Kempinski erobert Berlin. Horst Bosetzky
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Название: Kempinski erobert Berlin

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783955522483

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СКАЧАТЬ bekam auch als Erstes seine Eisenbahn. Am 19. Oktober 1844 war die Strecke von Frankfurt/Oder her eröffnet worden, welches seinerseits schon zwei Jahre vorher mit Berlin verbunden worden war. 1856 ging es von Breslau nach Posen. 1875 wurden Gleise zwischen Jarotschin und Oels verlegt, und damit war die Eisenbahn endlich auch in der Nähe von Adelnau angelangt.

      Der größte Teil der Provinz Posen bestand aus flachem, höchstens leicht gewelltem Land, und nur im Norden und Süden gab es Hügelketten, zum einen die Ausläufer des baltischen Höhenzuges an Brahe und Netze, zum anderen die des polnischen Landrückens. Zwischen den beiden großen Landrücken gab es drei Längstäler zu unterscheiden. Die südliche Talsenke wurde vom Bruchland der Bartsch geprägt, die ihren Anfang in einer sumpfigen Gegend südlich von Ostrowo nahm, mehrere Teiche bildete und bei Glogau in die Oder mündete, vorher aber noch die Wasser der Orla aufnahm. An ihr lag neben Herrnstadt und Trachenberg auch die Kreisstadt Adelnau. Die Berge bei Ostrowo waren von großen Kiefernwäldern bedeckt. In der Nähe floss der Olobok.

      Man betrieb Ackerbau und Vierzucht, hauptsächlich mit Pferden, Schweinen und Schafen. Dazu kamen Bienenzucht, Fischfang und die Waldwirtschaft. Glashütten, Tuchwebereien, Ziegeleien, Zuckerfabriken, Bierbrauereien und Spirituosenbrennereien boten weitere Arbeitsplätze.

      Krojanke zog mit seinem Wagen, vor den er ein belgisches Kaltblut gespannt hatte, im Grenzgebiet von Brandenburg, Posen und Schlesien von Markt zu Markt und suchte, den Leuten Scheren, Messer, Sägen, Feilen, Äxte und Beile zu verkaufen. Gemeldet war er in Obersitzko, was im Norden der Provinz Posen an der Warthe lag und wo er im Jahre 1824 zur Welt gekommen war. Auf seinen Touren schlief er vornehmlich in Scheunen und an schlimmen Wintertagen auch einmal in Absteigen. Er besaß aber in Obersitzko in einem abgelegenen Waldstück vor den Toren der Stadt ein eigenes Haus, in dem er für Herumtreiber und durchreisende Handwerksburschen immer eine warme Mahlzeit und einen Schlafplatz übrig hatte. Wegen seiner erwiesenen Wohltaten und seiner Frömmigkeit genoss er hohes Ansehen, und wenn er etwas verschroben war, dann hatte man volles Verständnis dafür, war ihm doch bei der Geburt des ersten Kindes die Frau weggestorben.

      Ins Gasthaus kam er schon ab und an, aber enge Freunde hatte er keine, und niemand aus Obersitzko war jemals bei ihm im Haus gewesen. »Seit Auguste tot ist, habe ich nicht mehr richtig aufgeräumt und muss mich deshalb schämen«, erklärte er, fragte ihn jemand nach dem Grund dafür. Das wurde allgemein akzeptiert. So blieb auch unentdeckt, was im Keller in den Regalen stand und lag. Das waren Gefäße mit gepökeltem Fleisch aus Brust, Bauch und Gesäßregion von Jungen und jungen Männern, einzelne Zähne und ganze Gebisse sowie Hosenträger und Schnürsenkel, die er aus Hautstücken seiner Opfer gefertigt hatte. Stets war er auf neue Beute aus, denn nichts ging ihm über frischgekochtes Menschenfleisch. Sah er einen jungen Menschen, der ihm gefiel, verbiss er sich geradezu in ihn, und er konnte viele Jahre warten, bis er ihn wirklich erwischte und erschlug.

      In diesem Sommer hatte er sich vorgenommen, die Ortschaften an der Grenze zu Kongresspolen abzuklappern. Von Wreschen hatte ihn der Weg über Miloslaw, Komorze, Groß Dubin, Rzegobin, Broniszewice und Pleschen nach Tursko geführt, wo er sich dann etwas westwärts gewandt hatte, weil er sich von Ostrowo, Schildberg und Kempen mehr versprach – in jeder Hinsicht. Krotoschin und Adelnau lagen ihm zu weit ab vom Schuss, aber Raschkow war es allemal wert, besucht zu werden.

      Auch heute stand er dort auf dem Marktplatz und wartete. Viele Stunden lang.

      Der Elfjährige, der jetzt an seinem Stand auftauchte, war ganz nach seinem Geschmack. Fröhliche Menschen schmeckten immer besser als solche, die ernst, in sich gekehrt und verbittert waren.

