Название: Chris Owen - Die Wiedergeburt
Автор: Matthias Kluger
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783961455102
isbn:
Thabo blickte zu Akono. »Kommst du alleine klar? Ich würde gerne mitfahren, um auf Oluchi aufzupassen. Morgen Abend bin ich zurück, wenn ich jemanden finde, der mich fährt.«
Akono nickte erleichtert, dass sich sein Vater entschlossen hatte, bei der Mutter zu bleiben. Die Dorfbewohner würden sich um ihn kümmern, so war es üblich. Eigentlich wurden die Kinder nicht nur von ihren Eltern erzogen, sondern von der gesamten Dorfgemeinschaft.
Tafari stand auf und warf einen letzten Blick auf Oluchi. Er selbst könnte ihr lediglich fiebersenkende Mittel geben, aber Oluchi schien sehr geschwächt. Und das nach so kurzer Zeit?
Auf der knapp zweistündigen Fahrt ins Hospital begegneten ihnen keine weiteren Autos. Ab und an kreuzte ein Eselskarren den Weg. Ansonsten weit und breit entlang der Strecke Buschland, unterbrochen von vereinzelt stehenden Lehmhütten und Kornspeichern. Oluchi lag fiebernd auf der Rücksitzbank des Wagens, während draußen eine flirrende Hitze von 45 Grad Celsius herrschte.
Kurz bevor sie in Burkina Faso ankamen, kontrollierte sie eine schwer bewaffnete Sondereinheit der Polizei. Tafari streckte eine in Plastik eingeschweißte Karte durchs Fenster, die ihn als Mediziner auswies, und wechselte einige Worte. Man winkte ihn durch und wenig später erreichten sie Léo, einen staubigen Marktflecken Burkina Fasos. Die sandige Straße war gesäumt von Müll sowie zerschlissenen schwarzen Plastiksäcken, deren Gestank nach verfaultem Obst und Tierkadavern ins Wageninnere drang.
Vor der Klinik, einem für diese Gegend beispiellosen Gebäudekomplex, machten sie halt. Das Gebäude, ein sandsteinfarbiger, zweiflügeliger Bau, zierten bunte Glasfenster und es verfügte neben Räumen für Ärzte und Klinikpersonal über zehn Betten und eine separate Isolierstation.
Thabo trug seine Frau durch die Flügeltüren in die Eingangshalle. Oluchi, außerstande sich zu bewegen, bekam nur schemenhaft mit, was um sie herum geschah. So schlecht war es ihr in ihrem ganzen Leben noch nie gegangen. Schmerzen peinigten sie, die sie trotz ihres einsetzenden Fieberwahns spürte.
Eine farbige Schwester mit rundem Gesicht und breiter Nase rollte ihnen eine Trage entgegen. Während Thabo an der Information die Personalien seiner Frau diktierte, folgte Tafari der Patientin, die von der Krankenpflegerin in einen Nebenraum geschoben wurde. Dort saß ein etwa fünfzigjähriger Arzt mit weißem Kittel, ein Stethoskop um den Hals.
»Seit wann hat sie hohes Fieber?«, fragte der Arzt mit besorgter Miene.
»Laut ihrem Mann seit heute Morgen.«
»Hast du ihr etwas dagegen gegeben?«
»Nein, wir sind direkt aus Tamiga hierhergefahren.«
Der Arzt nickte, während er die Entnahme von Blutproben vorbereitete. Dann wies er die Schwester an, der Infusion ein fiebersenkendes Mittel beizumischen. »Wir werden die Blutwerte testen und sie hierbehalten.«
Inzwischen war Thabo hinzugekommen; er verfolgte die Unterhaltung des Mediziners mit Tafari und beobachtete die Schwester beim Anlegen der Kanülen. Oluchi lag indes noch immer mit geschlossenen Augen auf der Krankenliege. Fein säuberlich verwahrte der Arzt die sechs mit Oluchis dunkelrotem Blut gefüllten Reagenzgläser und versah sie mit Aufklebern, die diese eindeutig identifizierten.
»Morgen wissen wir mehr. Bleibst du in der Stadt?«, fragte der Doktor.
»Ich fliege morgen und werde die Nacht wohl am Flughafen in Ouagadougou verbringen.« Tafari platzte fast vor Stolz.
