Название: Von Blüten und Blättern
Автор: Elisabeth Göbel
Издательство: Автор
Жанр: Сад и Огород
isbn: 9783937881645
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Und der Bambus steht wie eine Eins. Im Mai werden viel zu viele Triebe aus dem Boden kommen, sie schießen geradezu hervor, wachsen schnell wie der Spargel und sind nicht unbedingt der Nachbarpflanzen und des Nachbarn Freude. Man schätzt die Vitalität und holt doch den Spaten, um den Wildwuchs einzudämmen.
8. Januar, Samstag
Von der Weihnachtsgans hatte ich am Bauch die Fettlappen abgezogen, kleingeschnippelt und erhitzt und dann mit dem geschmolzenen Fett eine ordentliche Portion Haferflocken getränkt. Die Vögel lieben es. Dazu Sonnenblumenkerne und halbierte angefaulte Äpfel. Im Vogelhaus und auf der Terrasse läuft unser Frühstücksprogramm.
Amsel, Buchfink, Blaumeise, Kohlmeise, Schwanzmeisenschar, Haubenmeise, Tannenmeise, der braunbrüstige Bergfink in großer Zahl, ebenso Scharen vom Dompfaff. Schön sind sie, die Dompfaffen, besonders die Männchen, mit ihrer Rosenbrust. Ich freue mich, freu mich wie ein Schneekönig. Auch über die Kirschkernbeißer mit dem kräftigen Kegelschnabel. Das Rotkehlchen ist Einzelgänger, ab und zu erscheint ein Kleiber, wenig Spatzen. Stieglitz, Erlenzeisig, Grünling. Der Zaunkönig war nur einmal am Futterplatz, bevor die große Kälte begann, doch er wird zu den ersten gehören, die zurückkommen, Schneekönig heißt er, das ist sein alter Name. Türkentaube, Elster, Eichelhäher. Einmal ein Specht.
Ein Dompfaffweibchen ist heute gegen das Fenster geflogen und hat es nicht überlebt. Ich nehme den toten, noch warmen Körper in die Hand. Eine Handvoll Leben, eine Handvoll Tod. Das feine weiche Gefieder. Die silberne Kehle und die Brust mit einer Ahnung von Rosenschein, die grauen Deckfederchen der Flügel, das weiße Federhemd darunter, die eingekrümmten Krallen, der kräftige Schnabel, die kleine schwarze Kappe – Dompfaff. Life stands still here. Ich streichle mit den Fingerspitzen. Ich halte den Vogel und nichts pocht in meiner Hand, nichts zappelt, will weg. Ich mag ihn nicht hergeben. Schließlich lege ich den kleinen Körper unter der Fichte, wo der Boden schon weich ist, auf einen Stein neben das Vogelgrab für den Star vom letzten Sommer. Den Tag über liegt er da, neben sich ein Kreuzlein aus Holz, das ein Eichhörnchengrab markiert, schon am Abend ist er verschwunden, eingegangen in den Kreislauf der Natur.
9. Januar, Sonntag
Die Sonne scheint, der Schnee geht weg. Die Menschen wenden ihr Gesicht zum Licht und machen die Augen zu. Ich erzähle jetzt eine Geschichte von meinem Enkel.
Die Sonne scheint, nein, in meiner Geschichte regnet es, richtig garstiges Wetter, obwohl es Frühling ist. Im alten Apfelbaum hat in einem Loch, das der Specht schlug und der Kleiber bewohnte, schließlich ein Starenpaar genistet. Wir haben uns am Metallglanz ihres schwarzen Kleides erfreut, haben zugesehen, wie sie Nistmaterial anschleppten, wie einer der beiden im Loch verschwand um zu brüten, wie sie schließlich unermüdlich Futter brachten. Wir haben um den Baumstamm einen Kranz aus Dornenzweigen gewunden, um die Nachbarskatze vom Kinderraub abzuhalten. Wir lauschten dem Starenlied, dem Schwätzen, Pfeifen, Schnalzen, Zischen im blühenden Apfelbaum und – hör’ mal ganz gut hin, sage ich zum Enkel – das Piepsen und Zitschern der hungrigen Brut. Der Enkel, der noch nicht lange zur Schule geht, liebt Fußball mehr als alles andere, achtet aber darauf, dass der Brutbaum immer verschont bleibt, und er liebt es, uns mit neuen Wörtern und besonderen Sätzen zu erschrecken oder zu irritieren; Gott gibt es nicht, zum Beispiel, das gehört zu den harmloseren.
