Название: Moment mal!
Автор: Fabian Vogt
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783865068149
isbn:
JANUAR
25
Kuscheln
Na, sind Sie auch so ein Kuschler? Jemand, der andauernd kuscheln will und nichts mehr genießt als Nähe, Hautkontakt und ausführliche Streicheleinheiten? Ich bin einer. Ein echter Powerkuschler. Und wenn es im Radio Kuschelmusik gibt, schmiege ich mich eng an meine Frau und höre ganz gemütlich zu. Mmh.
Ich begreife gar nicht, dass es so viele Kuschelmuffel gibt. Irgendwie ist Kuscheln für mich der Inbegriff von Vertrautheit. Schließlich lehnt man sich ja nicht bei jedem an. Wenn ich kuschele, dann verlasse ich meinen Schutzraum und gebe meine ganze Verletzlichkeit in die Hände meiner Liebsten. Ich kuschele einfach gerne mit meiner Frau. Ich kuschele auch gerne mit meinen Kindern, natürlich auf andere Weise. Kuscheln und Schmusen gehören in eine Familie hinein.
Als Jesus einmal erzählte, wie man mit Gott umgehen soll, sagte er: »Nennt ihn Papa!« Ja, Papa. Das war schon damals eine ganz liebevolle, persönliche und kuschelige Bezeichnung. Ist doch eine nette Vorstellung: Glauben ist so etwas wie Kuscheln mit Gott. Da geht es auch darum, seinen Schutzraum zu verlassen und sich jemandem anzuvertrauen. Sich mit seinen Schwächen in die Hände Gottes zu begeben und sich von ihm die Seele streicheln zu lassen.
Insofern kann man nur allen, die immer noch ein irgendwie fernes, übermächtiges oder gar bedrohliches Gottesbild mit sich herumschleppen, sagen: Jesus hat Mut gemacht, mit Gott zu kuscheln. Das finden Sie ungewöhnlich? Ich nicht. Ich bin ja ein Powerkuschler. Den Helden spielen, das kann ich woanders.
JANUAR
26
Alice
Eigentlich wollte der junge Mann nur einen Ausflug mit dem Ruderboot machen. Zusammen mit drei Schwestern. »Doch ach! Die drei vereinten sich, den müden Freund zu quälen. Sie trieben ihn, sie drängten ihn, ein Märchen zu erzählen.« So jedenfalls beschreibt der Mann diesen denkwürdigen Tag später selbst. Denn das Märchen, das er sich spontan ausdachte, wurde ein Welterfolg.
Der Mann heißt Lewis Carroll – und seine Geschichte »Alice im Wunderland«. Kennen Sie bestimmt. Die Titelheldin folgt während eines langweiligen Picknicks einem weißen Kaninchen in dessen Bau und landet dort in einer traumartigen Welt voller Paradoxien und Absurditäten. Zum Beispiel trifft sie auf eine Grinsekatze, von der irgendwann nur noch das Grinsen übrig bleibt, auf einen verrückten Hutmacher, eine nie endende Teegesellschaft und ein menschliches Kartenspiel.
Und diese verrückten Abenteuer von Alice begeisterten bald so viele, dass sie innerhalb kurzer Zeit auch der Star von Opern, Theaterstücken, Liedern und weiteren Büchern wurde. Ja, es ist sogar eine psychische Erkrankung nach ihr benannt. Beim »Alice-im-Wunderland-Syndrom« nehmen die Erkrankten ihre Umwelt verändert wahr. Größer, kleiner, bunter oder einfach ganz anders.
Lewis Carroll, der übrigens morgen Geburtstag hat, liebte es, die Welt mal mit anderen Augen zu betrachten. Warum auch nicht? Ich meine: Tun wir das nicht ohnehin andauernd? Die Welt unterschiedlich wahrnehmen? Der Klassenkämpfer sieht überall Ungerechtigkeit, der Hundeliebhaber überall Hunde, der Kapitalist überall Chancen zum Geldverdienen – und der Glaubende, der sieht die Gegenwart eines liebevollen Gottes. Entscheidend für mich ist: Was davon macht stark?
