Neues vom Tatort Tegel. Ingrid Noll
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Название: Neues vom Tatort Tegel

Автор: Ingrid Noll

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

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isbn: 9783955522421

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СКАЧАТЬ können, aber die ist nicht drin. Außerdem bin ich nicht sicher, ob das wirklich so toll wäre. Ich finde, so mit Aufschreiben und abends wieder lesen, auswendig lernen und dann davon träumen und alles noch ein bisschen ausschmücken, das ist besser.

      Überhaupt bin ich richtig professionell geworden, um es mal so zu sagen. Ich habe mir dunkle Klamotten besorgt, die stehen mir sowieso gut. Ich gehe immer einen etwas anderen Weg zu meinem Posten am Hang, damit ich keinen Trampelpfad zwischen den Holunderbüschen austrete. Meistens sowieso von der Autobahnseite her, da sieht mich erst recht keiner. Ich verstecke die Glut meiner Zigarette in der hohlen Hand, selbst wenn ich irgendwo anders bin, so sehr ist mir das in Fleisch und Blut übergegangen. Ich weiß längst, wann die Kinder aus den Nachbarhäusern abends nach Hause müssen. Sie bekommen mich nicht zu sehen, aber ich weiß eine Menge über sie. Sie spielen gern in den Büschen, manchmal finde ich da Spielsachen von ihnen. Die lege ich dann auf meinem Heimweg unten an die Straße, damit sie sie finden und nicht in den Büschen danach suchen. Ich sammle meine Kippen immer sorgfältig ein, damit sie nichts spitzkriegen. Kinder sind schlauer, als man denkt. Außerdem würde das viele Nikotin den Büschen bestimmt schaden, wenn es durch den Regen ins Erdreich käme, könnte ich mir vorstellen.

      So viel Glück wie am ersten Abend hatte ich bisher nicht wieder, aber irgendwas ist immer. Ich hab sie schon im Nachthemd gesehen oder wieder nur in Unterwäsche, alles so was, aber meistens sind das nur so Kleinigkeiten. Die würden niemand was bedeuten. Mir schon. Ich bin einfach froh, sie zu sehen, wie sie sich in ihrer kleinen Wohnung bewegt, sich ihr Abendbrot auf einem kleinen Tablett reinbringt, solche Sachen. Sie isst mit dem Tablett auf den Knien und sieht dabei die Tagesschau oder einen Vorabendkrimi. Wie Prinzessin Diana. Die hat auch mit dem Tablett auf den Knien ferngesehen, habe ich mal gelesen. Sie geht fast nie spät ins Bett, ich kriege immer noch den letzten Bus.

      Sie heißt Kerstin Schmalstieg. Das steht am Klingelschild. Sie arbeitet in einer Rechtsanwalts- und Notariatskanzlei ganz in der Nähe vom Amtsgericht. Freitags geht sie manchmal mit ein, zwei Freundinnen oder Kolleginnen nach der Arbeit ins Café Döhring. Dann sind sie sehr albern und lachen fast die ganze Zeit. Ich sehe das von draußen, weil ich mich nicht an einen Nebentisch setzen will, um zu lauschen. Das macht man nicht. Außerdem will ich nicht, dass sie mich bemerkt. Ich meine, bis jetzt hat sie mich nicht bemerkt – aber wenn sie mich bemerkt, also wenn sie irgendwie Verdacht schöpft, dann ist doch alles aus, oder? Dann zieht sie die Vorhänge zu. Ist doch klar. Ich meine, ich will ihr nichts Böses, echt nicht, ich will sie doch nur sehen und von ihr träumen. Ihr einfach ein bisschen nah sein. Aber sie würde sicher die Vorhänge zuziehen, das ist klar.

      Einen festen Freund hat sie nicht. Darüber bin ich einerseits froh, andererseits auch nicht. Mit ihren Freundinnen geht Kerstin samstags in Discos, meistens ins »Downstairs«. Da gehe ich nicht mit rein, weil die einen horrenden Eintritt verlangen. Ich würde sie gern tanzen sehen, so richtig wild und ausgelassen, dass die Haare fliegen und sie ihre Bluse durchschwitzt, nicht nur so ganz verhalten wie am 21. September vorm Spiegel, obwohl das auch ganz irre war, so anmutig, so in sich versunken. Also, sie mal richtig wild zu sehen, das wäre schon was, aber ich kann da nicht reingehen, nicht nur wegen dem Eintritt, sondern weil es mich verrückt machen würde, wenn sie da mit anderen Kerlen tanzt und die mit ihr flirten und so.

      Weil manchmal bringt sie in ihrem grünen Fiesta einen Kerl aus dem »Downstairs« mit nach Hause. Ich habe dann längst Posten bezogen, obwohl man nie weiß, wie lange man warten muss. Meistens ist der letzte Bus dann schon weg, und ich muss mit dem ersten am Morgen fahren, aber ich warte trotzdem immer. Ich bin treu. Sie hat noch nie zweimal denselben mitgebracht. Sie ist keinem treu. Ich meine, das ist doch leichtsinnig. Sogar gefährlich. Aber für mich lässt das andererseits alles offen, oder? Denn wenn sie einen festen Freund hätte, so eine richtig gute Beziehung, das wäre auch schlecht. Ich meine, für mich. Dann könnte ich mir gar nichts mehr ausrechnen, oder?

