Blind am Rande des Abgrundes. Fritz Krebs
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Blind am Rande des Abgrundes - Fritz Krebs страница 4

Название: Blind am Rande des Abgrundes

Автор: Fritz Krebs

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783957444844

isbn:

СКАЧАТЬ Museen und zahlreiche wertvolle Architekturdenkmäler, darunter viele Kirchen und mittelalterliche Türme. Die Stadt hatte unter ihren zahlreichen Schulen auch drei sogenannte höhere Schulen und mehrere Fachschulen. Das rege kulturelle Leben in dieser Stadt berührte mich zunächst noch nicht. Die Schönheit Altenburgs mit seinem auf einem Porphyr Felsen weiträumig angelegten Schloss und den winkligen mittelalterlichen Gassen sollte ich erst nach und nach kennenlernen. Wir wohnten nämlich im nördlichen Vorort Kauerndorf, der sich direkt an das Bahnhofsgelände anschloss. Er leitet in die der Stadt vorgelagerten Randbereiche der hier beginnenden Leipziger Tieflandbucht über. In unserer Straße gab es viele Kinder. So fand ich nach und nach auch genügend Spielgefährten meiner Altersgruppe. Das Milieu war hier kleinbürgerlich mit einem starken Anteil aus der Arbeiterschaft. Auch hier war das Leben der Menschen von der allgemein schwierigen Wirtschaftslage geprägt. Das konnte ich aus meiner damaligen Perspektive zwar noch nicht beurteilen, doch selbst Vorschulkinder wussten seinerzeit, dass es unter ihren Vätern solche gab, die keine Arbeit hatten. Die anderen Väter waren in einer der renommierten Nähmaschinenfabriken, der weltbekannten Spielkartenfabrik oder in einer ebenfalls nicht unbekannten Hutfabrik beschäftigt.

      Andere arbeiteten auch in den Betrieben der Braunkohlenindustrie, die sich in der Umgebung nördlich und westlich der Stadt befanden. Arbeit gab es für die damals 45 Tausend Einwohner Altenburgs auch noch bei Post und Bahn, im Druckereiwesen, in der Zigarrenfabrik oder in einer der hier ansässigen Maschinenfabriken beziehungsweise in der Brauerei. Unser Haus lag in einer Straße, die parallel zum Bahngelände lief.

      Fritz 1926

      Wir wohnten damals im obersten Stockwerk des zweigeschossigen Doppelhauses. Wenn ich aus dem Fenster schaute, konnte ich die Fernzüge vorbeifahren sehen, die auf der Strecke Leipzig Zwickau verkehrten. Diese Strecke war noch nicht elektrifiziert und so lernte ich nach und nach die verschiedensten Arten von Dampflokomotiven kennen. Es stampften schwere Güterzüge vorüber, deren Lokomotiven wegen der Ausstattung mit drei Zylindern schon von der Ferne an ihrem besonderen Rhythmus zu erkennen waren. Ich konnte lange im Fensterbrett lehnend zuschauen, wie die verschiedenartigen Waggons vorüberzogen und dabei mit markantem Schlagen ihrer Räder über die Schienenstöße hopsten. Das Geschehen auf dem Bahnkörper war uns so nahe, dass beim Vorüberdonnern von Schnellzügen jedes Mal ein leichtes Klirren des Geschirrs in unseren Schränken zu hören war. Daran gewöhnten wir uns allmählich so, das es nur noch auffiel wenn Gäste darauf aufmerksam machten. Alles in allem wurde die neue Wohnung in Bezug auf ihre Nähe zur Bahn für mich ein sehr anregendes Zuhause. Verglichen mit den Straßen heutiger Wohngebiete war die, in der ich nun aufwuchs, für Kinder fast schon ein Spielplatz. Sie hatte einen Belag aus Kopfsteinen. Darüber rumpelten die Pferdewagen der Bauern aus dem benachbarten Dorf und auch die Gespanne einiger Fuhrunternehmer. Es gab nur wenige Autos in diesem Stadtrandviertel. Manchmal kam der Arzt vom unteren Ende der Straße mit seinem Hanomag vorbei oder das sogenannte „Konsumauto“, das die Konsumgeschäfte der Stadt belieferte. Es gab auch ein Postauto und in größeren Zeitabständen erschien ein Fahrzeug der Stadtreinigung. Letzteres wurde von allen Leuten kurz als „Kehrmaschine“ bezeichnet. Es bereitete uns Kindern im Sommer viel Vergnügen wegen seiner Spritzdüsen, aus denen das Wasser bis über die Bordsteine spritzte. Wir nutzten solche Gelegenheiten, um die nackten Füße darunter zuhalten. Ich erinnere mich noch recht gut an die bunten Regenbogenfarben, die dabei von der Sonne in den Wassernebel hineingezaubert wurden. Das Konsumauto umlagerten wir häufig dann, wenn es frische Brote im Konsumladen ablieferte. Der Duft nach frischgebackenem Brot konnte unseren Appetit mächtig entfachen und mancher lief dann schnell, um sich bei seiner Mutter eine „Bemme“ in die Faust stecken zu lassen. Häuser gab es in dieser Straße nur auf einer Seite. An der anderen Seite führte ein Zaun entlang dem Bürgersteig und grenzte den Fuß des hochgelegenen Bahngeländes vom Geschehen auf der Straße ab, soweit das eben möglich war. Wir hatten jedenfalls bald genügend lose Latten entdeckt, um jederzeit den mit dichtem Buschwerk bewachsenen, uns streng verbotenen Bahndamm mit in unser Spiel einbeziehen zu können. Besonders an Sommernachmittagen war unsere Straße von vielen Kindern bevölkert.

