Название: Biografie eines adoptierten Lebens
Автор: Sabine Purfürst
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783867778749
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Doch diesmal sollte es funktionieren.
Diese Fahrt sollte zum Ziel führen.
Es war an einem heißen Sommertag. Meine Eltern brachen früh am Morgen auf. Sie fuhren mit dem Zug, um sich zum vierten Mal nach einem Kind umzusehen. Eine aufregende und spannende Sache.
Die unbequeme Reise mit der Bahn störte die Vorfreude. Emmi zupfte aufgeregt an ihrem neu geschneiderten Kleid. Sie hatte es erst gestern Abend fertig gestellt.
In der Hitze des Morgens fühlten sich meine Eltern unwohl. Es lag ein Surren und Flirren in der Luft. Eine Dunstglocke schwebte über den Tälern, an denen die Eisenbahn vorbei zuckelte.
Emmi beobachtete die Umgebung nicht wirklich. In Gedanken sortierte sie die Gründe, warum sie die letzten Kinder nicht nehmen wollte. Vermutlich waren ihre Vorstellungen sehr verschwommen. Es fiel ihr noch immer schwer zu begreifen, dass die Frist für ein leibliches Kind abgelaufen war. Sie musste sich fragen, warum gerade sie das durchmachen sollte. Hätte man ihr nicht ein eigenes Baby schenken können?
Ich glaube, dass sie verzweifelt war. Aber sie verdrängte derart schmerzliche Erlebnisse, indem sie sich in ihre Arbeit stürzte. Sie fragte nie viel. Ihr fehlte die Zeit für Grübeleien. Sie meinte: „Grübeln führt zu keiner Lösung! Punkt um!“
Das Heim stand auf einem etwa 200 m hohen Berg am Rande der Stadt. Ein lang gezogenes zweistöckiges Fachwerkhaus, das dringend renoviert werden müsste.
Erich hätte am liebsten Hammer und Nagel geholt. Aber die Kinder auf dem angrenzenden Spielplatz störte der Zustand des Hauses kaum.
Emmi wäre sofort zu den Kleinen gegangen, wenn sie nicht von einer rundlichen Frau abgelenkt worden wäre. Die baute sich gerade vor den jungen Eheleuten in ihrer ganzen Breite und Höhe auf.
„Ich nehme an, Sie sind Frau und Herr Richter, nicht wahr?“
Ihre schrille Stimme passte nicht zur Körperfülle. Sie wartete nicht mal eine Antwort ab, sondern marschierte auf eine offene Tür mit geschwungenen Holzleisten zu. Ihr Auftreten erinnerte Emmi an ein Pferd oder einen Gardeoffizier.
Fast schüchtern betraten meine Eltern einen winzigen, aber hohen Raum, der sich gleich gegenüber vom Eingang befand. Rechts, neben der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift: „Mutter Hiltrud“.
Emmi hob unbemerkt die Augenbrauen bei dem Wort „Mutter“. So richtig vorstellen konnte sie sich diese Frau nicht als fürsorgliche, liebevolle Heimleiterin. Doch sie sagte kein Wort, kniff vielmehr die Lippen zusammen und setzte sich an einen schmucklosen, hölzernen Tisch. Ihre Blicke suchten vergeblich nach einem Bild an den vier Wänden.
„Darf ich Ihnen einen Hagebuttentee anbieten?“
Das einfarbige, dunkelgrüne Kleid der Fremden war bis zum Hals zugeknöpft. Die Haare der Leiterin schimmerten silbern. Sie fielen in Strähnen auf ihre Schultern. Ein ovaler Leberfleck verunstaltete die linke Wange.
„Ich habe mich eingehend mit Ihrer Bitte, ein Kind aus meiner Einrichtung zu adoptieren, beschäftigt!“, sie legte eine Pause ein, holte eine graue Akte und blätterte die Seiten eifrig um. Sie feuchtete den Zeigefinger mit Spucke an und trennte zusammengeklebte Papiere voneinander.
