Cantata Bolivia. Manfred Eisner
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Название: Cantata Bolivia

Автор: Manfred Eisner

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783957446794

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СКАЧАТЬ ein erträgliches Zusatzgeschäft für die Bäckerei werden. Wenn Heiko es richtig anstellt, müsste er an diesem neuen Umsatz finanziell beteiligt werden.“

      Am nächsten Montag begleitet Heiko seinen Sohn auf dessen ersten Schulweg. Sein „Onkel“ Josef hat Oliver zur Einschulung einen schönen Lederranzen geschenkt, den er stolz auf dem Rücken trägt. Die in Deutschland zu dieser Gelegenheit üblichen großen, bunten Schultüten sind in Bolivien leider unbekannt. Von da an gehen Oliver und Mitbewohner Alfred Kahn gemeinsam zwei Mal täglich zu Fuß zur Schule und wieder nach Hause. Die kleine Lissy hat es da besser, sie darf mit der Straßenbahn zum Kindergarten und von dort wieder nach Hause fahren.

       3. Geschichtliches

      Allabendlich, nachdem sie ihr bescheidenes Abendbrot verzehrt haben, sitzen die älteren Bewohner der Casa Azul beisammen und unterhalten sich über die Themen des Tages. Vor allem natürlich über den schlimmen Kriegsalltag in Europa und Afrika. Mit tiefem Erschrecken hören sie die Berichte über die furchtbare Lage der verfolgten Juden, nunmehr auch in den besetzten Gebieten, sowie die unendlich scheinende Siegeskette Nazi-Deutschlands gegen den gesamten Rest der zivilisierten Welt. Dabei ist es meistens Heiko, der, wenn die Kinder im Bett sind, dem Rest der Anwesenden die tristen Neuheiten aus den Zeitungen „La Razón“ und „El Diario“ in Übersetzung vorträgt. Um Heiko ein wenig mehr Licht für das Zeitunglesen zu schaffen, wurde anstelle der 25-Watt-Funzel über seinem Platz am Esstisch eine 40-Watt-Leuchte in die Fassung eingeschraubt.

      Im Laufe einer der auf Heikos Nachrichtenvortrag folgenden angeregten und oft heiß ausgetragenen Diskussionen, die sich nicht zuletzt mit den tagtäglichen Unannehmlichkeiten und den unerklärlichen Zuständen befassen, die man hierzulande zu erleiden glaubt, stellt plötzlich Herr Ullmann, dem die Hausgenossen hinter dem Rücken wegen seiner unbeirrbaren Suche nach einer Lösung für eine Berechnung der Kreis-Quadratur insgeheim den Beinamen „el Judío matemático“ (der mathematische Jude) verliehen haben, die folgende Frage: „Was wissen wir überhaupt über Bolivien, dieses Land, in dem wir in der größten Not Aufnahme fanden und an dem die meisten von euch so viel auszusetzen haben und sich beklagen? Warum ist hier so vieles anders, so ungewohnt für uns Mitteleuropäer?“

      Darauf folgt langes Schweigen.

      Schließlich bemerkt Max Sturm: „Sie haben recht, Herr Ullmann, Sie haben ja so recht. Überhaupt nichts habe ich von diesem Land gewusst, bevor wir hier ankamen, und viel mehr habe ich seitdem auch nicht erfahren. Uns ist doch vieles, über das wir uns jeden Tag wundern, unbekannt und unverständlich, von der uns bisher fremden Sprache dieser stets Coca kauenden Indios ganz abzusehen. Viele sprechen ja nicht einmal Spanisch, sondern ihre Aymara-Ursprache. Wieso eigentlich?“

      „Nun ja, vieles wäre uns sicher etwas verständlicher, gingen wir den Ursachen ein wenig auf den Grund“, meint darauf Heiko.

      „Herr Keller, Sie sind doch von uns allen der am meisten belesene Bewohner“, stellt Herr Kahn kurz darauf fest. „Könnten Sie uns vielleicht in einigen Vorträgen die Geschichte des Landes etwas näherbringen?“

      „Oh, ja, Heiko, tue das bitte!“, fällt Clarissa mit Begeisterung ein. „Dafür bist du wie geschaffen, mein Lieber!“ Heiko überlegt ein wenig, dann stimmt er zu: „Also gut, ich bin einverstanden. Wenn Sie alle dies möchten, bin ich gern dazu bereit. Aber geben Sie mir ein wenig Zeit, um mich darauf vorzubereiten, in Ordnung?“

      Wenig später sitzt Heiko, nachdem er seine Arbeit in der Bäckerei vollendet hat, einige Nachmittage in der Biblioteca Municipal und schreibt eifrig Wissenswertes aus diversen Geschichtsbüchern ab, die er entliehen hat. Besonders beeindrucken ihn die hanebüchenen Berichte des Dominikanermönchs Bartolomeo de las Casas über das Massaker, das die spanischen Conquistadores unter der Inka-Urbevölkerung bei und nach der Eroberung ihres Reiches verübten, dem Territorium, auf dem die heutigen Länder Kolumbien, Ecuador, Perú und Bolivien liegen.