      Das Mietshaus, in dem ich aufwuchs; Rasephaser Straße 11 in Altenburg/Thür.

      Es wurde dann mitten auf der Fahrbahn Völkerball, Fußball, Fangspiele aller Art oder „Räuber und Gendarm“ gespielt. Bei letzterem oder beim Versteckspiel wurden auch noch alle Anliegergrundstücke mit in das Geschehen einbezogen, denn zu jedem der Häuser gehörten noch Hof und Gartengrundstücke. Das ging zwar nicht ab ohne gelegentliche Kollisionen mit den Hausbesitzern aber es gab keinen Erwachsenen, der das wirklich unterbinden konnte. Auf dem Bürgersteig schoben die kleineren Mädchen ihre Puppenwagen, die Jungs fuhren Trittroller oder mit dem Selbstfahrer, einem nur wenigen Kindern verfügbaren Holzfahrzeug, das mit einem Hebelmechanismus per Hand fortbewegt wurde. Zunächst war ich unter den Kindern, die den Bürgersteig und die nächstgelegenen Nachbargrundstücke bevölkerten. Wie schnell aber vergeht die Zeit, wenn man täglich so viel erleben kann wie es für uns Kinder in der kleinen Welt einer solchen Vorstadtstraße der Fall war. Die Grenzen, an die man da stößt, lassen sich ja auch immer weiter nach außen verschieben. Unsere Straße war dafür so recht geeignet, weil sie ebenso wie die daneben liegende Bahnstrecke in eine uns unbekannte Ferne zu führen schien. Sie kam zu uns in einer rechtwinklig verlaufenden Kurve aus einer Bahnunterführung heraus, bevor sie das erste der nebeneinander aufgefädelten Häuser erreichte. Nach dem zwölften der zwei- und dreistöckigen Häuser verließ sie wieder den Parallellauf zum Bahngelände, um einige hundert Meter davon entfernt in das nahegelegene Dorf Rasephas hineinzuführen. Kurz davor musste sie noch eine kleine Brücke überqueren, unter der ein schmutziger Bach mit dem bemerkenswerten Namen „Blaue Flut“ hindurchfloss. Derselbe schlängelte sich durch Gärten und Wiesen hindurch, plätscherte weiter mit den Abwässern unserer Stadt durch freies Land nach Norden, bis er sie an seine größere Schwester mit dem schon bekannteren Namen „Pleiße“ weitergeben konnte. Wer in dieser Straße aufwuchs musste eines Tages zwangsläufig entlang dieses Wasserlaufes den Weg in ein grünes Paradies finden, das ideale Möglichkeiten für alle Arten von Kinderspielen bot. Wiesen, der gewundene Lauf des Baches, eine Sandgrube, zwei Gehölze und ein alter verlassener Bahndamm konnten uns manchmal jedes Zeitgefühl verlieren lassen. Es kam vor, dass wir dort die rechtzeitige Rückkehr zum Abendessen verpassten, was natürlich seine Konsequenzen nach sich zog. Wer jemals einen Nachmittag lang als Winnetou, Old Shatterhand oder Nibelungenheld durch den Busch gesprungen ist, der weiß nur zu gut, wie schwer man sich dabei nach einem Terminplan von Erwachsenen in das pünktlich zuhause erwartete Kind zurückverwandeln kann. Heute scheint es mir, als hätte ich seitdem nie wieder Wiesen mit so hohem Gras und so vielerlei Arten von Pflanzen gesehen wie gerade hier. Als ich älter wurde, begann ich mich für Botanik zu interessieren. So weiß ich, dass die nun selten gewordene Pechnelke, die Kuckuksnelke und viele Arten von Glockenblumen hier blühten. Im Frühling suchten wir an den Rändern der Gehölze Buschwindröschen, Veilchen und Primeln. Selbstverständlich wurden die Blumensträuße zum Muttertag von den Kindern damals in freier Natur selbst gepflückt.

       2. Gewalt

      Unserem Wohngebiet war im Osten eine Anhöhe vorgelagert, über die eine Fernverkehrsstraße von Leipzig her auf die Stadt zuführt. Sie ging an den früheren Kasernen vorbei, in deren gelben Backsteingebäuden man nach dem Ersten Weltkrieg Notwohnungen für die Ärmsten der Stadt eingerichtet hatte. Der Bedarf war so groß, dass man zusätzlich dazu noch Baracken aufstellen musste. Die Kinder der dort zusammengepferchten Menschen wurden von denen anderer Wohngebiete gemieden. Auch die Erwachsenen grenzten sich ab. Es waren damals wie heute dieselben Gründe, die dazu führten: Die Armut der einen und die Verständnislosigkeit der anderen. Zwischen den Halbwüchsigen beider Lager entstanden daraus Feindschaften, die sich zu regelrechten „Kriegszuständen“ entwickeln konnten. Sie wurden ziemlich oft brutal gegeneinander ausgetragen.

      Es СКАЧАТЬ