Название: Auf dem Weg in ein neues Leben
Автор: Thomas Löffler
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957444851
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Erster Teil – Auf der Suche nach sich selbst
Kapitel 1
Nebelschwaden zogen durch die Dorfstraßen. Uwe saß auf einem Fenstersims an der Bushaltestelle. Neben ihm auf dem Gehweg stand der schwere Werkzeugkoffer. Er hasste dieses graue Wetter. Überhaupt sollte man bei dieser Witterung im Bett bleiben und den Tag verschlafen. Das Geschäft lief schlecht, und so war ihm jeder noch so kleine Auftrag wichtig. Sicher, er hatte gelernt, wie man Klaviere stimmte und Reparaturen an ihnen ausführte. Wie man für sich warb und sich verkaufte, hatte ihm jedoch niemand beigebracht. Hausmusik war in dieser Gegend nicht zu Hause.
Die Haltestelle füllte sich mit Menschen. Früh am Morgen waren die Busse meist viel zu voll. Viele Fahrgäste fuhren zum Schichtbeginn in die umliegenden Betriebe. An diesem Morgen warteten sie vergebens auf ihren Bus, was bei den meist veralteten Fahrzeugen kein Wunder war. Motor-sowie Reifenschäden waren häufig der Grund für Verspätungen oder gar Ausfälle.
Uwe rutschte vom Sims, griff nach seinem Werkzeugkoffer und löste sich aus der Menschenmenge. Langsam überquerte er die Straße und blieb unschlüssig auf dem gegenüberliegenden Fußweg stehen. Er brauchte den Auftrag. Wenn ihm dieser durch die Lappen ging, verlor der frischgebackene Klavierstimmer vielleicht über Jahre einen Kunden.
In der Nähe der Bushaltestelle stand eine Telefonzelle. Ein Versuch war es wert. Uwe öffnete seinen Werkzeugkoffer und zog die Karteikarte des heutigen Kunden heraus. Auf ihr waren, neben anderen Daten, auch die Telefonnummer und die Adresse vermerkt. Bei der Zelle angekommen, musste er feststellen, dass andere auf den Bus Wartende den gleichen Gedanken gehabt hatten. Klar, für jeden Schichtleiter war es ärgerlich, wenn seine Mitarbeiter nicht rechtzeitig zur Arbeit erschienen. Ob wegen eines defekten Verkehrsmittels oder weil jemand verschlief.
Nach einer Weile war Uwe dran. Er betrat die Telefonzelle und wählte die Nummer.
Nach einigen Rufzeichen meldete sich eine schläfrige Frauenstimme. „Ja, bitte?“
„Jäger. Guten Morgen.“
„Guten Morgen“, kam es verschlafen zurück.
„Ich bin Ihr Klavierstimmer und heute um 8:30 Uhr bei Ihnen angemeldet.“
Zunächst war es still in der Leitung. Dann hörte Uwe ein Kratzen, gefolgt von Zischen und Pfeifen. Die Deutsche Post sollte dieser Dame ein neues Telefon verpassen, dachte er.
„Es tut mir leid“, kam es endlich aus dem Hörer, „ich habe Sie ganz vergessen.“
Uwe atmete auf. Wieder mal Schwein gehabt! Trotzdem, Auftrag war Auftrag. „Wir hatten ausgemacht, dass Sie mich an der Bushaltestelle abholen würden.“
Wieder war es ruhig. Langsam wurde der Klavierstimmer ungeduldig. Es war immer dasselbe mit den Kunden.
„Sicher hole ich Sie ab“, versprach die Dame, die jetzt spürbar munter wurde.
„Ich kann allerdings nicht zur vereinbarten Zeit bei Ihnen sein“, erklärte Uwe. „Der Bus ist ausgefallen. Der nächste wäre etwa ...“ Schnell wälzte er im Kopf alle Bus- und Zugverbindungen. „Gegen 9:00 Uhr kommt der nächste Bus bei Ihnen an.“
„Das ist mir sehr lieb. Ich habe unsere Verabredung ehrlich gesagt verschlafen.“
Uwe dachte sich seinen Teil. Eine Stunde auf den nächsten Bus zu warten, war auch nicht gerade prickelnd. Vielleicht hatte die Dame ja auch morgen Zeit.
Prompt fragte sie: „Passt es Ihnen auch an einem anderen Tag?“
„Bestimmt.“ Bingo! Schnell überschlug Uwe seine Termine. „Wie wäre es mit morgen? Dieselbe Zeit wie heute?“
Wieder war es still.
