Название: Auf dem Weg in ein neues Leben
Автор: Thomas Löffler
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957444851
isbn:
Herr Weinreiter sah seinem Gast in die Augen. „Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?“
Uwe war diese Frage unangenehm. Dennoch antwortete er. „Ja, ich glaube daran.“
Eine Weile war es wieder still im Raum. Der Gastgeber stand auf, ging zum Klavier, schlug einen Ton an und flüsterte: „Ich glaube nicht nur an ein Leben nach dem Tod. Ich weiß, dass es eines gibt. Und ...“ Er unterbrach sich selbst, ging langsam zur Sitzecke zurück, legte seine schwielige Hand auf Uwes Schulter und sagte, jedes Wort betonend: „Ich bin fest davon überzeugt, dass meine Frau uns jetzt sieht.“
Uwe mochte dem alten Mann nicht sagen, dass niemand so etwas wissen konnte. Schließlich war noch kein Verstorbener zurückgekommen. Stattdessen entgegnete er: „Ganz bestimmt tut sie das.“
Der alte Mann nahm seine Hand von Uwes Schulter und setzte sich auf ein knarrendes Sofa. „Sie wollen jetzt bestimmt weiter. Ich möchte Sie nicht aufhalten.“ Lange war es still im Raum. Nur das Ticken einer großen Standuhr war zu vernehmen. „Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann. Nur ein Bild.“ Wieder stand er auf. Von einem Beistelltisch nahm er ein gerahmtes Foto und legte es Uwe in die Hand. „Schauen Sie ...“ Mitten im Satz hielt er inne. „Entschuldigen Sie! Sie können es ja gar nicht sehen. Das ist unser Hochzeitsbild. – Von der goldenen Hochzeit“, setzte er ergänzend hinzu und nahm Uwe das Bild wieder ab. Behutsam, als wäre es zerbrechlich, stellte Herr Weinreiter es auf den Tisch zurück und nahm stattdessen die dicke Kerze in die Hand, die ihren Platz neben dem Bild hatte. Dann setzte er sich wieder Uwe gegenüber.
„Auch mit Bildern kann man sich unterhalten“, sagte Uwe vorsichtig.
Versonnen erwiderte der Alte: „Ja. Und wenn man ganz still ist, hört man sogar eine Antwort.“
„Sind es Antworten, die Sie sich wünschen?“
Uwes Gegenüber lachte laut auf. „Nicht immer. Manchmal streiten wir uns auch.“ Er legte Uwe die Kerze in die Hand.
Dieser befühlte sie von allen Seiten und erkannte reliefartige Verzierungen.
Mit Stolz in der Stimme sagte Herr Weinreiter: „Meine Frau hat diese Kerze selbst beklebt.“
Uwe lächelte. „Ich muss jetzt wirklich aufbrechen“, erklärte er und gab seinem Kunden die Kerze zurück. „Rufen Sie mich an, wenn ich Ihr Klavier wieder stimmen soll. Ich komme gern.“
„Was bekommen Sie für Ihre Arbeit?“
Uwe winkte ab. Er konnte von diesem Mann kein Geld verlangen! „Wir regeln das beim nächsten Mal“, entgegnete er.
Später, im Zug, dachte er noch lange über den alten Herrn nach. Wie verbittert musste dieser sein, dass er am Anfang so ablehnend gegenüber Uwe gewesen war. Rührte vielleicht daher seine Einsamkeit?
Kapitel 5
Missmutig schaute Meike aus dem Fenster in den strömenden Regen hinaus. Den Weg zur Firma schaffte sie in zwanzig Minuten. Bei Regen jedoch schien er ihr doppelt so lang. In einer Stunde musste sie los. Auf dem Wohnzimmertisch lag die Post vom Vortag. Zwischen Reklame und Rechnungen fand Meike einen Brief in Blindenschrift. Sie hatte nur einen Brieffreund, und dieser wohnte in der DDR. Ungeduldig öffnete sie den Umschlag und zog ein Blatt heraus. Uwe war nicht gerade der Schreibfreudigste. Leicht glitten ihre Finger über die Zeilen.
