Die verschollenen Traditionen des Okinawa-Karate. Jamal Measara
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Название: Die verschollenen Traditionen des Okinawa-Karate

Автор: Jamal Measara

Издательство: Автор

Жанр: Спорт, фитнес

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isbn: 9783938305447

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СКАЧАТЬ dann entgegengebracht, wenn man selbst die anderen Menschen respektiert. Das alte deutsche Sprichwort »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus«, bewahrheitet sich auch in dieser Hinsicht immer wieder. Ein Budōka sollte stets bereit sein, als erster seinem Gegenüber Respekt zu erweisen. Nur so wird sich wahrer, aktiver Respekt entwickeln. Zollt man Respekt nur als Reaktion auf das respektvolle Verhalten anderer, so offenbart dies eine gewisse Oberflächlichkeit. Mir ist es schon des Öfteren passiert, dass Menschen, die mir gegenüber nicht viel Respekt zeigten, mich auf einmal höflicher behandelten, als sie merkten, dass ich sie respektierte und höflich behandelte. Ein einfaches Beispiel ist das Grüßen im Alltag. Immer, wenn jemand in mein Fitnessstudio kommt und ich im Foyer sitze, begrüße ich ihn mit einem freundlichen »Grüß Gott«. Bei weitem nicht alle grüßen zurück. Ich denke mir dann, wenn ich nicht den Anfang mache, wird man sich irgendwann überhaupt nicht mehr grüßen.

      Abb. 5: Putzen im Dōjō auf Okinawa.

      Das System der Graduierung, wie es heutzutage in vielen Kampfkünsten verwendet wird, bietet ebenfalls eine gute Möglichkeit, Bescheidenheit und Respekt zu üben. So ist es z. B. sehr schlecht, wenn man Mitschüler niedriger Graduierung ignoriert. Es ist wichtig, Schüler jeglicher Graduierung respektvoll zu behandeln. Wenn man zu seinem Sensei höflich ist, so sollte man allen anderen die gleiche Höflichkeit entgegenbringen. Dieses höfliche und respektvolle Verhalten sollte auch außerhalb des Dōjō gelebt werden. Es gibt in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen dem Dōjō und dem Leben außerhalb des Dōjō.

      Nicht nur im Umgang mit Menschen, sondern auch mit Dingen zeigt ein Budōka Respekt. In Asien ist es z. B. selbstverständlich, dass alle das Dōjō nach dem Training saubermachen. Dies gehört zum grundlegenden Anstand und wird noch heute so praktiziert. In den westlichen Ländern trifft man leider oft auf die Einstellung: »Warum sollte ich die Schmutzarbeit machen? Schließlich habe ich doch für mein Training bezahlt!« Wenn ich auf Okinawa bin, putze auch ich das Dōjō. Selbst mein Lehrer beteiligt sich an diesen Arbeiten. Die Reinigung des Dōjō nach dem Training sollte vom Schüler so gesehen werden: »Ich wische meinen Schweiß selbst weg, niemand anders soll das für mich tun. Ich mache diese Arbeit, um mein Ego zu überwinden.« Mit dem Wischen des Bodens soll der sprichwörtliche Affe auf der Schulter vertrieben werden. Dieser Affe steht für das eigene Ego, das dort sitzt und einem zuflüstert, man sei etwas Besonderes und habe derartige Arbeiten nicht nötig.

      Abb. 6: Putzen im Dōjō von Kelheim.

      Das eigene Ego ist der größte Feind, gegen den wir jemals antreten. Es drängt einen dazu, immer im Vordergrund stehen zu wollen. Die Bedürfnisse der anderen Menschen werden da leicht vergessen. Um das Ego im Zaum zu halten, wird im Training großer Wert auf die Entwicklung von Respekt und Bescheidenheit gelegt. Die Verhaltensregeln im Dōjō tragen hierzu maßgeblich bei. So wird sich z. B. zu Beginn des Trainings sowie am Anfang einer Partnerübung mit dem Wort »Onegaishimasu« verbeugt. »Onegaishimasu« ist eine höfliche Bitte um Unterricht oder um ein gutes Partnertraining. Auch wenn die Verbeugung in Europa nicht zum Alltag gehört, so versteht man sie intuitiv als ein Zeichen von Wertschätzung. Man sollte deshalb der Verbeugung die nötige Zeit geben und seinem Partner davor und danach in die Augen blicken. Nach dem Training oder der Übung bedankt man sich mit den Worten »Arigatō gozaimashita«–»herzlichen Dank«. Diese Worte und ihre Bedeutung sollte man verinnerlichen und sie nicht nur als leere Phrasen wiederholen, vor allem dann, wenn man der japanischen Sprache nicht mächtig ist.

       Die fünfte Regel des Dōjōkun: Es ist wichtig, den ungestümen Kampfesmut zu zügeln.

