100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard Heckmann
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СКАЧАТЬ hat sich heute auch gezeigt, wie schnell das Wetter im Küstengebirge umschlagen kann. Teilweise hat es eiskalt gepfiffen und ordentlich geschneit, dann schien wieder die Sonne. Und je höher wir kamen, desto stärker wurde auch der Nebel, so dass wir den Mackenzie-Pass streichen mussten, denn sehen würden wir dort rein gar nichts. Stattdessen machen wir einen Ritt durchs Tal, bei dem die beiden Collies zwei Bären und einige Elche aufspüren. Als David sie zurückpfiff, dreht nur Rio um. Willie hat es entweder überhört, oder folgt seinem Jagdtrieb. Da half dann auch nicht, dass er mit eingezogenem Stummelschwanz später reuevoll zurückkehrte und sich vor David hinlegte. Abseits im Wald, wohin die beiden gegangen waren, folgte die Strafe auf den Fuß. Uns tat das unendlich leid, denn dieser quirlige, liebe Kerl hatte unsere Herzen längst erobert. Wir verstanden aber auch unseren Gastgeber, der später von sich aus erklärte: „Das kann man nicht straflos akzeptieren. Er gefährdet sich selbst, könnte von Bären getötet werden, und die Gruppe braucht beide Hunde.“ Das war aber auch der einzige Ausrutscher. Unterwegs verbellten diese beiden lustigen Gesellen Bären und kontrollierten abwechselnd den ganzen Tross, von vorn bis hinten, und wieder zurück. Und sie sind stets zur Stelle, wenn jemand das Lager verlässt, gleich, ob am Tag oder in der Nacht, und ob der Weg zum Bach, zum Filmen führt, oder „für kleine Jungs“ ansteuert. Willi liebt ganz besonders die Gänge zum Bach, springt dort sofort hinein, dann auf den nächstbesten Stein und wartete darauf, „ein Stöckchen“ aus dem Wasser holen zu können. Immer wieder, unermüdlich, und auch bei Regen. Was ihre kleinen Pfoten an Kilometern abspulen, ist unglaublich. Nie betteln sie, nie betreten sie das abgesteckte „Wohnzimmer“, sondern warten immer am Rande bis auch sie an der Reihe sind. Und vor ihnen kommen stets die Pferde, dann die Menschen, sie erst ganz am Ende, wenn alle anderen schon satt und zufrieden sind. Willi und Rio sind zwei ganz treue Seelen, die wir leider nie wiedersahen, denn acht Jahre später, als wir im Eagles Nest meinen Geburtstag feiern, springen zwei neue Begleiter aus Davids Pickup, und auch Richard und Escort werden wir nicht wieder begegnen, denn auch sie sind schon im Pferdehimmel.

      Nach getaner Hausarbeit wie abwaschen, abtrocknen, zusammenräumen, Holz sägen oder hacken, damit auch dem nächsten Trupp entsprechender Vorrat zur Verfügung steht, finden wir uns alle wieder am Lagerfeuer ein, erzählen und reden über Gott und die Welt, und mit der Zeit taut auch David- schweigsam, nachdenklich, nichts dem Zufall überlassend – immer mehr auf. In seinen Adern pulsiert noch viel Indianerblut, denn sein mütterlicher Großvater war der angesehene Häuptling Chief Squinas, und auch sein väterlicher Großvater, Lester Dorsey spielte in jenen Tagen eine wichtige Rolle. Seine Großeltern gehörten der Gruppe der „Carrier“ an, für die er noch immer ehrenamtlich mitarbeitet und im Winter das Sägewerk am Laufen hält. Seine Großväter waren zu einer Zeit aktiv, als sich drei verwegene Cowboys von Anahim aus durch die mythischen Itcha Illgachuz Berge und das unbekannte Land kämpften, um weit dahinter Millionen Hektar Grasland im Cariboo-Chilcotin zu „öffnen“ und 1937 im Norden von British Columbia die „Frondier Cattle Company“ zu gründen. David, mittelgroß und kräftig, ist einer der zupacken kann und muss. Die wenigen dunklen Haare, die dem Endvierziger verblieben sind, bedeckt ein zusammengeknotetes buntes Tuch, das er unter dem breitkrempigen Westernhut trägt, und aus seinem gutmütigen Gesicht spricht unverkennbar der Indianer. Buntes Hemd unter brauner Windjacke, die Hosen in festen Gummistiefeln aus Deutschland („das sind die Besten“), so lernten wir den Rancher und Outfitter bei unserer ersten Ankunft kennen. Für unterwegs werden dann nur noch die ledernen Westernchaps übergeschnallt und eine wetterfester Umhang übergezogen. Dass dieser in sich gekehrte Mann sehr belesen und kompetent ist, wenn es um die verschiedensten Themen dieser Welt geht, überrascht mehr, als dass man es erwartet, und seine Ansichten hierzu würden wohl die meisten seiner Zuhörer sofort unterschreiben. Und diese Persönlichkeit dürfte es auch sein, die ihn so sympathisch macht. Und sie? Joyce ist groß, hager, zäh und mittelblond, ein verlässlicher Kumpel, der ebenfalls hart arbeiten muss, und ein absoluter Pferde- und Outdoor-Typ, der nichts vom Stadtleben, Fernsehen oder Menschenmassen hält. Käme die Zivilisation der abgelegenen Ranch zu nahe, ich glaube, sie würde sich dann weiter in die Einsamkeit der Natur zurückziehen wollen. Gemeinsam sind diese beiden großartigen Charaktere ein unschlagbares Gespann, und Tochter Leslie folgt bereits den Spuren ihrer Eltern.

