"Rosen für den Mörder". Johannes Sachslehner
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Название: "Rosen für den Mörder"

Автор: Johannes Sachslehner

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783990404669

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СКАЧАТЬ eingeführt, nun folgen weitere Schikanen: Juden sollen nur mehr schwere körperliche Hilfsarbeiten leisten und ansonsten „aus dem Wirtschaftsleben ausgeschieden“ werden. Das flache Land sei von den Juden zu „säubern“, das Verlassen der Ghettos in den Städten sei ihnen zu verbieten, es sei ihnen „nur so viel an Nahrungsmitteln zu überlassen, wie die übrige Bevölkerung entbehren kann, jedoch nicht mehr, als zur notdürftigen Ernährung der Insassen der Ghettos ausreicht“. Die „arbeitsfähigen Juden“ seien nach „Maßgabe des Arbeitsbedarfs“ zur Zwangsarbeit heranzuziehen, die Vergütung habe dabei „nicht der Arbeitsleistung zu entsprechen, sondern nur der Bestreitung des notdürftigen Lebensunterhaltes“ zu dienen. Das hermetisch abgeschlossene Ghetto müsse seine „inneren Verhältnisse“ in Selbstverwaltung regeln, das Gebietskommissariat habe darüber die Aufsicht – ein klarer Arbeitsauftrag für Hingst und Murer, dem sie auch auf Punkt und Beistrich nachkommen wollen: „Konzentration, Kennzeichnung, Enteignung und Ausbeutung“ der Juden von Wilna sind ihr Ziel, ein „gestaffeltes System von Ausbeutung, Terror und Kontrolle“, das dafür sorgt, dass diese „tagtäglich im Schatten des Todes“ leben. (Wolfgang Benz, Einsatz im Reichskommissariat Ostland.) Dass sie damit der Endlösung der Judenfrage, der flächendeckenden „Vernichtung“ von jüdischen Männern, Frauen und Kindern, zuarbeiten, scheint die beiden „Goldfasane“ nicht weiter zu stören, ja, sie unterstützen die Mordkommandos mit entsprechenden Maßnahmen. Sie haben zwar nicht das Recht zu töten oder töten zu lassen – sie nehmen es sich jedoch einfach. Die jüdische Bevölkerung untersteht dem Gebietskommissariat in allen zivilen Belangen, Polizei, SD und Gestapo sind für „Sicherheitsbelange“ zuständig, was immer auch das heißen mag – gemeinsam sorgt man für Terror und Tod.

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      Auftakt zum Holocaust: Angehörige des Litauischen Selbstschutzes treiben Juden aus ihren Häusern, Juli 1941.

      Auftakt zu den antijüdischen Maßnahmen bildet eine erste „Bekanntmachung“, die vom Gebietskommissariat am 2. August 1941 veröffentlicht wird. Die Vernichtung beginnt mit der Erfassung der jüdischen Bevölkerung und ihrer Stigmatisierung: Bei Aufruf durch den Bürgermeister haben sich alle Einwohner „zwecks Registrierung“ zu melden. Alle Juden und Jüdinnen, die das 10. Lebensjahr überschritten haben, sind „mit sofortiger Wirkung verpflichtet, auf der rechten Brustseite und am Rücken einen – mindestens 10 cm breiten – weißen Streifen mit dem gelben Zionsstern oder einen 10 cm großen gelben Fleck zu tragen. Diese Armbinden bzw. Flecke haben sich die Juden und Jüdinnen selbst zu verschaffen und mit dem entsprechenden Kennzeichen zu versehen.“ Mit einer Reihe weiterer Schikanen wird die jüdische Bevölkerung systematisch ihrer Menschenwürde beraubt: Juden dürfen von nun an die Gehsteige nicht mehr benutzen, verboten sind ihnen ebenso Promenaden und öffentliche Parkanlagen sowie Strände. Verboten ist ihnen ab sofort auch die Benützung aller öffentlichen Verkehrsmittel und von Taxis, die Betreiber öffentlicher Verkehrsmittel müssen dafür sorgen, dass in ihren Fahrzeugen gut sichtbar ein Schild „Nur für Nichtjuden“ angebracht ist. Später wird auch „das Grüßen seitens der Juden und Jüdinnen“ ausdrücklich verboten, „Zuwiderhandlungen“ werden natürlich streng bestraft.

      Wenige Tage später verschärft das Gebietskommissariat diese Bestimmungen und nennt 17 „Prinzipialstraßen“, die von nun an von Juden nicht mehr betreten werden dürfen. Als der Judenrat daraufhin am 18. August interveniert, lässt sich Murer zu einer Sonderregelung bewegen: 5 Mitgliedern des Judenrates soll das Betreten dieser „Prinzipialstraßen“ gestattet sein, weiters auch zwei „Courieren“, um den Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten. Der Referent für jüdische Angelegenheiten im Landkreis Vilnius, zu diesem Zeitpunkt noch ein Herr Jonas Čiuberkis, wird von ihm gebeten, entsprechende Ausweise „mit den Namen der Juden“ auszuarbeiten. (LCVA, R-643, ap. 3, b. 300, BL. 50)

