Название: Schaurige Geschichten aus Berlin
Автор: Jan Eik
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955521820
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Die Weiße Frau wird aktenkundig
Mit der Leichenrede des Dompredigers Berger von 1619 geriet das Gespenst in die schriftlichen Annalen des Hauses Hohenzollern:
Es hat sich die Weiße Frau in leidtragender Gestalt auf dem Churfürstlichen Schlosse sehen lassen vor Personen allerhand Standes und Alters, daß also an ihrer Erscheinung nicht zu zweifeln ist.
Aus dem 17. Jahrhundert stammen die meisten Meldungen über das Gespenst, das sich gewöhnlich ruhig und anständig benahm. Nur wenn man sie durch frechen Übermut reizte, wurde die Dame zornig. Ein hoher Kavalier erzählte, dass er bei Ihrer kurfürstlichen Durchlaucht einstmals wegen wichtiger Affären ziemlich spät im Gemach gewesen, da sei das weiße Weib in Gestalt einer Beschließerin über den Saal gegangen. Sein Page, aller Warnungen ungeachtet, sei ihr nachgelaufen und habe sie angefasst mit den Worten: »Mutter, wo wollt ihr hin?« Der Vorwitzige bekam mit dem Schlüssel einen solchen Schlag an die Ohren, dass er bewusstlos zu Boden stürzte, während das Gespenst über ihn hinwegschritt. Zitternd wagten sich die anderen hervor und trugen den Pagen in seine Kammer, wo er trotz ärztlicher Bemühungen am dritten Tag den Geist aufgab. Man darf den Satan nicht reizen, schlussfolgerten die Todesmutigen, und so flüchteten sie alle, wenn im Schloss nur entfernt etwas Weißes schimmerte.
Einem schwachen Vater folgt mitunter ein noch schwächerer Sohn: Georg Wilhelm, der nächste Kurfürst, war schon bei seiner Huldigung mit 24 Jahren ein kranker Mann, der an der hohenzollernschen Erbkrankheit litt, einer schweren Wassersucht. Er starb 1640 mit nur 45 Jahren, vermutlich vom eigenen Kanzler Schwarzenberg vergiftet. Die wahre Herrscherin in Berlin blieb bis 1625 seine harte und herrschsüchtige Mutter Anna von Preußen, die älteste der fünf Töchter des Herzogs Albrecht Friedrich der Blödsinnige. Sie brachte den ohnehin nahe verwandten Hohenzollern immerhin das spätere Königreich Preußen als Morgengabe mit. Um den Stammbaum des Hauses Hohenzollern noch unübersichtlicher zu gestalten, heiratete ihre jüngere Schwester Eleonore Johann Sigismunds Vater Joachim Friedrich, starb aber bald darauf.
Kaum fünfzig Jahre später zog eine weitere schaurige Person ins Berliner Schloss ein: die ebenso gescheite wie ehrgeizige und rachsüchtige zweite Gemahlin des blatternarbigen Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, eine verwitwete Herzogin von Braunschweig-Lüneburg. Die Schwarze Dorothea ging wegen verschiedener unerwarteter Todesfälle und Koliken in der Herrscherfamilie – wahrscheinlich unverdientermaßen – als Giftmischerin in die Geschichte ein. Immerhin starben plötzlich und unerwartet zwei Kurprinzen, und der dritte, überraschend zum Kronprinzen aufgestiegen, hielt sich nach einer höchst unbekömmlichen Tasse Kaffee vorsichtshalber von ihr fern. Dafür stand ihm am Ende seiner Tage noch eine besonders eindrucksvolle Begegnung mit der Weißen Frau bevor.
Ein mutiger Hohenzoller
Etliche Jahre vorher wollte der Oberkämmerer und Saufkumpan des Großen Kurfürsten, Oberst Curt von Burgsdorff, ein trinkfester Mann von unbändiger Stärke, das schleierumwogte Hausgespenst endlich einmal mit eigenen Augen sehen. Er wolle ihm schon Bescheid stoßen!
Wunschgemäß begegnete ihm denn auch, nachdem er eines späten Abends den Kurfürsten zu Bette geleitet hatte, auf einer kleinen Treppe die Weiße Frau. Der erschrockene Oberst fasste sich und rief mit kerndeutsch-adligem Charme »Du alte sakramentarische Hure, du, hast du noch nicht genug Fürstenblut gesoffen? Willst du noch mehr haben?« und stürmte auf die zarte Gestalt ein. Die aber packte ihn mit unerwarteter Kraft am Kragen und warf ihn die Treppe hinunter. Der Kurfürst hörte es poltern, schickte vorsichtshalber jedoch nur den Kammerpagen hinaus, der dem zerschundenen Burgsdorff auf die Beine half. So mutig waren die Hohenzollern, wenn es darauf ankam.
Die Geschichte ist in verschiedenen Versionen und Datierungen überliefert und wird mitunter Burgsdorffs Bruder, dem Oberstallmeister Ehrenreich von Burgsdorff, zugeschrieben, der ein gleichermaßen großer Saufaus war wie Curt. Auch vor dem Dahinscheiden des Großen Kurfürsten trat die Weiße Frau in Erscheinung und zeigte sich diesmal dem Hofprediger Brunsenius gar am helllichten Tag.
