Petra Braig
Pflegestelle wollte ich nie sein. Ich habe große Achtung vor allen Menschen, die einen Hund bei sich aufnehmen, ihm Zuneigung und Geborgenheit schenken und ihn dann wieder gehen lassen können, um Platz zu haben für die nächste arme Seele. Aber mir selbst traute ich das nicht zu. Und zwei Hunde waren genug. Obwohl – da war immer noch das hübsche kleine rote Halsband, das ich schon vor längerer Zeit auf einer Messe gekauft hatte und das keinem unserer beiden passte. Im Scherz hatte ich damals zu meinem Mann gesagt: „Wer da reinpasst, wird unser dritter Hund …“ Aber wir waren uns einig, dass drei Hunde einer zu viel seien.
Unverhofft kam ich dann doch zu einem Pflegehund: Eine der über unseren Verein zur Adoption stehenden Hündinnen fand einfach keine Interessenten. Woche um Woche stand ihr Foto im Internet. Acht Jahre alt, schwarz, geduckt und ängstlich – so einen Hund wollte niemand. Also machte ich meinem Mann den Vorschlag, die Kleine aufzunehmen, sie aufzupäppeln, mit ihr zu arbeiten und sie dann in ein gutes Zuhause weiterzuvermitteln.
Von Raya, die damals noch Mina hieß, war nur bekannt, dass sie die gesamten acht Jahre ihres bisherigen Lebens unter verschiedenen Jägern als Gebärmaschine herumgereicht worden war. Es hieß, dass sie fast nur eingesperrt gewesen sei und wenig Umwelterfahrung hätte. Gejagt habe sie nicht. Eine spanische Tierschützerin holte sie gerade noch rechtzeitig aus einer Tötungsstation, in der sie in erbärmlichem Zustand abgegeben worden war, und unser Verein übernahm sie zur Vermittlung.
Als Raya bei uns ankam, war sie sehr verängstigt und scheu, völlig passiv und ließ alles mit sich geschehen, als ob sie einfach aufgegeben hätte. Ihr zierlicher Körper war voller alter Verletzungen, das Fell glanzlos und struppig. Vorne fehlten ihr zwei Zähne, und zu mager war sie auch. Vertrauen zum Menschen war ihr fremd, auf jede rasche Bewegung reagierte sie mit Panik. Unsere beiden Hunde akzeptierten die Kleine sofort, wobei Morenita, eine Galga, anfangs ziemlich zickte.
Schon in den ersten Tagen zeigte sich, dass unter Rayas Angstpanzer ein entschlossener Hund steckte. Sie wollte fast von Beginn an mitgenommen werden, wenn es zum Laufen ging, und wischte sämtliche Bedenken hinsichtlich fehlender Kondition beiseite, indem sie, wurde sie allein gelassen, sofort zerstörte, was ihr gerade vor den Fang kam.
Unsere Spaziergänge gestalteten sich zunächst ziemlich schwierig. Raya dabei zu haben, hieß abseits bisher gewohnter Strecken laufen. Sie hatte Angst vor fast allem, was einem draußen begegnen kann: Fahrräder, Kinderwagen, Autos, landwirtschaftliche Fahrzeuge … Ganz besonders ängstlich war sie, wenn wir Menschen begegneten. In Angstsituationen erstarrte sie und begann zu zittern; wurde die Panik zu groß, fiel sie einfach auf den Boden und krallte sich dort förmlich fest.
Also hielten wir uns vorwiegend im Wald auf. Wir wichen dabei allem, was Raya ängstigte, in dem Abstand aus, den sie benötigte. Begleitend bekam Raya Bachblüten, zunächst fertige Mischungen, die später ergänzt wurden durch jeweils ausgetestete Einzelblüten. Gerieten wir in eine Stresssituation, hockte ich mich zu ihr auf den Boden und hielt sie einfach sanft, um ihr Sicherheit zu geben, oder versuchte, sie mit der Tellington-Touch-Methode aus ihrer Starre zu lösen. Die beiden anderen Hunde standen dann jeweils da wie Denkmäler, als wüssten sie, worauf es ankam.
Als Raya etwas lockerer geworden war, begannen wir richtig zu arbeiten: Begegnungen mit Menschen, Laufen an der Straße (anfangs nur, wenn wenig Verkehr war), Besuche daheim von eingewiesenen „Statisten“, die Raya nicht bedrängten. Raya lernte sehr schnell, sich in Situationen, die ihr nicht geheuer waren, hinter mir oder den beiden anderen Hunden zu verstecken, und konnte sich auf diese Weise darauf verlassen, dass niemand an sie herankam. Mit der Zeit zeigte sich, dass sie sehr wohl gejagt haben muss. Sie hat großes Interesse an Wild und reagiert entsprechend. Aber das ist eine andere Geschichte.