»Könnte ich bei ihr bleiben?«, fragte Thabo sorgenvoll dazwischen.
»Sie können gerne die Nacht hier verbringen. Die Schwester wird Ihnen zeigen, wo Sie schlafen können und etwas zu trinken bekommen. Morgen wissen wir mehr.«
Es war kurz vor 06:00 Uhr, als sich die Sonne über das Flughafengelände erhob. Trotz der Aufregung gelang es Tafari, in der Wartehalle ein wenig zu schlafen. Sein Gepäck, ein hellbrauner, in Kunstleder gefasster Koffer, hatte er bereits am Abend eingecheckt. So musste er nur noch zu Gate 9, um die Maschine zu erreichen.
Punkt 07:15 Uhr spürte er, wie sein Körper in den Sitz der United Airline gepresst wurde. Über 10.000 Kilometer Flugstrecke lagen vor ihm. Im Direktflug wären es knapp 9.500 gewesen, doch für seinen Flug war eine Zwischenlandung in Brüssel (Ankunftszeit 14:17 Uhr Ortszeit) eingeplant. Dummerweise hatte er dort fünf Stunden Aufenthalt, sodass die Ankunft in New York für 22:25 Uhr angekündigt war. Danach flog die Maschine mit den restlichen Fluggästen weiter zum endgültigen Ziel: Miami.
Die Boeing 767-300 fasste knapp 200 Sitzplätze, wovon einige im hinteren Bereich unbesetzt blieben. Neben Tafari saß eine ältere Dame mit hellem, violett gefärbtem Haar, welches trotz Dauerwelle einen dünnen, eingefallenen Eindruck machte. Eigentlich müsste sie bereits ergraut sein, dachte Tafari, als er sie unbemerkt von der Seite anblinzelte. Sie trug eine braune Safarihose, weiße Bluse, Sportschuhe. Ihr Gesicht war stark geschminkt, wie Tafari befand, was vorrangig an dem dick aufgetragenen roten Lippenstift sowie den mit grüner Farbe bemalten Augenlidern lag. Sowohl ihre Hände als auch das Gesicht waren faltig; braune Altersflecke zierten die Handrücken. Es störte Tafari nicht, dass die Dame geringes Interesse an ihrem Sitznachbarn zeigte. Außer einem kurzen Lächeln, als sie ihren Platz gefunden hatte, nahm sie weiter keine Notiz von ihm. Dies änderte sich, nachdem sie den dritten Whisky bei der Stewardess bestellt und den Plastikbecher, wie die beiden anderen zuvor, in einem Zug geleert hatte.
»Sprechen Sie Englisch?«, fragte die Alte, als sie bereits über zwei Stunden in der Luft waren.
»Ja, ein wenig«, erwiderte Tafari und wandte den Blick vom runden Bullauge weg der Lilahaarigen zu.
»Sie müssen nicht denken, dass ich immer so viel trinke, aber ich leide unter schrecklicher Flugangst. Ungewöhnlich für eine New Yorkerin, meinen Sie nicht auch?«
»Gewiss.«
»Ich bin froh, dass Sie so schlank sind. Auf dem Hinflug vor einer Woche saß eine fürchterlich dicke Frau neben mir. Sie hat gar nicht gut gerochen.«
Tafari lächelte in der Hoffnung, nicht selbst einen üblen Geruch an sich zu haben. Immerhin trug er seine Kleidung schon seit zwei Tagen, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, im Flughafengebäude zu duschen.
»Wissen Sie, welcher Film gezeigt wird?«, fragte die Lilahaarige weiter.
»Nein, doch vor Ihnen liegt ein Programmheft. Da steht es, glaube ich, drin.«
»Ach Gott, natürlich. Daran hab ich alte Dame mal wieder nicht gedacht.« Sie kramte in dem Netz, das an der Rückenlehne des Vordersitzes angebracht war, und studierte die Bordzeitung.
Tafari blickte wieder in den strahlenden Himmel, der hellblau leuchtend über, neben und unter ihm zu sehen war. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er ein erhebendes Gefühl von Freiheit. Mit geschlossenen Augen malte er sich aus, wie es in New York sein würde. Die hohen Häuser. Er hatte bereits Bilder davon gesehen, doch schien es ihm unmöglich, in einem dieser Wolkenkratzer im hundertsten Stockwerk zu wohnen. СКАЧАТЬ