Название: Der blinde Spiegel
Автор: Günter Neuwirth
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783990402504
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„Da ist General Kirnbauer“, flüsterte er Clarissa zu. „Wir müssen seiner Frau und ihm die Aufwartung machen.“
Clarissa nickte. Ihre Augen glänzten. Obwohl ihr Vater ein reicher Mann und der Wohnsitz ihrer Familie in Lemberg eine ausladende Villa war, hatte sie solchen Prunk bislang nur einmal gesehen, das war im Schloss Schönbrunn gewesen, in der kaiserlichen Residenz.
Beide stellten sich an den Fuß des Sockels und warteten, bis die türkischen Politiker ihr Begrüßungsgespräch mit dem General abgeschlossen hatten. Einer der Türken übersetzte die wortreichen Äußerungen seiner Kollegen. Der General nickte nur, bejahte, lächelte und war sichtbar glücklich. Das war sein Leben, das war seine Lust, rauschende Empfänge, Prunk und Pracht, Luxus und hohe Politik. Die Türken verneigten sich, küssten der Frau ganz im Stile österreichischer Kavaliere die Hand und traten vom Sockel.
General Kirnbauer strahlte wie die Sonne am Bosporus.
„Da sind Sie ja, Herr Oberleutnant. So kommen Sie doch her. Kommen Sie.“
Meyendorff führte Clarissa die drei Stufen hoch.
„Meine liebe Amalie, jetzt kann ich dir endlich unseren Oberleutnant von Meyendorff vorstellen, der sich wochenlang vor seiner Verpflichtung gedrückt hat, uns seine Abenteuer zu erzählen.“
Amalie Kirnbauer war eine überaus attraktive Frau, sie war die zweite Gemahlin des Generals, fünfzehn Jahre jünger als ihr Mann und in früheren Jahren Schauspielerin und Sängerin gewesen. Meyendorff fühlte, wie er taxiert wurde, wie sie mit laszivem Blick seine Jugend und Schönheit verschlang.
„Gnädige Frau, es ist mir eine Ehre.“
Er küsste ihre Hand.
„Ganz meinerseits, Herr Oberleutnant.“
„Und Sie, mein Kind, sind wohl die Tochter von Wenzel Roth.“
Clarissa machte einen höflichen Knicks. Meyendorff bemerkte, dass der General Clarissa einen ähnlichen Blick zuwarf wie zuvor Frau Kirnbauer ihm.
„Wie war gleich Ihr Name?“, fragte der General.
„Clarissa, Herr General.“
„Nun denn, Clarissa, richten Sie Ihrem Herrn Papa schöne Grüße von mir aus und entschuldigen Sie mich bei ihm, ich hätte Sie natürlich viel früher zu einer Matinee einladen müssen. Und übermitteln Sie ihm auch noch meine besten Glückwünsche für eine so bezaubernde Tochter. Da tut’s mir richtig leid, Sie nicht eher kennengelernt zu haben.“
Kirnbauer fasste Clarissas Hand und tätschelte sie. Sein Blick verlor sich begeistert in ihrem wunderschönen Gesicht. Meyendorff verspürte einen Hauch von Ärger. Der Alte trieb es ja ganz schön bunt.
„Man hört, Sie sind ein wahrer Held, Herr Oberleutnant“, säuselte Frau Kirnbauer.
Der General ließ Clarissas Hand los und stellte sich Schulter an Schulter neben seine Gemahlin.
„Gnädige Frau, ich habe nur meine Pflicht getan.“
„Papperlapapp!“, empörte sich der General lautstark. „Unser junger Freund und eine Handvoll seiner Männer haben in wochenlanger Gefahr bewiesen, dass die k. u. k. Luftflotte über eine Mannschaft verfügt, vor der sogar die Preußen ihre Hüte ziehen müssen.“
Der General wuchs sichtlich, er hatte so laut gesprochen, dass der Trupp von Offizieren, der nun am Fuße des Sockels stand, alles genau hören konnte. Auch der deutsche Offizier hatte nichts versäumt.
