollen, nur in dieser und keiner anderen Form abgehalten werden können.
Die Breite und Vielfalt, die schon das religiöse Leben unserer Vorfahren zeigte, gibt uns auch heute eine Fülle von Möglichkeiten. Heidentum ist eine lebendige Religion, die aus uralten Wurzeln kommt, aber stets weiter wächst. Sie lässt sich weder auf eine einzige starre Form festlegen, noch darf sie museal erstarren. Gerade als traditionelle Heiden bekennen wir uns auch zu sinnvollen Neuerungen, denn Tradition heißt nicht Festhalten am Vergangenen, sondern am zeitlos Gültigen, das neue Gegenwart werden muss. Lasst uns nicht die Asche anbeten, sondern das Feuer am Brennen halten!
Unter den Göttern habe ich vor allem Odin zu danken, der mir die Fähigkeit gab, Wissen zu erwerben und es mitzuteilen, und unter den Menschen einigen Freundinnen und Freunden, die ich, so sie welche haben, mit ihren Ritualnamen anführe: Thorbern, dem Gründer des Odinic Rite Deutschland, und Folkhere, seinem Nachfolger als Erster Vorsitzender, die mich zur Arbeit an diesem Buch ermuntert haben; Solveig, die mit ihrer Erfahrung wesentlich zur Entwicklung des Ritualwesens im VfGH beigetragen hat, und Arwen, die meinen persönlichen heidnischen Werdegang sehr unterstützt hat; Stilkam für einige Textbeiträge und meiner Frau Claudia für Anregung und Kritik, für die Korrektur der Endfassung und für die Geduld, mit der sie die lange Arbeit daran ertragen hat.
Fritz Steinbock (Asfrid, VfGH)
Teil I
Grundlagen
Religion und Ritual
Fragte man in alter Zeit jemandem nach seiner Religion, hieß es nicht: „Woran glaubst du?“, sondern: „Welchen Göttern opferst du?“ Wie der Glaube im Christentum steht im Heidentum das Ritual im Mittelpunkt. Heidnische sind traditionelle Religionen: Sie sind nicht auf autoritäre Offenbarung und persönlichen Glauben gegründet, sondern auf eine organisch gewachsene Tradition, die neben der mythischen und ethischen in erster Linie eine kultische ist.
Religion im heidnischen Sinn ist Religionsausübung: religio nannten die Römer den Eid, eine heilige Pflicht und die Gewissenhaftigkeit, mit der sie befolgt wird. Der Philosoph und Politiker Cicero leitet das etymologisch unsichere Wort von relegere, dem Wiederholen der Ritualformeln aus alter Zeit, ab. Religion war für die Römer die kultische Tradition, mos maiorum, die Sitte der Vorfahren. Ebenso nannten die mittelalterlichen Nordgermanen das Heidentum ihrer Ahnen forn siðr, die „alten Sitte“ – immer noch dem heidnischen Sprachgebrauch folgend, der kein Wort für das hatte, was die Christen unter „Glauben“ verstanden, und Religion als Bestandteil von „Recht und Sitte“ (lög ok siðr) beschrieb.
Der Religionsgeschichtler Bernhard Maier sieht deshalb die germanische Auffassung von Religion überhaupt „wie im antiken Rom“. Hier wie dort erscheint sie ihm „weniger als eine Sache der privaten und persönlichen Überzeugung als vielmehr des gemeinschaftlich und öffentlich vollzogenen Kults“, worauf neben forn siðr auch andere nordische Bezeichnungen hindeuten: blótdómr und blótskapr, wörtlich „Opfertum“ und „Opferschaft“ für das Heidentum, für einen Heiden blótmaðr, „Opfermann“.
Im 19. Jahrhundert prägten dann dänische Historiker, um der Religion ihrer Vorfahren einen Namen zu geben, den Begriff Åsetro, der über die isländische Form Ásatrú zum heute СКАЧАТЬ