      Von Anfang an, so hat man den Eindruck, ist es Murer, der das Heft in die Hand nimmt. Vor Gericht wird er später treuherzig beteuern, nur für das Landwirtschaftsreferat zuständig gewesen zu sein, in seiner im Alter verfassten autobiografischen Notiz räumt er ein, dass er die „Landwirtschaft im Stadtbereich“ nur „nebenbei“ zu betreuen hatte, damit verknüpft wäre gewesen, „die Ablieferungspflichten einzuführen, das Verwaltungsstrafrecht bei Preisüberwachung und Schleichhandel auszuüben und die Preisüberwachungsstelle zu übernehmen. Weiters die Kraftfahrzeug-Zulassung und den Kraftfahrzeugpark zu organisieren“ – all das in Zusammenarbeit mit der litauischen Stadtverwaltung. Seine Hauptaufgabe als Stabsleiter und Adjutant Hingsts liegt aber von Anfang an in der Auseinandersetzung mit „Judenangelegenheiten“ und da will er es den Juden gleich einmal so richtig zeigen:

      Am 6. August 1941 lädt Franz Murer – angeblich auf Befehl von Hingst und SS- und Polizeiführer Lucian Wysocki – Mitglieder des Judenrats zu einem Gespräch ein, es kommen Eliezer Kruk, Abraham Zajdsznur und Shaul Pietuchowski. Das Treffen findet jedoch nicht in den Büroräumen des Gebietskommissariats statt, sondern in einem Haus in einer nahe gelegenen Gasse. Murer überrascht die drei Männer mit einer schockierenden Forderung: Am nächsten Tag, dem 7. August, müssten ihm die Juden fünf Millionen Rubel (= 500.000 Reichsmark) „Bußgeld“ übergeben. Um neun Uhr morgens, so Murer weiter, solle ihm die Deputation des Judenrats die ersten zwei Millionen überbringen, im Laufe des Tages dann die weiteren Millionen. Und dann eine deutliche Drohung: Sollten ihm die zwei Millionen nicht am nächsten Morgen übergeben werden, so hätten sich um zehn Uhr alle anderen Mitglieder des Judenrats bei ihm einzufinden, um die Leichen ihrer Kollegen abzuholen.

      Die drei Männer kehren in den Judenrat zurück, Panik macht sich breit, als sie von Murers Forderung berichten. Wie soll man so schnell so viel Geld auftreiben? Auf den Straßen dürfe man sich bis sechs Uhr abends aufhalten, zahlreiche Straßen sind für Juden überhaupt gesperrt. Schließlich ist es, wie Herman Kruk in seinem Tagebuch berichtet, der greise Arzt Dr. Jakob Wygodzki, der seine Stimme erhebt: Für Verzweiflung sei keine Zeit, man müsse sofort mit dem Sammeln des Geldes beginnen.

      Die Nachricht von Murers Bußgeld-Forderung verbreitet sich rasch. Spontan werden Komitees gebildet, die einzelne Straßen und Stadtteile übernehmen, man beginnt mit dem Einsammeln von Geld, Gold und diversen Wertgegenständen. Um sechs Uhr abends hat man 667.000 Rubel, ein Pfund Gold, Uhren und Diamanten beisammen. Viele Juden glauben, dass sie mit ihrer „Spende“ ihr Leben erkauft haben. Andere wieder hoffen, dass die Tributzahlung dazu beitragen könne, etwas über das Schicksal ihrer verschleppten Angehörigen zu erfahren.

      In ihrem Tagebuch schildert Mascha Rolnikaite die Verzweiflung dieses Tages – der 14-Jährigen hat man gesagt, dass die Deutschen am nächsten Morgen mit der Tötung aller Juden beginnen werden, sollte die geforderte Summe nicht abgeliefert werden. Ihre Mutter hat „alles Geld bis auf den letzten Groschen zusammengesucht“ und dem Judenrat gebracht, sie selbst glaubt sich schon verloren: „Ich stehe am Fenster, sehe hinaus und weine: Der Gedanke, dass ich morgen sterben muss, ist furchtbar. Bis vor kurzem bin ich doch noch in die Schule gegangen, bin durch die Schulflure gelaufen, habe an der Tafel gestanden, und plötzlich heißt es – stirb!“ (Zitiert nach Mascha Rolnikaite, Ich muss erzählen.)

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      Adjutant Franz Murer ist gnädig: Er gestattet den Mitgliedern des Judenrats das Betreten von 17 „Prinzipalstraßen“ (LCVA, R-643, ap 3, b 300, Bl. 50).

      Am Morgen des 7. August, pünktlich um 9 Uhr, stehen Kruk, Zajdsznur und Pietuchowski wieder vor Murer. Er geht mit ihnen in den Keller des Hauses, zählt das mitgebrachte Geld und fragt dann, wo denn der Rest sei. Die drei Männer erklären ihm, dass noch gesammelt werde. Murer schickt daraufhin Abraham Zajdsznur zurück zum Judenrat, die beiden anderen werden festgenommen. Die Order, die Zajdsznur zu überbringen hat: Alle Mitglieder des Judenrats müssten sofort vor Murer erscheinen und den ganzen Betrag mitbringen.

      Der Judenrat kommt denn auch vollzählig, allerdings ohne Geld. Dr. Wygodzki wagt sich mit der Bitte vor, die Frist für СКАЧАТЬ