JANUAR
27
Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
Am 27. Januar 1945 kommen die Soldaten der Roten Armee auf das Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz – und finden dort nicht nur 8 000 völlig ausgemergelte Gefangene, sondern auch die eindeutigen Spuren einer perfiden Vernichtungsmaschinerie vor. In Auschwitz wurden über Jahre hinweg Menschen systematisch getötet, mit einer Grausamkeit, die sich der menschlichen Vorstellungskraft entzieht. Heute ist der Tag der Befreiung von Auschwitz, der offizielle »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus«.
Später, bei der Aufarbeitung dieses fürchterlichen Verbrechens, haben viele Menschen eine wichtige und kluge Frage gestellt: »Kann man nach Auschwitz eigentlich noch an Gott glauben?« Nach all diesem Grauen, dieser perversen Ideologie und diesem Leid?
Ich habe auf diese Frage nicht DIE Antwort, aber ich habe meine Antwort: Nach Auschwitz ist es nötiger denn je, dass wir an Gott glauben. Ja, es ist nötig, dass wir an diesen Gott glauben, von dem es heißt, dass er alle Menschen liebt – und für den alle gleich würdig sind, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Gesinnung.
Der Nationalsozialismus war ein durch und durch atheistisches System, aber ich weiß natürlich, dass auch im Namen Gottes viel zu viel Unrecht geschehen ist. Für mich ist die Frage deshalb nicht, ob man nach Auschwitz noch an Gott glauben kann, sondern ob wir endlich in der Lage sind, das Liebesgebot Gottes ernst zu nehmen. Denn eines kann man mit Sicherheit sagen: Ein Glaube ist nur dann groß, wenn er den anderen respektiert und achtet.
JANUAR
28
Datenschutztag
An einem 28. Januar 2006 wurde die »Europaratskonvention 108« unterzeichnet. Und weil sich die EU-Staaten mit dieser Konvention verpflichten, die Persönlichkeitsrechte des Menschen bei der Datenverarbeitung zu wahren, ist heute der »Europäische Datenschutztag«. Ja, heute dürfen sich alle mal Gedanken machen, was die massenhafte Speicherung persönlicher Daten eigentlich für Konsequenzen hat – und wie man möglichen Missbrauch unterbindet.
Was passiert zum Beispiel, wenn man beim Googlen oder in einem der vielen Internetforen nicht nur die Farbe meiner aktuellen Unterhose, sondern auch sonstige intime Informationen, unschöne Bilder oder meinen Kontostand findet? Will ich, dass andere alles über mich erfahren können, oder brauche ich eine gewisse Privatsphäre, in der ich sicher bin? Sprich: Wen lasse ich an mich heran? Und wen nicht?
Nebenbei: Der liebe Gott ist, was Datenschutz angeht, ein ganz besonderer Fall. Einerseits heißt es in den Psalmen der Bibel: »Du, Gott, weißt alles über mich. Ja, du kanntest mich schon, ehe ich überhaupt geboren wurde.« Da ist also nichts mit Privatsphäre. Und manchem war und ist das sogar unangenehm: »Was, Gott sieht alles und weiß alles? Oje.« Das ging so weit, dass Leute sogar anfingen, sich vor Gott zu fürchten. »Wenn der sieht, wie ich wirklich bin, dann gnade mir Gott.«
Genau! Denn das ist die andere Seite: Gottes Gnade. Dass Gott alles über mich weiß, ist nach christlichem Verständnis nämlich kein Nachteil. Ein Gott, dessen Gnade größer ist als alle menschlichen Makel, darf ruhig alles wissen. Und – unter uns: Er verrät es nicht weiter.
JANUAR
29
Der Besuch der alten Dame
Zürich, СКАЧАТЬ