Название: 100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2
Автор: Erhard Heckmann
Издательство: Автор
Жанр: Книги о Путешествиях
isbn: 9783957444042
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Als ich damals diese Zeilen gelesen und notiert hatte, schwang schon ein wenig Schwermut mit, denn es hieß Abschied nehmen von einer wunderschönen Woche. Dass wir jemals nach hier zurückkommen würden, war so gut wie ausgeschlossen, und eine Frage danach hätte ich vor neun Jahren auch klar verneint. Weil die Welt so groß ist, so viel Schönes zu bieten hat, und weil wir nach dieser zweiten großen Kanadareise schon weit mehr als die touristischen Ziele erlebt hatten. Dass wir 2010 meinen Geburtstag mit Joyce und David bei Lady Enubi feierten, das war dem Zufall zu danken. Wir waren in Alaska und Kanada unterwegs gewesen, hatten die Fähre von Bella Coola nach Port Hardy auf Vancouver Island gebucht, und der eine Tag, der zufällig mein Geburtstag war, „war frei“. Und jener Abend sorgte dann tatsächlich dafür, dass das voreilige „wir kommen nächstes Jahr wieder“, 2011 Wirklichkeit wurde. Eigentlich hatte ich Südamerika-Pläne, aber Sabine hatte schon vorher entschieden, dass sie zu Weihnachten ihr Sparbuch plündert, um Vater und Tochter, die auch ein paar ganz junge Jahre als Amateur im Rennsattel verbracht hat, als Pferdenarren die Rainbow Mountains gemeinsam im Sattel erleben zu lassen. Aber ich bin auch Realist. Ein solcher Ritt war mir bereits vergönnt, und Dörthe, so heißt der Nachwuchs, glaubte mit viel Begeisterung, dass sie bei ihren zwei oder drei mehrtägigen Touren im Sauerland auch auf „Trailritten“ gewesen sei. Auch wenn ich diese Feststellung abwinkte wie vorher bei einem Bekannten, der zu „Kanada“ meinte, dass er das auch schon gemacht habe, um den Balaton herum! Sicherlich, beides kann auch ganz nett sein, nur mit einem Trailritt in der Wildnis hat das so wenig zu tun, wie ein Traktor mit einem Porsche, oder ein Vollblüter mit einem schweren Belgier. Wer aber dieses Land, seine Wildnis, die unendlichen Weiten und die Abgeschiedenheit nicht kennt, der kann es sich ganz einfach auch nicht vorstellen, welch schwieriges Gelände man sich mit diesen Pferden erschließen, und auch wochenlang unterwegs sein kann, ohne Wege und Pfade, und ohne einen einzigen Menschen zu treffen. Doch diese Erfahrungen hatten wir 2002 gemacht und nicht geglaubt, dass man sie noch übertreffen könnte. 2011 war das aber der Fall, doch schön der Reihe nach.
Wir sind also einmal mehr in Kanada und parken unseren „Adventurer“ direkt bei Lady Enubi am See, denn Sabine und Enkelin Annika wollen während unserer Reitwoche „Eagles Nest“ mit eigenem Programm genießen, und hier haben sie einen richtig schönen Standplatz. Das Wasserflugzeug wird sie in die „Rainbows“ und zum Tanya Lake bringen, um das Smoke House zu besuchen. Sie werden auch die Hunlen Fälle überfliegen, die 396 Meter schnurgerade in die Tiefe rauschen, und diese Wasser aus den Turner Lakes über den Hunlen Creek zum Adnarko River schicken. Und auch Petrus, Mitbesitzer jener Oase im Busch, ist mit seinem Jeep für einige Touren als Guide engagiert, denn niemand kennt sich hier mit den versteckten Schönheiten und besonderen Möglichkeiten besser aus als er. Ihn und die „Lady“, als auch die Eagles Nest-Mannschaft mit Tim, Elizabeth und Sarah hatten wir schon vorher begrüßt, während wir die fünf Damen, die ebenfalls in den Sattel steigen wollen, erst beim Abendessen kennenlernen. Alle sind aus Vancouver, im mittleren bis fortgeschrittenen Alter. Vier davon sind Mediziner wie unsere Tochter, die Fünfte arbeitet als Krankenschwester. Wirkliche Reiter waren Lis, Sarah, Georgia, Holly und My Lin nicht, aber nette und fröhliche Zeitgenossen. Was sie allerdings am nächsten Morgen zum Trailhead anschleppten, war ebenfalls lustig anzusehen: Neben sehr komfortablen Zelten und deren Ausrüstung waren das pro Person weitere 40 Kilogramm, inklusive Walking-Stöcken, Klappstühlen, Gummistiefeln, Sportschuhen und jede Menge „Klamotten“. Unsere beiden mittleren Sporttaschen hatten dagegen noch Platz, denn die meiner Tochter war ähnlich gepackt, wie meine: Dreimal Skiunterwäsche, drei wärmere Hemden und drei Paar Socken zum Wechseln; je ein dünner und dickerer Pullover, Handschuhe, Ersatz-Jeans, Schlafanzug, zwei Handtücher und ein Badetuch für die „Bach-Dusche“; Duschgel, Zahnpasta und Bürste, Nivea Creme, Pflaster, Taschenlampe, kleiner Rucksack für Fotoausrüstung. Der Rasierer blieb im Wohnmobil wie der Kamm, denn jener ist beim Trailritt überflüssig, und bei „sechs Millimeter Haarschnitt“ braucht man auch keinen Kamm. Somit blieb nur noch das „Startoutfit“: Jeans, Chaps, Reitstiefeletten, kariertes Flanellhemd, Reitweste, Anorak und Lederhut.