An diesem grauenvollen Regentag, an dem es nicht nur Nässe, sondern auch immer wieder beigemischtes Schneegriesel und einen eisigen Wind gibt, ausgerechnet an diesem Tag sind die jungen Stare soweit, dass sie das Nest verlassen. Einer nach dem anderen erscheint am Loch, sieht sich um nach rechts und nach links, hopst eine Etage höher, probiert das Fliegen, das Landen und Töne, die Gesang werden wollen. Auch der Kleinste traut sich heraus, der kommt zuletzt. Sein graubraunes Federkleid ist noch nicht glatt, sein Schnabel noch ein Babyschnabel. Er schafft den Absprung, landet auf dem Boden. Hockt mal hier, mal da, hält den Kopf schief und blinzelt. Schließlich flüchtet er sich in eine Ecke unterm Vordach der Haustür, sitzt da und sieht alles andere als happy aus. Behutsam legt der Enkel einen aufgespannten Regenschirm auf die Treppenstufe, damit der Wind dem Tier nicht so kalt in sein Federhemd bläst. Es hilft nicht.
Gegen Mittag ist der Vogel tot und seine Beerdigung wird vorbereitet; ein Pappkarton bekommt ein Innenpolster, eine Papierserviette dient als Leichenhemd, der Deckel kommt drauf. Zwischen den Wurzeln der serbischen Fichte, neben dem Eichhörnchengrab, schaufeln wir eine Grube. Die Beerdigungszeremonie ist einfach, auf das Wesentliche – was ist das eigentlich – reduziert. Unser Singen klappt nicht so recht. Ich schau nach oben in die Fichte und sage: Horch mal, die anderen Vögel singen ihm ein Tschüss, zwitschern ihr Lied für den kleinen Star. Das Kind klopft einen schuhkartongroßen Hügel. Kreuz oder Grabstein?, frage ich, denn es soll ja doch ein bisschen so sein wie im echten, im Menschenleben. Wir finden einen flachen hellen Stein, ich bringe einen Filzstift. Soll ich etwas schreiben?, frage ich. Nein, sagt das Kind und malt auf den Stein mit sauberen Buchstaben: »Grüß Gott«.
Leider hat der nächste Regenguss den frommen Wunsch zu schnell wieder weggewaschen.
10. Januar, Montag
Eva Strittmatter, Zwiegespräch, 1980.
Die Kleine-Leute-Mentalität
Der häusererhaltenden Ordnungsliebe
Hat mich beherrscht. Jetzt ist es zu spät,
Dass ich noch Schneisen ins Weglose triebe.
Eva Strittmatter ist achtzigjährig gestorben. Eine Dichterin der kleinen Wunder und der kleinen Freuden, die sich schwer tat mit dem Mann, dem abgelegenen Schulzenhof, dem Dasein in der DDR, der Liebe; das Leben eine Kraftprobe. Die dennoch glücklich war. Die die Wörter wörtlich nahm. Grüß Gott.
»Seinen Glanz verliert das Glück,/Hat man es in einem Stück.«
17. Januar, Montag
Wie schön. Der Schnee ist weg, die Erde duftet, und ich habe Ordnung gemacht. Von meinem Schreibplatz aus sehe ich das muntere Geringel der Korkenzieherweide. Wir haben sie im letzten Jahr um ein paar Meter versetzt, von der zweiten Serbischen Fichte und dem kleinen Kirschbaum weg. So kann sie sich zeigen in ihrem Wechsel vom Frühlingsgelb zum Sommergrün und später im Jahr dann wieder zum Gelb vor dem dunklen Hintergrund der riesigen Fichte, und auch der Sauerkirschbaum hat nun mehr Platz, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Ein Strahl der noch tief stehenden Sonne beleuchtet jetzt das Staudenbeet, wo die spitzige Yucca den Frost gut überstanden hat, auch der violette Grünkohl sieht doch recht manierlich aus. Rot leuchtet der Sibirische Hartriegel am Zaun, hell schimmern die Federpuschel vom Chinaschilf. Wenn nicht alles, was verblüht war, abgeschnitten ist, kommt die Struktur zum Vorschein, die der Pflanzen und die des Gartens in seiner Gesamtheit. Auch das Silberweiß der Lunaria unterm Klarapfelbaum erfreut meinen Blick, denn der Sonnenstrahl bringt die pergamentenen Blättchen der Samenschoten zum Leuchten, die ich im Herbst mit vorsichtigen Fingern freigelegt habe. Jeden Herbst nehme ich mir einen Hocker, breite ein Tuch unter die Pflanzen und streife die braunen Deckblätter ab, so dass ich die flachen schwarzen Samen sammeln und in die Mülltonne werfen kann. Ließe ich sie auf den Boden fallen, gäbe es zu viel Nachwuchs, zu große Konkurrenz für alles, was im Sommer sonst noch auf Baumscheiben und Nebenbeeten wachsen will. Silberblatt, auch Silbertaler, Silberling, Judaspfennig oder Mondviole genannt – so viele Bezeichnungen für die violett blühende, anspruchslose Lunaria.
Als wollten sie sich räkeln, strecken vier Apfelbäume ihre kräftigen Arme aus, ohne einander СКАЧАТЬ