Da Raya sehr verfressen ist, war Futter die ideale Belohnung bei unseren Übungen und zugleich ein Indikator für den Stresslevel. Nahm sie kein Futter mehr an, war es an der Zeit, die Situation, in der wir uns gerade befanden, aufzulösen. Ich hatte das Clickertraining mit ihr begonnen, und sie war begeistert dabei. Um sie mental auszulasten und eine Bindung zwischen uns aufzubauen, machte ich Futtersuchspiele und auch interaktive Spiele mit ihr. Besonders geschickt stellte sich die Kleine bei „Dog Fighter“ an, einem Spiel, bei dem Leckerlis unter Hütchen und Klötzchen aus Holz gefunden werden müssen.
Raya entwickelte sich zu einem hübschen Hund, und wir stellten neue Fotos von ihr ins Internet und warteten auf Anfragen. Lange Zeit meldete sich niemand, bis eines Tages eine Frau anrief und mitteilte, sie interessiere sich für die Hündin. Bei mir schrillten sämtliche Alarmglocken – meine Raya wollte die? Ich bemühte mich um Sachlichkeit, wollte ich doch die Interessentin nicht vergraulen. Und so beschrieb ich die Kleine sehr präzise: ihren ausgeprägten Jagdtrieb, ihre Panikattacken (die aber schon viel seltener geworden seien) und ihre Angewohnheit, in die Hundebetten zu pinkeln, wenn ich das Haus verließ. Die Interessentin wiederum schoss sich selbst ins Off, als sie erklärte, sie werde dem Hund das Jagen halt mithilfe eines Stromreizgeräts abgewöhnen. Nein, so jemand bekam meine Raya auf keinen Fall!
Die beiden Galgas waren mittlerweile enge Freundinnen und veranstalteten Rennspiele im Garten. Unser Pit Bull Terrier Tyson musste für Raya stets als Sofakissen herhalten. Sie kuschelte sich auf ihn und hakte einen Vorderlauf so über seinen Hinterschenkel, dass er nicht wegkam. Fremden Menschen gegenüber war Raya immer noch scheu, lief aber draußen inzwischen lässig an ihnen vorbei. Auf den einen oder anderen Besucher ging sie sogar schon zu. Und sie pinkelte nur noch ganz, ganz selten ins Haus …
Also bekam sie niemand. Wir mussten sie einfach behalten, zu sehr war sie uns allen ans Herz gewachsen, diese kleine alte Galga, die mitunter im Garten tobte wie ein junger Hund, auf jedem Spaziergang am intensivsten von allen dreien herumschnüffelte, ihre Knopfaugen begehrlich leuchten ließ, um Leckerbissen zu schnorren, und mit ihrer Zahnlücke im Oberkiefer einfach nur niedlich aussah.
Und überhaupt hatte ihr das kleine rote Halsband sofort gepasst …
Der elektrische Hund
Kerstin Brose
Meine fünfjährige Tochter Julia kam zu mir in die Küche. Mit kindlicher Sorgfalt legte sie zwei ihrer Barbiepuppen auf unseren runden Küchentisch und schob sich danach auf den Stuhl, was nicht ganz unkompliziert ist, wenn man noch ein Barbiepferd und eine kleine Haarbürste bei sich hat. Daraufhin begann sie liebevoll, die Mähne und den Schweif des stolzen Plastiktieres zu kämmen.
Ich stand am Herd und kochte, während sie mir Gesellschaft leistete, und miteinander redeten wir über dies und jenes. Plötzlich hörte ich ihre bittenden Worte: „Du, Mami, ich möchte einen kleinen Hund haben, den ich dann auch so bürsten und pflegen kann. Solch einen gaaanz Kleinen, mit dem ich auch alleine spazieren gehen darf.“
„Meinst du solch einen Spielzeughund mit Batterie?“
„Keinen elektrischen Hund, Mama!“, kam es aus tiefster Seele zurück. „Ich meine einen echten!“
„Aber Julia“, entgegnete ich, „wir haben doch Charlie. Der ist so lieb und bürsten kannst du ihn auch.“
Unseren Hund Charlie hatten wir aus dem Berliner Tierheim geholt, als unsere Tochter drei Monate alt war. Ich konnte den Tod meines Collie-Mischlings Pit nicht anders überwinden, als mir eine Woche später dieses schlaksige schwarze Etwas in unsere Familie zu holen. Es war eine höchst anstrengende Zeit, denn einen sechs Monate alten Setter-Schäferhund-Mischling zu erziehen und ausreichend zu bewegen, wenn man dazu noch ein eigenes Baby hat und sich mitten im Studium befindet, ist eine Herausforderung, die ich nicht empfehlen möchte. Den Tennisball in der einen Hand, den Kinderwagen in der anderen, СКАЧАТЬ