Am Trailhead, im Süden des Parks im verbrannten Wald – 2010 gab es hier ein schweres Feuer – helfen wir zwei der Mannschaft, bis alle Packpferde, die auf jeder Seite 40 Kilogramm tragen, startklar sind. Die Kunst, die Ladung pro Pferd mit einem einzigen langen Seil zu verschnüren, beherrschen wir natürlich nicht, und es ist auch ein äußerst harter Job. Das eine oder andere Ende dabei festhalten, nachziehen oder bei den Regenplanen mehr zuzufassen, das hilft bei diesen letzten Arbeiten aber auch. Was aber Patrick hier innerhalb von etwa zweieinhalb Stunden erledigt – er fungiert als Packer und hat selbst dreißig bis vierzig „Mountain-Horses“ im Stall – ist Schwerstarbeit. Zwischendurch verteilt Joyce die Reitpferde an die Gäste. Meine Tochter Dörthe bekommt die gehfreudige dunkelbraune Mary, die normalerweise Davids „Reservepferd“ ist, und zu meiner reinblütigen Quarterhorse-Fuchsstute Georgia meint Davids Frau: „Du bist der erste Gast, der sie reiten darf.“ Mary ist einen Tick leichter und hat viel Vorwärtsdrang, Georgia ist sehr vorsichtig, äußerst trittsicher, faul und hat es, bei aller Gutmütigkeit, auch ein wenig hinter den Ohren. So dauerte es einen ganzen Tag bis sie akzeptierte, dass sie grundsätzlich flott zu marschieren hat und Bummelei nicht geduldet wird. Das hat ihr anfangs wohl gar nicht gepasst, denn aus heiterem Himmel sprang sie urplötzlich ab wie ein Rennpferd, schlug Haken und mit der Hinterhand aus wie ein Weltmeister. Solche Faxen kann man in diesem Gelände allerdings nicht dulden, und danach wussten wir beide, was wir voneinander zu halten hatten. Von da an hätte ich kein besseres Pferd haben können, als diesen dreifach gestiefelten, sechsjährigen Fuchs mit der großen Blesse. Ein phantastisches „Mountain-Pferd“, auf das man sich voll und ganz verlassen kann. Und Mary war ebenfalls ein großartiger Partner. Wir hatten also unseren Spaß mit diesen beiden Charakteren.
Dann war es soweit, die Karawane mit 26 Pferden, 13 Reitern und den Hunden Joe, Look und Peggy, die die „Horse-Train“ vor Bären sicherten, zog los. Davids „Truck“ blieb im Wald stehen, der Pferdetransporter war bereits weg wie Petrus auch, der die fünf Damen chauffiert hatte, und Sabine und Enkelin Annika fuhren bei strahlendem Sonnenschein mit Davids Tochter Lesly zurück zum Eagles Nest. David führte die Kolonne an, und zu seiner Ausstattung zählte, wie ebenfalls bei Patrick und Paul, auch ein Gewehr für den Notfall. Dahinter, in Dreiergruppen und wie alle anderen im Gänsemarsch, gingen die 13 Packpferde an der Hand von Patrick, Paul, Maria und deren Schwester Aida. Danach kamen die Gäste, während Joyce und ihr Packpferd, das heimwärts an die Hand von Dörthe wechselte und keinen weiteren Artgenossen am Schwanz hängen hatte, das Schlusslicht bildeten. Völlig anders war auch das diesjährige Konzept, denn während wir 2002 die Tanya Lakes als Ziel hatten und täglich ein neues Lager aufschlugen, blieben wir 2011 zwei Nächte im ersten, vier im zweiten Lager und erkundeten von diesen aus auf langen Tagesritten die Umgebung.
Der Anfang der Tour bot gleich den Packpferden einige Schwierigkeiten, denn es galt, das 2010 bei einem großen Buschfeuer verwüstete Waldstück zu durchqueren, wo die meisten der verkohlten Baumstämme nicht mehr standen, sondern gemeinsam mit großen Steinen und Felsbrocken kreuz und quer und übereinander liegend den Boden bedeckten. Als nächstes zogen wir durch ein weites sumpfiges Tal, uneben, von tiefen Gräben, Bächen und kleinen Seen durchzogen, und in dem bis zu vier Meter hohe, dichte Weidenbüsche ganze Abschnitte blockierten. Die Pferde wussten aber damit umzugehen, senkten den Kopf, erkannten die Lücken im Gewirr und erzwangen mit Hals und Schulter den nötigen Durchschlupf, ohne das Tempo merklich zu reduzieren. Für den Reiter waren sie in dieser Situation aber nicht zuständig, denn, ähnlich wie im dichten Wald, wo ihm Knie oder Ellenbogen signalisieren, dass er die Situation falsch eingeschätzt hat, melden sich hier die Oberschenkel oder höher gelagerten Körperteile, dass er zurückschwingende Triebe übersehen hat. Aber Reiterblut ist keine Buttermilch, und damit geht es weiter, und am Ende des Tales mehrere Stunden im Wald bergauf bis wir subalpines Gebiet und unseren ersten Lagerplatz erreichen. Das Plateau ist leicht hügelig, und ein kräftiger, eiskalter Bach trennt unser lichtes Wäldchen von der großen Bergwiese, an deren Rand sich in etwa zwei Kilometer Entfernung krüppeliger Fichtenwald wie ein stummer Wächter aufgestellt hat. Auf der anderen Seite, und uns im Rücken, СКАЧАТЬ