Название: Der junge Häuptling
Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Жанр: Исторические приключения
isbn: 9783957840080
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Aber der Dakota hielt mit seinem Blick den fuchsgesichtigen Mann fest. Die Mienen des Verkäufers wurden schlapp und betrübt. Er fuhr mit der Zungenspitze über die Lippen, als ob er sie anfeuchten müsse. »Wenn es also sein muss! Aber mein Schaden ist zu groß, viel zu groß! Wie soll ich das wieder hereinbringen! Ein Geschenk ist es, ein Geschenk für einen großen Häuptling!« Er ging in einen Nebenraum und kam mit der gewünschten Waffe sowie mit der Munition zurück. Es war ein gutes Gewehr, und zum ersten Mal wurde der junge Dakota unruhig, weil er mit ansehen musste, wie der Händler diese Waffe handhabte. Er nahm sie ihm aus der Hand und spielte damit, so wie ein Zimmermann mit der Axt oder ein Maurer mit dem Hammer spielt. Eine Waffe war für einen Häuptling in einem Volk von Jägern ein gewohntes und vertrautes Arbeitsinstrument.
Er lud, entlud, lud und sagte dabei: »Du schenkst mir die Waffe und die Munition. Ich schenke dir die Dollars. Hau. Sechs Patronen habe ich frei für sechs Probeschüsse!«
Ohne das Einverständnis des Händlers abzuwarten, ging der Dakota mit dem geladenen Repetiergewehr aus dem Verkaufsraum hinaus. Tashunka-witko und seine Begleiter schlossen sich ihm an. Die Indianer liefen durch den Hof und durch das offene Tor ins Freie hinaus.
Der junge Häuptling blieb auf der Wiese stehen. »Was soll ich treffen?«
»Den Birkenstamm«, schlug Tashunka-witko vor. Das Bäumchen war fünfhundert Meter entfernt.
»Das oberste Astloch und die schwarze Stelle darunter«, entschied der junge Kriegshäuptling für sich selbst.
Die Probeschüsse krachten. Einer der Krieger lief zu dem Bäumchen. Die Meisterleistung des Schützen mit der noch ungewohnten Waffe überraschte selbst Tashunka-witko, der den jungen Kriegshäuptling einige Jahre zuvor den sonst nur in Legenden genannten Schuss mit Pfeil und Bogen über dreihundert Meter ins Ziel hatte abgeben sehen.
Aus der Handelsstation kam der Händler. Schreiend und gestikulierend rannte er herbei. »Mein Geld!«
»Ja, dein Geld.« Der Dakota händigte ihm die ausgemachte Summe aus.
»Großer Häuptling!«, rief der kleine Mann. »Die Summe stimmt. Aber du hast mir das ganze Geschäft verdorben! Alle in meinem Laden drin wollen jetzt ihre Felle teurer verkaufen und machen die Ware, die ich ihnen anbiete, schlecht. Wenn du so mit mir handeln willst, wie du das gemacht hast, so darfst du das nie vor anderen Leuten tun. Nein, das hättest du mir nicht antun dürfen! Nur weil du vor zwei Jahren schon einmal hier warst, mit zwei deiner Männer, habe ich dich jetzt so gut bedient! Es macht auch der Abschiedsschmerz! Wie soll das nur alles noch werden?«
»Was soll werden?«, fragte der Dakota, während er noch mit seinem neuen Repetiergewehr beschäftigt war.
»Mein Laden wird ruiniert sein! Ich habe immer viele Indianer als Kunden gehabt. Saint Pierre ist seit Jahrzehnten bei den Indianern östlich und westlich des Mississippi berühmt. Wie viele rote Freunde hatte der alte Leiter unserer Station! Nun soll das alles mit einem Schlag aus sein.«
»Warum?«
»Weil ihr auf die Reservation gehen müsst! Dort seid ihr unmündig; wie Idioten werdet ihr gehalten! Ihr werdet keine Möglichkeit haben, aus- und einzugehen. Keine Möglichkeit werdet ihr mehr haben, als Jäger zu leben und Felle zu verkaufen! Es wird euch überhaupt nicht mehr gestattet sein, eine Handelsstation zu besuchen! Wenn sie euch erst in der Reservation eingesperrt haben, seid ihr nichts mehr als eine hungrige Herde, und ich bin pleite!«
»Hungrig?«, fragte der Dakota ruhig, wie unbeteiligt.