      Beim Aufbruch am nächsten Tag regnet es heftig, doch macht das komischerweise niemandem etwas aus, obwohl wir schon zum Frühstück im wetterfestem Anorak und Regenhose antreten. Die Stimmung ist einfach bestens, und die losziehende Regenkarawane muss auch unbedingt auf Sabines Film, denn unterwegs kann man nicht bei jeder guten Gelegenheit anhalten. Unter einem großen Regenschirm klappt das auch sehr gut und ohne jegliche Folgen für die sensible Technik. Die Videofilmerei ist normalerweise ganz allein Sabines Sache, doch bei diesem schweren Regen nimmt sie lieber meinen Schimmel ins Schlepptau und zieht mit der Meute an mir vorüber. Der Boden, den wir heute betreten, ist ein historischer. Es ist ein Teilstück des „Greace Trails“, jenes Indianerpfades, der schon vor Hunderten von Jahren das Landesinnere mit der Küste verband. Von Weg ist natürlich keine Rede, sondern der Trail gibt heute eher die Richtung vor, doch mögen hier und dort die Hufe unserer Pferde durchaus auch die alten Indianerspuren direkt berühren. Wir reiten auch nicht nur durch wunderschöne Täler, tiefe Wälder oder über Hügel, sondern das Gelände ist insgesamt recht anspruchsvoll. Längere Zeit reiten wir auch am schmalen Rand einer tiefen Schlucht bergab, und dabei haben die Pferde „alle Beine voll“ zu tun, um an diesem Hang, der auf der Talsohle des Canyons endet, die richtigen Tritte zu finden. Vorher gab es auch größere Bachläufe zu durchwaten, und den einen oder anderen tiefe Graben hinter sich zu lassen. Und wie die Pferde das erledigten, obwohl sie größtenteils ungeübte Reiter im Sattel hatten, erstaunte einmal mehr. Schmale Gräben sprangen die Nachfahren jener spanischen Mustangs, die Cortez einst mit nach Amerika nahm, und die die Indianer zu Reitern machten, fast aus dem Schritt, bei breiten trabten sie unaufgefordert kurz an, sprangen an das gegenüberliegende Ufer, und mit einem zweiten Satz wieder nach oben. Dort setzten sie ihre normale Gangart fort als wäre nichts gewesen.

      Gegen Mittag hat der Regen aufgehört, doch Davids Feuer ist sehr willkommen, als wir im Hochwald pausieren, dessen Boden mit Moosen, Farnen und kleinen Sträuchern bewachsen ist. Neben unserer Lichtung rauscht ein stürmischer, breiter Bach mit viel Gefälle vorbei, den man wohl besser als River bezeichnet. Oberhalb seines Ufers hat David ganz schnell einen dürren Baum zusammengesägt, der schon wohlige Wärme verströmt, als wir uns alle mit Mittagsbroten, heißem Kaffee und klammen Fingern im großen Rund um die Flammen versammeln. Wirklich nass sind wir zwar nicht geworden, denn die Regenkleidung hat gehalten, was sie versprach, dennoch, die Wärme tut gut. Nur Willie scheint weder sie noch eine Pause zu brauchen, denn er springt immer wieder hinunter zum Bach und wartet im seichten Wasser darauf, dass jemand mit ihm spielt. Rio sieht das ganz anders. Er legte sich sofort in das Huckle-Berry-Kraut – die Frucht ist eine Art sehr wohlschmeckende große Heidelbeere – und belauscht, mit dem Kopf auf den Vorderpfoten, von unten heraus das Geschehen an der Feuerstelle. Vielleicht beobachtet er dort aber auch nur ganz verwundert John, der, auf einem Baumstamm sitzend die nackten Füße auf einen großen Stein stützt und seine Socken und Wildlederhalbschuhe an zwei langen Stöcken Richtung Feuer hält, um sie zu trocknen. Ein köstliches Bild, doch „eine solche Ausrüstung“ gehört überall hin, nur nicht auf einen Trailritt.

      Wieder im Sattel führt der Weg weiter bergab. Links der Bach in seiner immer größer und tiefer werdenden Schlucht, rechterhand zieht dichter Wald nach oben und lässt uns wenig Raum. Hier geht es aber nicht anders, und als wir wieder vom Gewässer abdrehen und versuchen, den besten Weg im Gänsemarsch durch den Wald nach unten zu finden, kommt der Tross zum Stehen. David ruft nach der Motorsäge und Axt. Das hatten wir schon mehrfach, aber dieses Mal sieht es ziemlich wüst aus, was da vor uns über- und durcheinander den Weg versperrt. Außerdem ist der Hang ziemlich steil, durch den Regen rutschig geworden und mit vielen dicken Wurzeln durchsetzt. Wir Männer sitzen ab, stellen die Pferde quer und helfen David und Paul in den nächsten dreißig Minuten das Windbruch-Chaos soweit zu beseitigen, dass auch die Packpferde durchkommen. Die restlichen Stunden verlaufen unkompliziert. Wir reiten zunächst durch ein langes Tal, dann über eine letzte Anhöhe und erreichen das Smoke House am Tanya Lake bei schönstem Sonnenschein. Auf den letzten Kilometern nach hier wurden auch die Schritte unserer Pferde immer freier. Sie waren zwar in diesem Jahr noch СКАЧАТЬ