Das dritte Markstück wanderte in den Schlitz. Die Kosten für das Telefonat würde er der Kundin in Rechnung stellen.
„Frau ...“ Wie hieß sie noch? Hektisch las Uwe den Namen von der Karte ab. „Frau Janek, ich stehe in einer Telefonzelle. Draußen warten einige andere, die auch telefonieren müssen.“ Wie zur Bestätigung klopfte jemand an die Glastür.
„Morgen könnte es gehen“, bestätigte Frau Janek endlich. „Ich hole Sie am Bus ab.“
„Sehr schön. Wir treffen uns also morgen.“ Der Klavierstimmer hängte den Hörer in die Gabel und verließ erleichtert die Telefonzelle.
Langsam lichtete sich der Nebel und die ersten Sonnenstrahlen suchten sich ihren Weg durch die Bäume. Im Grunde war Uwe der Aufschub recht. In der Werkstatt wartete eine Mechanik auf ihre Reparatur. Diese Seite seines Handwerks fiel ihm leichter. Zu Hause angekommen legte er die Kundenkarte in den Karteikasten zurück und ging in die Werkstatt. Als Werkbank diente ihm ein alter Ladentisch aus einer Verkaufsstelle. Daneben bildeten ein alter Küchenschrank für die Lagerung von Werkzeugen und andere Schränke für Materialien verschiedener Art das Mobiliar. Die Klaviermechanik, für Laien ein Wirrwarr beweglicher Teile, thronte, von Schraubzwingen gehalten, auf der Werkbank. Es war nicht viel an ihr zu tun. Uwe würde sie bald repariert haben.
Während der Leimkocher heiß wurde, saß Uwe nachdenklich auf einem wackligen Stuhl. In dieser Umgebung, die geprägt war von dem Geruch aus Heißleim und Holz, fühlte er sich heimisch. Oft dachte er, wenn er hier seine Arbeitszeit verbrachte, an die Zeit während der Berufsausbildung zurück.
Und schon waren seine Gedanken bei Meike. Sie war seine Freundin. Seit der achten Klasse waren sie miteinander gegangen, bis Meike zum Ende der Ausbildung wegen ihrer Teilnahme an der Friedensbewegung vor der Staatssicherheit in die Bundesrepublik flüchten musste. Lächelnd erinnerte sich der jetzt Zwanzigjährige an die konspirativen Treffen und Gespräche in einem Ausstellungsraum für den Biologieunterricht, in dem sie von ausgestopften Tieren umgeben gewesen waren. Und er erinnerte sich an die Trauer, die ihn nach Meikes Flucht nicht losgelassen hatte. Auch heute noch war er allein. Meikes Versprechen, dass sie auf ihn, ihren Jugendfreund, warten würde, war für ihn Verpflichtung und nährte die ständige Hoffnung auf ein Wiedersehen. Über verschlungene Kanäle hielt der junge Mann die Verbindung zu Meike aufrecht. Sie wohnte, so hatte er vor Kurzem erfahren, in einer kleinen Wohnung in Westberlin. Lange Zeit war sie arbeitslos gewesen, bis eine Firma sie als Schreibtechnikerin einstellte. Das junge Paar sann geduldig auf eine Möglichkeit, sich wiederzusehen.
Das Geräusch des siedenden Wassers im Leimtopf holte Uwe in die Wirklichkeit zurück. Es galt, drei zerbrochene Hammerstiele durch neue zu ersetzen. Für diese Arbeit war Feingefühl oberstes Gebot. Gerade wollte er das Ende eines Holzstabes mittels eines Pinsels mit Leim bestreichen, als das Wandtelefon klingelte. Fluchend legte Uwe den Pinsel beiseite und verringerte die Wärmezufuhr des Leimtopfes.
„Jäger“, meldete er sich missgestimmt.
„Hallo Uwe. Hier ist Dieter. Störe ich gerade?“
„Ehrlich gesagt ja. Der Leimkocher ist heiß. Wenn ich nicht aufpasse, brennt mir der Leim an.“
„Es dauert nicht lange“, beschwichtigte Dieter seinen Freund.
Uwe schaltete den Kocher ab und setzte sich auf die Kante seiner Werkbank. „Na, dann schieß los.“ In seinem Inneren wusste er, dass es ein längeres Gespräch werden konnte.
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