»Ja! Kennst du die Verhältnisse auf den anderen Reservationen nicht? Zur eigenen Wirtschaft reicht der Boden nicht hin und nicht her. Ihr müsst von Almosen leben, von Viehlieferungen, von Konserven … und was dann wirklich bis zu euch kommt – bei der Korruption, die wir jetzt allerorts haben –, ich danke!«
»Warum sagst du das nicht eurem Großen Vater in Washington?«
»Der Vater ist wirklich groß, und Washington ist weit; ich aber bin ein ganz kleiner Mann.«
»Du musst es wissen.«
Der Händler lief zu seinem Laden zurück, um nicht etwa ein Geschäft zu versäumen.
Die fünf Indianer standen beieinander. Stumm dachten sie noch über das nach, was sie soeben wieder vernommen hatten. Wortlos gingen sie zusammen zurück zu ihren Pferden. Tashunka-witko schwang sich als erster auf den Mustang. Der junge Kriegshäuptling nahm das Bild und den Blick dieses Mannes noch einmal ganz in sich auf. Als Harry Tokei-ihto ein zwölfjähriger Knabe mit Namen Harka gewesen war, hatte er Tashunka-witko zum ersten Mal gesehen, und es war dieser Eindruck gewesen, der ihn nicht mehr losgelassen, ihm mitten in seinem Verbanntenleben Stolz auf den eigenen Stamm eingeflößt hatte. Es begann jetzt ein großer Kampf, der größte, den die Dakota je zu bestehen hatten. Die beiden Häuptlinge waren bereit, ihre Freiheit auch unter den schwersten Bedingungen zu verteidigen. Alle weiteren Worte darüber waren unnütz.
Die Männer verabschiedeten sich. Während Tashunka-witko mit seinen Begleitern nordwestwärts ritt, begann der junge Kriegshäuptling den Ritt südwestwärts zu den Seinen. Fast ohne Rast, fast ohne Schlaf, fast ohne Nahrung zu sich zu nehmen, legten Tokei-ihto und sein Falbe den weiten Weg zurück.
Die Sichel des abnehmenden Mondes war dünn und scharf, die Nacht dunkel, als der Reiter bei der Kriegerschar eintraf, die ihn in den Prärien westwärts des kleinen, von Smith befehligten Forts erwartete. Selbst Tschetansapa, der Anführer der Männer vom Bunde der Roten Hirsche, hatte nicht geglaubt, dass sein Häuptling in so kurzer Frist zurück sein könnte. Tokei-ihto ließ seinen Falben ruhen und weiden und setzte sich selbst zu den Kriegern, die im Dunkeln in dem Grassteppental lagerten. Auf den Anhöhen wachten die Posten.
Unbemerkt ließ der junge Häuptling den Blick von Mann zu Mann wandern. Jeden kannte er von Kind an: Tschetansapa, den um fünf Jahre älteren Freund, Speerspitze, den Sohn Tschotankas, Antilopensohn, Ihasapa sowie alle anderen. Seit Harry Tokei-ihto vor zwei Jahren zu seinem Stamm zurückgekehrt war, waren ihm diese Männer in den Kampf gefolgt. Er hatte sie einzeln, in Gruppen oder alle zusammen bei vielen kühnen Handstreichen geführt, zuletzt bei dem Angriff, dessen Opfer Leutnant Warner geworden war. In den vergangenen beiden Jahren, in denen er die Verantwortung trug, war nicht ein einziger Krieger der Bärenbande gefallen. Die Hauptlast des Kampfes hatte der Häuptling selbst getragen. Smith und seine Leute aber lebten wie Gefangene hinter den Palisaden. Das Vorhaben, das der junge Häuptling jetzt plante, war jedoch größer und schwieriger als alle vorangegangenen.
Tschetansapa, ein hagerer langer Mensch, hatte sich bei seinem Häuptling eingefunden, und diese beiden Anführer sprachen in der angehenden Nacht noch leise miteinander. Die Kundschaftermeldungen besagten, dass die Munitionskolonne und ihre Begleitmannschaften bereits aufgebrochen waren und sich auf dem Weg zu dem Fort am Niobrara befanden. Die Männer der Bärenbande planten, die Kolonne abzufangen, ehe sie das Fort erreichte. Sie wollten dann mit der Munition, die sie dringend brauchten, an dem Fort vorbei in ihre Jagdgründe durchbrechen. Die zweite Aufgabe war nicht leichter als die erste.
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