In der Vertikale. Engelbert Guggenberger
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Название: In der Vertikale

Автор: Engelbert Guggenberger

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783990404522

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СКАЧАТЬ Klettern blicke, so fällt mir auf, dass darin das Prinzip HEROS mit seiner vorwärts drängenden Energie, die uns Mut schenkt, Angst überwinden hilft und Grenzen überschreiten lässt, eine erstrangige Rolle spielt. Aber bei näherem Zusehen entdecke ich, dass auch die anderen Prinzipien aktiviert werden. Aufgrund des starken körperlichen Schwerpunktes im Klettern ist die gesamte Dimension des Sinnlichen und Vitalen (BIOS) sehr präsent, aber auch die Bereiche Beziehung, Einfühlung, Schönheit und Harmonie (EROS) spielen beim Klettern angesichts von Kletterpartnerschaft und Naturbegegnung eine große Rolle. Routenfindung und alpine Logistik fordern den Geist und stellen ihm vielfältige und umfassende Aufgaben, weshalb auch das Prinzip LOGOS sehr oft zum Zug kommt. Und schließlich stellt die Erfahrung des Kletterns im Gegenüber zur Mächtigkeit der Berge eine ständige Einladung dar, sich dem schöpferischen Geheimnis (MYSTOS) zu öffnen.

      Werden wir gefragt, wozu das Klettern gut ist, müssen wir eingestehen, dass es eigentlich zu nichts dient. Es bringt keinen Nutzen. Wir betreiben es aus reiner Lust an der Sache. Und dennoch habe ich den Eindruck, dass mir das alpine Klettern auf dem Weg der Selbstverwirklichung irgendwie behilflich war. Vielleicht in der Weise, dass es mir – einem Exerzierfeld gleich – die Möglichkeit bot, mich in die oben genannten Prinzipien, welche für die Lebenskunst so entscheidend sind, einzuüben. Auf diese Weise ist es mir vielleicht auch gelungen, sie im beruflichen und zwischenmenschlichen Alltag besser und ausgeglichener zur Geltung zu bringen. Mag sein, dass dadurch mein eigener Turm, den durch mein Leben zu bauen ich vom Schöpfer berufen bin, die gegenwärtige Gestalt gewonnen hat. Jedenfalls blicke ich dankbar auf meine fünfzigjährige Kletterkarriere zurück, der ich nicht nur unvergessliche Erlebnisse, sondern zweifellos auch eine entscheidende Charakterformung verdanke. Und sehe ich irgendwo einmal einen schönen Felsturm, so muss ich an all das denken.

      Beim Klettern gilt es wie im Leben so manchen Rucksack zu schultern.

      In der Civetta steht eine solch faszinierende Felsgestalt, ein Turm von schwindelerregender Steilheit, der Torre di Valgrande. Niemand käme auf die Idee, in seine Südwestwand einzusteigen, gäbe es da nicht den Hoffnungsschimmer in Form eines feinen Risses, der das gewaltige Plattengefüge von unten bis oben durchzieht. Wenn eine Überwindung dieser gelben Wand möglich ist, dann nur entlang dieser Spur. In den Riss kann man seine Hände verkrallen, die Füße dagegenstemmen und so versuchen, sich in Gegendrucktechnik nach oben zu arbeiten. Ob wir uns dieser Herausforderung stellen sollen? Zum zweiten Mal bin ich mit Roland Pranter, meinem starken und talentierten Kletterfreund aus Kötschach-Mauthen, in der Civetta. Große Unternehmen wie die Via Cassin am Torre Trieste sind uns das letzte Mal geglückt. Erfolg bestärkt und beflügelt. Also wollen wir es wagen. Nachdem wir uns mit der Via Aste im Hinblick auf die Punta Civetta akklimatisiert haben, fühlen wir uns für die schwierige Tour bereit. Dem geübten Auge sticht die berühmte Tour aufgrund ihrer spektakulären Linienführung sofort ins Auge. Aber es bedurfte eines kühnen Felsakrobaten wie Raffaele Carlesso, damit sich erst einmal jemand in diese Steilheit wagte. Die erforderliche Kühnheit, um jener mächtigen gelben Wand entgegenzutreten, fand Ausdruck in der unglaublichen Leistung Raffaele Carlessos. Der aus Pordenone stammende Alpinist galt in den Dreißigerjahren als einer der verwegensten Dolomitenkletterer. Wie er selbst bekennt, zog er aus seiner Begegnung mit den Bergen auch reiche Lehren fürs Leben: Ich ging nicht nur wegen meinen Ambitionen in die Berge. Ich war ganz einfach von ihnen angezogen und wurde von ihnen erzogen: eine gute Schule fürs Leben. Er hatte die Route 1936 gemeinsam mit Mario Menti eröffnet, die erste Wiederholung ließ dann ganze dreizehn Jahre auf sich warten. Im Jahre 1949 erschienen die berühmten Scoiattoli aus Cortina, Luigi Ghedina und Lino Lacedelli. Letzterem sollte einige Jahre später mit dem Gipfelsieg am K2 ein Welterfolg beschieden sein. Doch in der Carlesso-Menti flog Lacedelli zuerst einmal in der berühmten Schlüsselstelle mit einem spektakulären Sturz aus der Wand, verletzte sich und musste den Versuch abbrechen, erst beim zweiten Versuch glückte ihm der Durchstieg. Unter den weiteren Kandidaten, die diese erlesene Tour ins Auge fassten, finden wir lauter berühmte Namen: Jean Couzy, Erich Abram, Toni Hiebeler, Cesare Maestri, Mario Stenico, Andrea Oggioni, Toni Egger, Claude Barbier.

