Biografie eines adoptierten Lebens. Sabine Purfürst
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Название: Biografie eines adoptierten Lebens

Автор: Sabine Purfürst

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783867778749

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СКАЧАТЬ Ich hatte nichts falsch gemacht. Ihre Antwort verstand ich nicht.

      Mit einem Handgriff packte sie mich, legte mich übers Knie. Ruckartig pflanzte sie sich auf den Schemel. Mit der bloßen Hand drosch sie auf meinen Hintern ein. Das zwiebelte. Den Schmerz spürte ich nicht. Daran erinnere ich mich kaum. Doch meine Enttäuschung werde ich nie vergessen. Warum schlug sie mich? Haben mich die Kinder belogen? Ich begriff nicht, weshalb Emmi mich verprügelte. Sie war nicht im Recht. Ich hatte nichts ausgefressen, nichts verbockt.

      Das Schlimmste an der Sache war eigentlich die Wucht. Und, dass das Thema tabu war. Kein Wort hörte ich mehr. Ich stellte auch keine weiteren Fragen.

      „Das bringt eh nix! Was soll ich da noch sagen?“

      Wenn mich dann die anderen hänselten, wehrte ich mich nicht. Klar war ich traurig! Aber nicht so ...!

      Die Welt brach erst zu Hause zusammen. Das war das Bitterste.

      „Du hast nichts gesagt!“, meinte ich. Von dem Tag an begann ich zu grübeln. „Da stimmt was nicht! Ich muss gucken, was da los ist!“

      Und wenn die Erwachsenen erzählten, horchte ich genauer hin. Da passte ich auf und quetschte hinterher die Verwandten aus. Doch die antworteten nur: „Frag deine Mutter! Frag deine Eltern! Die werden dir das schon sagen!“

      Nix sagten die! Keiner redete mit mir! Neugierig belauschte ich sie. Von da an begann ich zu suchen. Ich stöberte in den Sachen meiner Leute. Jetzt entwickelte ich kriminelle Energie. Von diesem Moment an wählte ich die Opposition, die totale Opposition. Ich wehrte mich gegen alles, was ordentlich, was normal war. Ich begehrte auf.

      Voller Wut dachte ich: „Die haben mich gehauen! Da gehste fort! Die werden sehen, was sie davon haben, wenn ich nicht mehr zurückkomme!“

      Genau das, was man als Kind in dieser Situation denkt. Ich riss aus. Ich ließ die Hausaufgaben, die Hausarbeit, alle Pflichten hinter mir. Ich pfiff auf alles.

      „Mir doch egal!“

      Ich rannte den Kiesweg entlang, klingelte Marlies, meine Freundin, aus dem Haus. Gemeinsam stiegen wir den Buchenberg hinauf. Die Sonne schob die Wolkendecke zur Seite, schaute auf die Erde und leckte alles Wasser vom Boden. Endlich wärmte sie unsere Gesichter. Bereitwillig streckten wir sie ihr entgegen.

      „Ich habe nix angestellt! Nix falsch gemacht! Ich habe doch nur gesagt, was die Kinder mir erzählt haben!“, heulend berichtete ich ihr von meinen Erlebnissen. Völlig außer mir schimpfte ich auf meine Mutter.

      „Stell dir vor, Marlies! Nichts hat die erklärt! Nicht ein Wort! Die hat zugeschlagen! Ohne Grund! Und ich weiß nicht, warum!“ Verständnislos wischte ich mir die Tränen von den Wangen.

      Wir saßen im Gras und beobachteten die Schmetterlinge mit den schwarzen Augen und die Bienen mit ihren gelb-braunen Körpern. Waldameisen krabbelten emsig um uns herum. Kohlmeisen schwirrten in den türkisfarbenen Himmel hinein. Es summte, brummte, piepste. Alles lebte. Doch wir spürten es kaum. Wir hockten dicht beieinander und versuchten uns gegenseitig zu trösten.

      Marlies war meine beste Freundin. Sie erzählte mir oft von ihren Sorgen: „Weißt du, meine Eltern wollen sich scheiden lassen! Nie haben die Zeit für mich! Was meinst du, wie oft ich meinen Vater sehe? Geld kriege ich von ihm! Aber einen Kuss hat er mir noch nie gegeben! Nicht einmal gedrückt hat er mich!“

      Sie zupfte Grashalme aus der Erde und warf sie über die Schulter. „Die Erwachsenen sind komisch! Da wollen die immer so schlau sein! Alles wissen! Alles können! Aber mit uns reden! Auf die Idee kommen die nicht!“

      „Genau! Keiner sagt was! Auch die Verwandtschaft verrät nix! Die halten zusammen! Wenn ich da frage, wenn ich die Tanten frage, da gibt es keine Antwort! Nur Schweigen! Oder die sagen: ‚Frage deine Eltern! Das geht uns nix an!’ Toll! Und die reden nicht! Schon gar nicht mit mir!“

      Ich richtete mich auf und schaute Marlies in die Augen. Der Wind spielte mit ihren blonden Locken.