Der Schiefe Fritz und die Mecklenburgische Venus
Irrtümlich wird Burgsdorffs Abenteuer gelegentlich mit dem Sohn des Großen Kurfürsten, Preußens erstem König Friedrich I., in Zusammenhang gebracht. Der Schiefe Fritz, wie er auch genannt wurde, war ein stilles, verwachsenes und dementsprechend gehemmtes Kind mit großem Kopf und auffallend großer Nase. Als Dreißigjähriger trat er 1688 die Nachfolge seines berühmten Vaters an, krönte sich dreizehn Jahre später in Königsberg selbst zum König in Preußen und starb 1713. Friedrich war ein gläubiger Fürst, er glaubte nicht nur an Geister wie die Weiße Frau.
Immerhin wurde Friedrichs Aberglaube belohnt: Brandenburg-Preußens erster König war der einzige Hohenzoller, dem die Weiße Frau vor seinem Tode nicht nur virtuell erschien – was ihn zu Tode erschreckte, hatte er ihr doch ein christliches Begräbnis ausrichten lassen. Im Jahre 1709 fand sich nämlich beim Schlossbau in den Fundamenten der früheren Burg ein eingemauertes schneeweißes weibliches Skelett, von dem Friedrich wie alle anderen glaubte, es sei das der Weißen Frau. Er ließ die Gebeine auf dem Domfriedhof beisetzen. Der süße Trost, er habe dadurch das Gespenst zur Ruhe gebracht, erfüllte sich leider nicht.
Das Unheil geschah ein Jahr nach der Geburt und Taufe seines Enkels Friedrich im Januar 1712. Dieser Friedrich, den die Welt einmal als den Großen kennenlernen sollte, war bereits der dritte Enkel, auf den Preußens erster König seine Hoffnungen setzte. Mit der Kinderpflege haperte es im Berliner Schloss offensichtlich. Der erste Thronfolger überlebte den Lärm der Kanonenschüsse bei seiner Taufe nicht, einem zweiten zerdrückte bei gleicher Gelegenheit die überschwere Goldkrone das Köpfchen. Reichlich Kummer also für den selbst von mannigfaltigen Leiden geplagten Monarchen.
Eines Nachmittags ruhte er in seinem Armsessel, als ihn eine grauenhafte Erscheinung aus dem Schlummer riss. Vor ihm stand eine hohe weiße Gestalt mit wild herabhängenden Haaren, die blutigen nackten Arme und Hände gen Himmel gereckt. Das Weib starrte ihn mit irren Augen an, aus denen der Wahnsinn glühte, und warf sich mit Zetergeheul auf ihn. Schreiend überhäufte sie ihn mit Vorwürfen über sein lasterhaftes Leben, bis ihn eine gnädige Ohnmacht erlöste.
Der Schreck, so wird berichtet, verschlimmerte die Krankheit des 55-jährigen Monarchen. Er wurde zu Bett gebracht und verließ es nicht wieder. »Ich habe die Weiße Frau gesehen, ich werde nicht wieder besser werden!«, klagte er. Seine Krankheit dauerte sechs Wochen. Er fühlte selbst, dass sie tödlich war, aber er wollte nicht glauben, dass jene grauenhafte Erscheinung niemand anderes gewesen sei als seine eigene Gemahlin Sophie Luise von Mecklenburg-Schwerin, genannt die Mecklenburgische Venus. Mit ihr war Fritz seit 1708 in dritter Ehe verheiratet. Die 24-jährige Prinzessin galt keineswegs als besonders sittenstreng, wurde angesichts ihres Ehemanns jedoch zur unerbittlichen Lutheranerin, die sich in Andächtelei vertiefte, »bis endlich über dem Grübeln ihr Verstand sich verwirrte, ihre Vernunft zerrüttet ward«. Diesmal war die Geisteskranke der Bewachung und ihren Hofdamen entkommen, durch eine geschlossene Glastür zu ihrem entsetzten Gemahl vorgedrungen und hatte ihn im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode erschreckt.
An Friedrichs Gemahlinnen erinnern heute Stadtteile in Berlin: Zu Ehren der zweiten, Sophie Charlotte, trägt Charlottenburg seinen Namen, nach der Mecklenburgischen Venus sollte die nördliche Vorstadt Berlins Sophienvorstadt heißen. Sophie Charlottes Sohn Friedrich Wilhelm I., Preußens prügelnder Soldatenkönig, setzte durch, dass es bei der Spandauer Vorstadt blieb. Die Spandauische Kirche in der Sophienstraße aber heißt noch heute Sophienkirche.
In Sachen Weiße Frau bewies der unrühmlich bekannte Soldatenkönig allerdings einigen Realitätssinn. Er erwischte das Gespenst beim Hemdzipfel und prügelte es mit seinem Knotenstock unbarmherzig durch. Natürlich hatte er den СКАЧАТЬ