      Ein paar Wochen später ist Heiko dann bereit, mit seiner Vortragsreihe zu beginnen. Aufmerksam verfolgen seine Zuhörer, zu denen sich auch Frauke und gelegentlich Josef gesellen, sofern dieser gerade in La Paz und nicht auf der Hacienda weilt, seine Ausführungen. Um seine Zuhörer nicht mit zu vielen Details zu überfordern, beschränkt er sich auf das Wesentliche.

      „Nun, für unser Verständnis fing hier wohl alles im Jahre 1492 mit der zufälligen Entdeckung Amerikas durch Cristóbal Colón an. Ich nenne ihn bewusst bei seinem spanischen Namen, damit euch die hiesigen Ausdrücke geläufiger werden. Übrigens, ihr habt vermutlich bereits seine beeindruckende Statue aus weißem Marmor am Prado bewundern können. Es war eine Spende der hiesigen italienischen Kolonie.“

      Erwartungsvoll blickt Heiko in die Runde seiner Zuhörer und erntet Zustimmung durch allgemeines Kopfnicken.

      „Es ist bekannt, dass Colón im Auftrag der spanischen Krone mit seinen drei kleinen Karavellen – Santa Maria, Pinta und Niña – eigentlich auf der Suche nach einem direkten und kürzeren Seeweg nach Indien war. Da kam ihm doch unerwartet der amerikanische Kontinent sozusagen in die Quere. Weil er anfänglich dachte, er sei tatsächlich in Indien angelandet, nannte Colón die Eingeborenen Indios, und seine damalige Fehleinschätzung hat bis heute Bestand. Jedenfalls kniete er auf jener Insel, die er ‚La Española‘ taufte (und die sich heute die Dominikanische Republik und Haiti teilen), nieder und nahm damit ebenfalls den riesigen Kontinent im Namen seiner katholischen Majestäten von Castilla, Isabel und Fernando II, in Besitz.

      Aber es ist nicht so, dass hier, auf diesem Erdteil, alles mit dem Eintreffen der Spanier begann, nein, durchaus nicht. Es existierte auf dem amerikanischen Kontinent schon seit vielen Jahrhunderten die sogenannte Präkolumbianische Ära. Während die Europäer sich noch im dunkelsten Mittelalter befanden, waren es die Inkas, unter deren Herrschaft bereits die umfangreiche Zivilisation Südamerikas in den für uns bedeutsamen, hiesigen Gebieten der Anden entstand. Deren gesamtes Reichs-Territorium, das sogenannte Tahuantinsuyo, umfasste vier Suyos oder Teilgebiete im Norden, Osten, Süden und Westen. Die unsere, die südliche Region, nannte sich Collasuyo.

      Der bedeutendste Gebieter oder Inka war nicht unbedingt ein erstgeborener Nachkomme des vorherigen Herrschers, sondern wurde wegen seiner besonderen Eigenschaften als Regent gewählt. Nach seiner Wahl hielt er sich stets fernab von seinen Untertanen. Alles, was mit ihm in Berührung kam, betrachtete man als heilig. Getragen wurde er in einer Sänfte, denn eine Bodenberührung hätte, bedingt durch seine Heiligkeit, unweigerliche Katastrophen auf der Erde verursacht. Neben dem Inka gab es noch einen ihm beigeordneten Landesverweser, der sich um die üblichen Regierungsgeschäfte zu kümmern hatte.

      Gemäß der Legende wurde das Imperium durch den ersten Inka, Manco Cápac, ein vom Sonnengott Inti Entsandter, begründet. Er entstieg dem Lago Titicaca in Begleitung seiner Ehefrau, Mama Ocllo, und gründete die Reichshauptstadt Cuzco, heute in Perú. Ungefähr ein Dutzend Inkas regierten schließlich nacheinander das Imperium bis zur Ankunft der spanischen Conquistadores Francisco Pizarro und Diego de Almagro im Jahre 1532. Der Krieger Atahualpa hatte seinen Bruder Huascar durch einen militärischen Coup aus dem Amt verdrängt und sich selbst als Inka inthronisiert. Später ließ er den Bruder sogar ermorden.

      Die von Atahualpa ausgesandten Späher überwachten die 168 mit Pizarro in Tumbes angelandeten Soldaten, von denen 37 beritten waren, bei ihrem Vormarsch. Sie berichteten ihrem Herrscher, dass es sich wohl um weiße Götter handelte, die in Eisen gekleidet seien, auf wilden Monstern ritten und sehr laute, feuerspuckende Stäbe mit sich führten. Der Inka hielt dies für ein gutes Omen und sandte ihnen Emissäre entgegen, um die Götter zu sich einzuladen. Diese falschen Götter waren aber zunächst von Reichtum und Kultur der Ureinwohner stark beeindruckt, ebenso wie von deren offensichtlich zahlreichen Streitkräften, über die ihr Herrscher verfügte. Allerdings war die primitive Bewaffnung der Inka-Armee СКАЧАТЬ