„Solange es junge Soldaten vom Schlage des Oberleutnants von Meyendorff gibt, wird Österreich-Ungarn schließlich den Sieg davontragen.“
Meyendorff fühlte sich zum einen geschmeichelt, zum anderen steckte ein Kloß in seinem Hals.
„Der Kaiser“, fuhr der General in großem Ton fort, „vergibt nicht an jeden eine Goldene. Goldene wachsen nicht auf Bäumen, eine Goldene muss man sich verdienen. Herr Oberleutnant, ich bin stolz als Ihr Vorgesetzter, Sie hier in meinem bescheidenen Haus begrüßen zu dürfen. Seien Sie mein Gast.“
Applaus. Er spürte, wie die Blicke aller Anwesenden auf ihm ruhten. Seine Zunge klebte am Gaumen.
Die Frau des Generals lächelte hintergründig.
„Jetzt hast du unseren Helden verlegen gemacht. Entschuldigen Sie meinen Mann, Herr Oberleutnant, aber er ist unverbesserlich.“
Der General winkte generös einen Diener herbei.
„Johann, sorgen Sie dafür, dass sich das Fräulein Roth und der Herr Oberleutnant nicht über meine Gastfreundschaft beschweren können.“
Das war das Zeichen zum Abgang. Meyendorff küsste noch einmal die Hand der Frau des Generals, salutierte stramm, Clarissa knickste, dann folgten sie dem Lakaien zur Tafel. Die sieben Offiziere kletterten die Treppe zum General hoch. Ein höfisches Schauspiel.
Meyendorff war froh, wieder aus dem Rampenlicht abzutauchen. Er erhaschte einen Blick Clarissas. Sie war aufgewühlt und beeindruckt, sie war voller Sehnsucht.
BUDWEIS, NOVEMBER 1945
Das verstehe, wer wolle, ich bin gewiss zu blöd dafür. Ich war immer schon zu blöd für sogenannte Weltpolitik. Ein armer Tropf, gefangen in egoistischem Pazifismus, das bin ich, das war ich, das werde ich immer sein, wie es scheint. Knappe Horizonte, keine Weltsicht, kleinkrämerische Überlebenssucht, so bin ich. Aber was in Dreiteufelsnamen hat Deutschland davon gehabt, den großen Krieg von 14 bis 19 zu gewinnen? Einen Platz an der Sonne wollte man in Berlin. Den hat man auch bekommen, aber der Sonnenbrand hat sich hurtig eingestellt. Zehn Jahre lang wurden Frankreich, Russland und Belgien ausgepresst wie Obst in der Mostpresse, bis auf den letzten Tropfen, so lange bis nichts mehr vorhanden war, bis das geteilte Frankreich von den deutschen Industrieheuschrecken kahl gefressen war. Der große Südwesten musste Nahrungsmittel abführen, die moderate Reparation. Das kleine, industriell starke Nordfrankreich war der Vorhof der deutschen Stahlindustrie und arbeitete Tag und Nacht für die Akkumulation des Kapitals in den Ruhrmetropolen. So lange, bis die Franzosen hungernd zusammengebrochen sind. Ebenso die Belgier. Und die Weiten Russlands wurden geplündert, bis dort der Massenirrsinn Bahn brach und sich jeder gegen jeden mit Messer und Knüppel bewaffnete. Wir alle trauern noch um die Millionen Opfer, die der unendliche Hungerkrieg in Russland gekostet hat. Und die deutsche Industrie ist aus den Krisen der Zwanzigerjahre stark und stärker hervorgegangen. Die paar kleinen Hungersnöte in den germanischen Gauen waren schnell vergessen. Deutschland hat den Krieg gewonnen und war nun alleiniger Herrscher über Europa. Die liebe Donaumonarchie wandelte sich immer mehr zu einem Schauspielhaus für weltpolitische Banalitäten und Peinlichkeiten, aber die Preußen lieben die Österreicher und halten ihnen die Stange. Welcher preußische Landstreicher mit Zahnlücken gilt in der Welt nicht als ein großer Herr im Vergleich zu einem österreichischen Grafen? So etwas gewährleistet Sympathien auch in Krisenzeiten.
Aber Deutschland kriegt nicht genug, kriegt nie genug, will weiter Muskeln СКАЧАТЬ