      Den Kampfgeist zu zügeln, fällt besonders in jungen Jahren schwer. Meist will man gleich mit dem Kopf durch die Wand, um sich zu beweisen. Ich habe dies in meiner Jugend selbst erlebt und stelle in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Die folgende Begebenheit zeigt das recht deutlich:

      Im Jahr 1972 wurde ich auserwählt, meine Heimat Malaysia bei der 2. Karateweltmeisterschaft in Paris zu vertreten. Mein Bruder war über meine Teilnahme so glücklich, dass er, als ich wieder zu Hause war, gleich mit mir ins Kino gehen wollte. Um dorthin zu gelangen, mussten wir den Bus nehmen. Auf dem Heimweg, als ich gerade in den Bus gestiegen war, mein Bruder allerdings noch nicht, riefen vier Jugendliche dem Busfahrer zu, er solle losfahren, da alle an Bord seien, woraufhin dieser unverzüglich losfuhr. Ich klopfte heftig und gab dem Busfahrer zu verstehen, er solle noch einmal anhalten, da mein Bruder noch draußen war. Der Busfahrer folgte meiner Bitte und ließ meinen Bruder einsteigen. Als dieser den Bus betrat, beschimpfte er die Jugendlichen als Schweine. Diese Beleidigung brachte sie dermaßen auf, dass sie meinen Bruder an jeder Haltestelle aufforderten auszusteigen, damit er mit ihnen kämpfen möge. Es sei erwähnt, dass mein Bruder keine Kampfkunst trainierte und kein Kämpfer war. Ich saß daneben und versuchte, sie zu beschwichtigen, um den Kampf zu vermeiden. Sie fuhren aber solange im Bus mit, bis wir aussteigen mussten. Sie folgten uns und forderten uns heraus. Einer griff nach mir und riss mir dabei einen Knopf von meinem Hemd ab. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein – damals – Möglichstes getan, um den Kampf zu verhindern. Zu jener Zeit war ich erst 22 Jahre alt.

      Als der Kampf unausweichlich schien, habe ich mich und meinen Bruder verteidigt. Ich sagte meinem Bruder, er solle nichts tun, und ich kämpfte allein gegen die vier. Einer von ihnen griff sogar mit einem Messer an. Ich bin noch heute sehr froh, dass diese Sache für uns gut ausgegangen ist. Wenn mich heute jemand zu einem Kampf herausfordert, sage ich »OK, du bist der Sieger«, oder »Es tut mir leid, aber ich bin zu alt, ich kann nicht kämpfen.« Manches bedarf einfach einer gewisse Reife und eines gewisses Alters, um es verstehen zu können. In meinen jungen Jahren war ich im Kampf sehr aggressiv. Erst im Alter wurde ich ruhiger. Jeder muss hier seine eigenen Erfahrungen sammeln. Man kann einem Kind zwar sagen, »Fass nicht auf die heiße Herdplatte«, aber erst, wenn es dies gemacht hat, wird es verstehen, warum.

      Ich glaube, Geduld habe ich erst durch das Budō gelernt. Vor allem Draeger Sensei3 hat mich in dieser Hinsicht sehr geprägt. Auch er stand von Zeit zu Zeit Menschen gegenüber, die den Kampf gesucht haben: Einmal besuchte ich gemeinsam mit ihm einen Meister im Silat Harimau (Tiger-Silat), der in meinem Heimatland in einem kleinen Dorf lebte. Nach einer Vorführung des Silat-Meisters wollte dieser nun wissen, wie gut Draeger Sensei im realen Kampf war, und forderte ihn heraus. Draeger Sensei lehnte immer wieder ab. Er sagte, es sei zu gefährlich, und dass es nur unnötige Verletzungen geben würde. Der Silat-Meister bestand aber auf seinem Ansinnen und gab sein Wort, ihn nicht ernsthaft zu verletzten. Er versprach auch, dass ihm die Dorfbewohner im Falle seines Sieges nichts tun würden. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, sprang er Draeger Sensei an und zielte mit einem Schlag auf dessen Kehlkopf. Ich bin mir nicht mehr sicher, was Draeger Sensei damals gemacht hat. Nach einer kurzen und schnellen Bewegung von ihm lag der Silat-Meister jedoch vor Schmerzen schreiend am Boden. Die Dorfbewohner kamen sofort angerannt und wollten Vergeltung, doch der verletzte Meister hielt sein Wort und stoppte sie. Daraufhin verband Draeger Sensei den gebrochenen oder ausgekugelten Arm des Meisters mit dessen Kopftuch und brachte ihn in ein Krankenhaus. Bis zum Schluss hatte Draeger Sensei nicht kämpfen wollen. Er pflegte stets zu sagen: »Budō heißt, nicht zu kämpfen.«

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