      „Neulich saß ich mucksmäuschenstill, rührte mich nicht! Aber das nützte nichts. Die schickten mich trotzdem ins Bett. Gern hätte ich länger zugehört. Aber ich musste schlafen gehen. Das Schlüsselloch hängten die zu. Noch nicht mal was sehen konnte ich! Stell dir vor! Es gab kein Pardon!“

      Meine Freundin hörte mir aufmerksam zu, verfolgte jedes Wort. Sie verstand mich. Nur sie allein.

      Bis zum 15. Lebensjahr schlief ich bei den Eltern im Zimmer. Oft genug klebte ich am Schlüsselloch, um die Geheimnisse meiner Leute zu lüften. Doch, so sehr ich auch lauschte und forschte, ich bekam nicht viel mit. Alles musste ich mir schwer erarbeiten.

      Wenigstens mit Marlies konnte ich mich austauschen. Sie war wie eine Schwester für mich, wie eine Seelenverwandte.

      Heute weiß ich, dass wir uns gegenseitig stützten, dass echte Freunde selten sind. Dass sie das Wichtigste neben einem Partner und Kindern im Leben sind.

      Die Enttäuschung über meine Eltern fraß sich in all den Jahren in mein Gedächtnis ein. Ich finde, es wäre schöner gewesen, wenn sie mit mir geredet hätten. Aber sie waren zu altmodisch, zu verschlossen.

      Ich bin der Meinung, es soll vom ersten Tag an ehrlich zugehen! Das war ich damals nicht. Ich habe geschwindelt, was das Zeug hielt. Doch eine Grundehrlichkeit muss man entwickeln. Schwindeln darf man ab und zu, aber so selten wie möglich.

      Ich dachte, wenn du jetzt weiter lügst, da kommst du nicht mehr raus. Am Ende weißt du nicht, wem du was erzählt hast. Du verhaspelst dich, blamierst dich unsterblich! Das lässt du! Sagst lieber gleich die Wahrheit, musst dir den Schluss nicht merken! Das ist so ein Schlüsselerlebnis gewesen, das muss man nicht haben. Da denke ich heute anders drüber, gehe anders damit um.

      Es dämmerte schon und der Regen hatte die Sonne verscheucht, als wir den Berg herunterkletterten und den Feldweg nach Hause liefen. In meinem Kopf spukten die wildesten Geschichten herum. Und daheim ging die Sucherei los.

      Da war ein Geheimnis! Da musste ich hin! Das Rätsel wollte ich lösen! Ich hatte keine Ruhe mehr! Meine Neugier war geboren!

       2. KAPITEL: DIE SUCHE NACH DEN BRIEFEN

      Meine Eltern hatten ihr Haus einfach und praktisch eingerichtet. Alles gradlinig und anspruchslos. Am Küchenfenster stand ein Kanapee und gegenüber vom Herd ein Schrank, ein Büfett mit Glasfensterchen. In der Mitte des Raumes befand sich ein rechteckiger Tisch. In ihm hingen zwei weiße Emaille Schüsseln, die Emmi zum Abwaschen herauszog. War sie fertig damit, schob sie sie zurück und schlug den Deckel zu.

      Die andere Ecke füllte der Ofen aus. Gleich daneben hockte der Kohlenkasten. Den Herd nutzte Mutter selten. Sie kochte mit Großmutter zusammen im oberen Teil des Gebäudes. Da Oma Ilse und Opa Otto dort wohnten, verbrachten sie den Vormittag im Obergeschoss.

      Kam ich später von der Schule, aß ich in unserer Küche. Hier erledigte ich meine Schularbeiten. War ich damit fertig, diktierte mir Mutter oft Briefe.

      Emmi holte aus dem Küchenschrank ein Kästchen. Rote und schwarze Perlen umrahmten die ockerfarbene Schatulle, die jeweils acht Kreise darstellten. Sie stand auf vier Füßen. Den Deckel schmückte eine rot-schwarze Margerite, die wie eine Schlange lauernd und reglos den Kasten bewachte.

      Nachdem Emmi die Kassette auf den Tisch gestellt hatte, öffnete sie in der Mitte des Küchenbuffets СКАЧАТЬ