      »Na, Georg, suchst du nach einem Messer, mit dem du dir Pfeifen aus Kälberrohr schnitzen kannst?«

      »Ich heiße nicht Georg«, kam es zurück.

      »Wie, du bist nicht der Georg Gerlach, der Sohn vom Milch- und Butterhändler?« Den Namen Gerlach hatte Krojanke vorhin auf einem Schild gelesen, und es war ein alter Trick, die Jungen mit einem falschen, aber durchaus möglichen Namen anzusprechen.

      »Nein, ich bin der Berthold vom Weinhändler Kempinski.«

      »Ach so, na, dann kannst du deinen Vater ja mal fragen, ob er Korkenzieher braucht. Ich habe da ein neues Patent. Das will ich dir gern mal zeigen.«

      Berthold Kempinski saß im Ratskeller von Adelnau und las staunend die Speisekarte. Er hatte nie groß darüber nachgedacht, aber bis jetzt war es für ihn selbstverständlich gewesen, dass man in einem Gasthaus genau wie zu Hause das vorgesetzt bekam, was die Frau des Wirts gerade gekocht hatte. Unvorstellbar, dass man in einer Küche zwanzig und mehr Gerichte gleichzeitig zubereiten konnte, und noch mehr verblüffte ihn, dass die sechs Männer am Nebentisch genau zur selben Zeit ihre sechs verschiedenen Speisen serviert bekamen. Das musste eine wunderbare Maschinerie sein, die das hervorbrachte.

      »Na, kannst du dich nicht entscheiden?«, fragte der Vater. »Dann bestell dir doch einfach Schlesisches Himmelreich.«

      Raphael Kempinski nahm immer abwechselnd eines seiner vielen Kinder mit nach Adelnau, wenn er in der Kreisstadt an der Bartsch zu tun hatte.

      Berthold überlegte einen Augenblick. »Schlesisches Himmelreich? Nein, ich möchte lieber etwas haben, was bei Mutter nie auf den Tisch kommt.«

      Sein Vater lachte. »Na, mal sehen, ob sie hier Kaviar und Austern haben.«

      »Der Ober will sowieso nichts von uns wissen.« Berthold war aufgefallen, dass der hagere Mann seinen Vater und ihn geflissentlich übersah.

      Raphael Kempinski nahm es gelassen. »Erst kommen die Leute von hier, dann wir. Und am Ende der Welt geht es nun mal anders zu als in Berlin.«

      Berthold fragte sich immer wieder, warum er ausgerechnet hier zur Welt gekommen war, im hintersten Winkel der preußischen Provinz Posen, warum nicht wenigstens in Breslau. Am besten wäre natürlich Berlin gewesen.

      Als sie eine weitere Viertelstunde gewartet hatten, fragte Raphael Kempinski den Ober, ob er nun endlich auch ihre Bestellung entgegennehmen würde.

      »Nein. Tut mir leid, ich habe meine Weisungen.«

      Raphael Kempinski nahm es gelassen. »Aber herzlichen Dank dafür, dass wir wenigstens hier sitzen und uns ausruhen durften.« Er legte eine Münze auf den Tisch. »Für Sie und die freundliche Bedienung.«

      Draußen auf dem Marktplatz fragte Berthold seinen Vater, ob sie nichts zu essen und zu trinken bekommen hätten, weil sie Juden seien.

      »Ja und nein«, lautete die Antwort. »Manche Menschen können nur leben, wenn sie andere hassen, und mich hasst nun mal unser Fleischer in Raschkow, der Schmeisel, und der Ratskeller hier wird von seinem Bruder bewirtschaftet. Alles nur, weil er bei mir mal einen Wein gekauft hat, der wie Essig geschmeckt hat. Und nach Erde und Schimmel, zugegeben. Es war ein unglücklicher Umstand, und ich habe mich x-mal entschuldigt dafür, aber er hat gemeint, ich hätte ihn vergiften wollen – weil wir Juden ja nichts anderes im Sinn haben, als Christen zu vergiften.«

      »Wenn ich groß bin, mache ich ein eigenes Restaurant auf«, sagte Berthold Kempinski. »Und wenn du dann kommst, brauchst du nicht zu warten.«

      Sein Vater lachte. »Wer nichts wird, wird Wirt. Nein, mein Junge, du wirst was Vernünftiges, du kommst mal nach Ostrowo aufs Gymnasium und wirst … sagen wir: Arzt. Ja, jetzt habe ich es: Arzt.« Dass der Junge beim Anblick des grausam zugerichteten Regierungsreferendarius, alles voller Blut und das Gehirn an die Wand gespritzt, nicht zusammengebrochen war, sprach dafür, dass er für diesen Beruf prädestiniert war. Man sagte, den Preußen stünden viele große Kriege ins Haus, und da würden die Militärärzte viel zu tun haben.

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