      Noch etwas schlaftrunken queren wir im Morgengrauen die Schotterhalden am Wandfuß des Torre d’Alleghe auf der Suche nach dem Einstieg in unsere Tour. Zustieg und Einstieg sind in einer alpinen Route nicht bezeichnet, man muss sie selbst finden. Eine kleine Unachtsamkeit kann zeitraubende Folgen haben. Und die passiert uns heute. Wir geraten am Fuß unseres Turms in den falschen Kamin und müssen, als wir den ärgerlichen Irrtum bemerken, alles wieder abklettern. Jetzt passen wir aber auf. Wir finden den richtigen Kamin, queren an seinem Ende über ein Felsband nach rechts hinaus und stehen bald am Einstieg. Beim ersten Blick nach oben bleiben wir beide wie angewurzelt stehen. Ein Bilderbuchriss spaltet den Berg und zieht wie eine Rakete gegen den Himmel. Doch jählings wird der nach oben schweifende Blick durch ein Hindernis gestoppt. In etwa hundert Meter Höhe klafft ein schwarzes Loch und lässt ein gewaltiges Dach sichtbar werden. Das muss wohl die Schlüsselstelle sein, in der sich Raffaele Carlesso seinerzeit in gewagter Kletterei einen Durchstieg erkämpft hat und Lino Lacedelli geflogen ist. Ich bin schon gespannt, wie es uns dabei ergehen wird.

      Die ersten beiden Seillängen im oberen fünften Grad kommen uns da gerade recht, um unseren Körper auf die nötige Betriebstemperatur zu bringen. Dann stehen wir am ruhmvollen Schauplatz und mustern die uns verbleibenden Möglichkeiten. Roland fällt die nächste Seillänge zu. Ich lehne meinen Rucksack vorerst einmal an die Höhlenwand und mache mich bereit Roland zu sichern. Er klettert im hinteren Grund der Grotte nach oben, bis er an der Decke ansteht. Von dort muss er über das Dach hinaus an die Kante gelangen. Zentimeter für Zentimeter gebe ich ihm das nötige Seil heraus, während er weit ausspreizend versucht weiterzukommen. Geschickt nützt er alle Raffinessen der Doppelseiltechnik, hängt da und dort ein und achtet darauf, dass sich die Seilreibung in Grenzen hält. Roland ist ein starker Partner, trotzdem treibt es ihm den Schweiß aus den Poren. Das Dach entlässt ihn nicht so schnell aus seinem Würgegriff. Ich höre seinen schnellen Atem, spüre die Spannung, unter der er steht, und versuche ihn möglichst gut zu sichern. Jetzt hat er den Rand des Daches erreicht, hängt dort noch einmal das Seil in einen Haken, zieht sich hinauf und entschwindet meinen Blicken. Dann stockt der Seilfluss, offensichtlich gönnt sich Roland eine Verschnaufpause. Die hat er jetzt, da das Ärgste vorbei ist, redlich verdient. Aber nicht lange rastet er, dann beginnt das Seil wieder regelmäßig aus meinen Händen zu gleiten und ich weiß, der Kamerad ist gut unterwegs.

      Mit Roland stelle ich mich am Torre di Valgrande einer großen Herausforderung.

      Als ich von ihm das Signalwort Stand! höre, sind meine Gedanken nur mehr auf das Dach fokussiert. Ich hatte ja alle Zeit der Welt, mir zu überlegen wie ich es angehen sollte, und bin jetzt gespannt, ob meine Strategie auch aufgeht. So sehr bin ich von meinem Vorhaben gefesselt, dass ich ganz auf meinen Rucksack vergesse, der verlassen an der Rückwand der Höhle lagert. Ich sehe nur noch das Dach und sage mir: Eine schwierige Situation bewältigt man am besten, wenn man sie entschieden anpackt. So werfe ich mich in die Schlacht und arbeite mich durch die Schwierigkeiten. Bei Roland angekommen, übernehme ich die Führung der nächsten Seillänge. Der Riss zieht nun wieder kerzengerade nach oben. In Piaz-Technik arbeite ich mich höher, genieße die irre Position inmitten der senkrechten Platten und erreiche den nächsten Stand. Unbändiger Durst überfällt mich. Ich will nach meiner Wasserflasche greifen und stelle mit Schrecken fest, dass mein Rucksack fehlt. Wo ist er denn geblieben? Nervös recherchiere ich in meiner Erinnerung und komme zum Ergebnis, dass ich ihn unten in der Höhle zurückgelassen habe. O Schreck, o Graus, was mach ich denn jetzt?, schießt es mir durch den Kopf. Ohne Rucksack können wir die Tour vergessen. Zu viele notwendige Utensilien enthält er. Auf Jause und Getränke könnte ich ja notfalls noch verzichten, nicht aber auf meine Schuhe. Mit den engen Kletterpatschen schaffe ich den Abstieg bis zur Coldai-Hütte nie. Da kann ich gleich barfuß gehen. Ich wage gar nicht Roland mein Missgeschick zu gestehen. Vor allem auch deshalb СКАЧАТЬ