Hallo Karin,
vielen Dank für deine lieben Zeilen. Unsere Brieffreundschaft bedeutet mir sehr viel.
Meike hielt im Lesen inne. Warum mussten die Briefe, die sie sich schrieben, immer so neutral klingen? Sogar einen anderen Namen mussten sie verwenden. Sie hoffte, dass dies alles bald der Vergangenheit angehören würde.
Vor einigen Tagen war ich bei einem älteren Herrn, um ein Klavier zu stimmen. Zuerst wirkte er sehr verschlossen, ja er war mir gegenüber sogar ablehnend. Der Mann ist sehr einsam. Nur für seine verstorbene Frau lässt er das Instrument, das wirklich nur noch für den Schrottplatz taugt, stimmen. Ich denke oft über ihn nach.
Der arme Uwe, dachte Meike. Er ist selbst hypersensibel und soll anderen ein Seelsorger sein. Vielleicht gerade deshalb.
Meine Gedanken sind oft bei meiner Freundin.
Ich hoffe doch stark, dass er mich meint! Die junge Frau grinste.
Unsere Bandprobe ist total schiefgelaufen. Überdies haben der Bassgitarrist, eine Sängerin und der Schlagzeuger angekündigt, die Band zu verlassen. Ich muss jetzt los. Später kommen zwei Bekannte zu Besuch. Wir wollen den nächsten Urlaub besprechen.
Es grüßt dich Peter
Schweren Herzens steckte Meike Uwes Brief in den Umschlag zurück. Ein drittes Mal stand ein Wechsel der Deckadresse bevor. Das wäre die Gelegenheit, Peter in Uwe und Karin in Meike umzutaufen.
Das Klingeln des Telefons weckte sie aus ihren Träumen. Ohne sich zu beeilen, ging Meike zu einem kleinen Schränkchen, auf dem ein schwarzes Telefon stand. Kurz angebunden meldete sie sich: „Zieling.“
„Was ist denn mit dir los?“ An der Frage erkannte Meike ihre Kollegin.
„Petra, du bist es. Ich dachte, es wäre Bernd. Der nervt zurzeit mal wieder. Er kann einfach nicht begreifen, dass ich ihn nur als Kumpel will.“
„Ist es dir recht, wenn ich dich zur Arbeit abhole? Es gießt wie aus Kannen.“
„Das wäre sehr schön.“
„Ich komme in einer halben Stunde vorbei.“
Kaum hatte Meike aufgelegt, klingelte das Telefon erneut. „Was ist noch?“
„Na, na, na, Meike, gehst du immer so mit deinen Anrufern um?“
Die Frau lachte: „Hans du bist es. Ich dachte, meine Kollegin wollte noch etwas. Sie rief mich gerade an und holt mich in einer halben Stunde zur Arbeit ab.“
„Ich habe Nachricht von drüben bekommen.“
Meike lief ein Schauer über den Rücken. „Ist was passiert? Was ist mit Uwe?“
„Beruhige dich. Ihm ist nichts passiert. Es geht um die Freizeit mit den Ostdeutschen.“
Die junge Frau atmete tief durch. Der Kontakt zwischen ihr und ihrem Freund konnte den staatlichen Stellen auf Dauer nicht verborgen bleiben. Ein wenig ruhiger fragte sie: „Konntet ihr euch auf einen Zeitraum einigen? Ich muss rechtzeitig Urlaub einreichen.“
„Dann plane die erste Woche im Juli ein.“
„Weißt du, ob Uwe kommt?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Es ist durchaus möglich, dass ihm davon abgeraten wird. Die Überwachung ist so stark, dass es sich auf das Treffen auswirken könnte, wenn Uwe daran teilnimmt. Niemand darf wissen, dass ihr in Kontakt steht.“
„Hans, ich sehne mich so nach ihm. Seit meiner Flucht haben wir uns СКАЧАТЬ