„Dabei fiel mir unsere liebe Anita ein!“ Sie faltete die Hände zusammen. „Die Kleine ist drei Jahre alt und ganz lieb und ruhig!“
Sie betonte die letzten Worte und hob den rechten Zeigefinger.
„Sie ist aus gutem Hause! Gut erzogen und sehr folgsam!“
Mutter Hiltrud stand auf und marschierte im Raum hin und her. Ihr befehlsmäßiger Ton schüchterte offenbar selbst Erich ein, der sich sonst kaum von solchem Gehabe beeinflussen ließ.
Plötzlich klopfte es und eine Schwester servierte den Tee. Sie verschwand sogleich. Ohne Zweifel war Mutter Hiltrud die Chefin des Hauses.
Doch sie kannte Emmi nicht.
„Ich will erst mal alle Kinder sehen!“, entschied sie und ließ sich nicht beeindrucken.
Erich fühlte sich unwohl zwischen den Fronten. Er sagte lieber nichts. Das war die klügste Variante.
„Na gut! Wenn Sie ausgetrunken haben, zeige ich Ihnen die Kleinen!“
Damit war das Gespräch beendet und die Chefin führte meine Eltern einige Minuten später aus dem Zimmer in den langen Gang. Es roch nach Bohnerwachs und Seifenlauge. Kinderstimmen füllten den Flur, schallten zurück wie das Echo in einer Höhle.
Im Spielzimmer, in der so genannten Puppenecke, saß artig die kleine Anita. Emmi betrachtete das Kind ohne eine äußere Regung, drehte sie sich um und verließ den Raum.
„Das sind doch bestimmt nicht alle?“
„Nein! Das sind aber die ruhigsten und liebsten! Ich möchte sie Ihnen unbedingt ans Herz legen! Diese Kinder sind absolut zu empfehlen!“
Doch Emmi wollte nicht!
„Zeigen Sie mir die anderen!“
„Meinetwegen! Da müssen wir rausgehen!“
Die Heimleiterin zog die Spielzimmertür zu und marschierte zum Hintereingang. Emmi folgte ungerührt. Sie ließ keinen Abstand zu. Über vier Steinstufen liefen die drei Erwachsenen zu einer riesigen Parkanlage. Hinter dem Gebäude spielten Mädchen und Jungen zwischen Kastanienbäumen, Buchen und Kiefern. Der frisch gemähte Rasen duftete. Die Kinder tollten auf dem gesamten Gelände herum.
Und dann kam ich ins Spiel!
Ich denke eigentlich, dass ich mir in meinem kleinen Leben mein Glück damals selbst ausgesucht habe!
Ich lief schnurstracks, ohne zu überlegen, auf Emmi und Erich zu. Emmi muss beeindruckt, ja überrumpelt, gewesen sein. Denn von da an konnte ihr keiner mehr die kleine Martina ausreden. Vermutlich hatte sie sich vom ersten Augenblick an in mich verliebt, aber auch getäuscht.
Sie ahnte damals nicht, wen und was sie sich da aufhalsen und an Land ziehen würde. Sie hatte noch keine klaren Vorstellungen von Kindererziehung, keinerlei Erfahrungen auf dem Gebiet. Ihr gefiel wohl, dass ich sie ausgesucht hatte. Jedenfalls ließ sie sich nicht mehr davon abbringen, Martina zu adoptieren. Alle folgenden Briefe der Heimleiterin, in denen sie dringend von „diesem Kind“ abraten wollte, berührten Emmi nicht.
Die warnenden Worte von Hiltrud: „Nehmt das Kind nicht! Die Mutter ist `ne Kriminelle! Wer weiß, was da draus wird! Vielleicht wird die auch so!“, hörte Emmi nicht.
„Ne! Ich nehme die Martina! Und fertig! Aus!“
Das war ihr letztes Wort zu dem Thema, dabei blieb sie bis zum Schluss. Ihre Entscheidung stand fest wie ein Fels.
Unumstößlich!
Im Jahre 1955, im tiefsten Winter, bei Temperaturen unter -20 Grad Celsius, brachten sie mich nach Suhl.
Erich fotografierte mich bei der Ankunft. Das Ursprungsbild СКАЧАТЬ