      Sie zieht die Vorhänge zu, wenn sie einen dabeihat. Das tut sie sonst nie. Ich bin dann sehr eifersüchtig. Richtig unglücklich. Und gleichzeitig macht mich der Gedanke ganz geil, dass die beiden da oben hinter den Vorhängen sind und was sie so machen miteinander. Das Licht macht sie in solchen Nächten sofort aus, so als wollte sie den Kerl gar nicht sehen, den sie dahat. Ich meine, klar, Kerstin ist von Natur aus sexy, sie braucht das ab und an, wer nicht? Und von mir weiß sie ja nichts. Da kann ich ihr echt keinen Vorwurf machen, aber verrückt macht es mich trotzdem, wo ich doch der Kerl sein könnte, wenn sie was von mir wüsste. Aber dann müsste das Licht an bleiben. Ich will sie immer sehen. Ich liebe sie. Das Gefühl verzehrt mich. Ich liebe sie sehr. Sie ist … entzückend. Sie ist … einfach Wahnsinn.

      Das mit dem Klauen hat sich übrigens nicht wiederholt. Vielleicht war das im September Anfängerglück, jedenfalls keine Routine durch Gewohnheit. Kerstin sieht wenig fern. Sie liest viel, so richtig dicke Schinken wie Ken Follett und so oder Bücher über gesunde Ernährung und Fitness. Ihr Fiesta ist alt und oft zur Reparatur. Dann fahren wir zusammen im Bus. Einmal hätte ich sie beinahe angesprochen. Aber sie hat so an mir vorbeigeguckt. Als ob ich unsichtbar wäre. Es ging einfach nicht, selbst wenn sie geguckt hätte. Was hätte ich schon sagen sollen? Hallo, Kerstin, du kennst mich nicht, aber ich kenne dich besser als deine Mutter, denn ich beobachte dich seit einem Dreivierteljahr? Aber selbst wenn mir was eingefallen wäre: Sie hat mich einfach nicht gesehen.

      Manchmal denke ich wirklich, mich sieht sowieso keiner. Also mache ich ihr auch keinen Vorwurf. Das ist schon seit meiner Kindheit so, im Kindergarten, in der Schule, auch zu Hause. Mutter vor allem, die konnte alles und jeden ignorieren, wenn sie wollte. Hat einfach auf stur geschaltet und Löcher in die Luft geguckt. Selbst wenn man ihr fast ins Gesicht gekrochen ist wegen einem Lutscher oder später, ob man abends noch länger weg darf. Und Vater hat sich ihr angepasst, der arme Kerl. Ihm war alles egal, was nicht mit Sport zu tun hatte. Später hat er sich totgesoffen. Schön ist das sicher nicht, wenn man immer übersehen wird, das muss ich schon sagen, aber man kann’s überleben, ohne Schaden zu nehmen. Das sieht man ja an mir. Andererseits kein schlechter Gedanke, unsichtbar sein zu können, wenn man’s braucht. Was man dann für Möglichkeiten hätte! Aber das ist natürlich nur so eine Fantasie.

      Zum Rauchen geht Kerstin auf den Balkon. Sie raucht wenig. Zwei, vielleicht drei an einem Abend. Am Sonntagmorgen auch mal gleich nach dem Frühstück und noch vor dem Duschen. Das sind Glücksmomente für mich. Oft, so wie eben gerade, ist sie dann nur im Bademantel, so einem dünnen weißen aus Plüsch, der nur bis kurz übers Knie reicht. Ich denke immer, drunter hat sie nichts an. Das zu denken macht mich unheimlich an. Ich meine, vielleicht hat sie doch etwas an unterm Bademantel, aber das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass ich denke, sie hat vielleicht nichts an. Das sind so meine Lieblingsstellen im Tagebuch.

      Gerade ist sie wieder rein. Wie immer, wenn es einigermaßen warm ist, lässt sie die Tür einen Spalt offen. Jetzt kann ich rauchen. Die Zigarette in der hohlen Hand, dass man die Glut nicht sieht in der Dämmerung. Einundzwanzig Uhr dreißig. Es wird bald ganz dunkel sein. Sie haut sich jetzt mit ihrem Schmöker in den Sessel, trinkt vielleicht einen Schluck Weißwein dazu. Ich sehe dann stundenlang nur ihren Haarschopf und manchmal eine wippende Fußspitze. Ich denke, dann ist sie in einer ganz anderen Welt, ganz weit weg. So wie ich in meiner ganz eigenen Welt bin, wenn ich in meinen Gedanken unser Tagebuch durchgehe und umschreibe.

      Aber das ist etwas für meine einsamen Stunden, das will ich jetzt nicht tun. Unten machen sie spätestens um zehn das Licht aus, die alten Mertens gehen immer früh zu Bett. Vielleicht schaffe ich es heute, auf Kerstins Balkon zu klettern. Das hatte ich schon ein paarmal vor, habe mich aber nie wirklich getraut. Aber heute will ich. Dann werde ich ihr doch viel näher sein. Und ich denke, sie will das auch. Alle wollen jemanden, der ihnen nahe ist, nicht nur mal für eine Nacht, sondern für lange. Für immer. Aber wenigstens ab und an. Deswegen geht sie doch in die Disco, oder? Diese Scheißkerle! Wenn da auch nur ein Guter drunter gewesen wäre, wäre Kerstin schließlich auch nicht mehr allein. Ich bin ihr treu. Nur weiß sie nix davon.

      Ich denke, heute kann ich es schaffen raufzuklettern. Ich muss mich nur zusammenreißen. СКАЧАТЬ