Название: Verhängnis in der Dorotheenstadt
Автор: Jan Eik
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955520304
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Heidenreich schüttelte seine Löwenmähne. »Leider nicht. Sonst wäre ich schon klüger.«
Er rückte mit seinem Mund so nahe, dass Gontard den heißen Atem, ja ein feines Sprühen an seinem Ohr spürte. »Es ist eine exorbitante Entdeckung«, flüsterte er mit trunkener Zunge, »die ich da mit hochgradiger Wahrscheinlichkeit gemacht habe!«
Gontard war nicht erpicht darauf, zu dieser Zeit und in dieser Umgebung Teilhaber eines Geheimnisses zu werden, das sich im Licht des Tages unter Umständen als eine der voreiligen Schwärmereien des Freundes entpuppen mochte. »Du wirst es mir morgen gewiss genau erklären«, äußerte er in normaler Lautstärke, worauf Heidenreich erschrocken den Finger über die Lippen legte und sich scheu im Kreis umblickte, als fürchte er einen heimlichen Lauscher. In der Tischrunde war der kaum zu befürchten, doch als von Gontard sich umwandte, nahm er den falschen Zeitungsleser aus dem anderen Raum wahr, der sich wie suchend nach einem Platz umsah und dabei dicht an Heidenreich vorbeistrich.
»Die Angelegenheit ist nicht ohne Gefahr!«, zischelte der in Gontards Ohr. »Ich verspreche dir, sie wird dein höchstes Interesse wecken und erfordern!«
»Das hoffe ich sehr, mein Lieber«, sagte Gontard. »Du weißt, wie schwer Langeweile für mich zu ertragen ist.«
Vier
So verhielt es sich in der Tat. Christian Philipp von Gontard hasste Langeweile. Vielleicht hatte er sich ja deshalb mit dem unruhigen Feuerkopf Heidenreich zusammengetan, der von großen Entdeckungen und Erfindungen träumte. An jenem Abend seiner Rückkehr aus der Prignitz, der sein letzter gemeinsamer mit Heidenreich werden sollte, hatte Gontard an seinem zierlichen Schreibmöbel in dem kleinen Salon seiner Wohnung in der Dorotheenstraße gesessen. Vertieft in seine Aufzeichnungen zum Fall Bathurst, gelang es ihm nicht, Licht in das Dunkel der Affäre zu bringen.
Draußen sank die Dämmerung herab, aus der Tanzdiele schräg gegenüber schallte der übliche Lärm, der sich im Laufe der Abendstunden noch steigern würde. Nacheinander flammten in der Dorotheenstraße die Gaslichter auf. Seufzend zündete Gontard zwei Kerzen an. Bis jetzt hatte er es nicht geschafft, seinen Hauswirt und Vermieter zu überreden, sich für die zeitgemäße Form der Beleuchtung zu entscheiden. Der führte die schlechten Zeiten als Grund an, obwohl seine Geschäfte sich in diesem Jahr gut entwickelt hatten und angesichts der anstehenden Feierlichkeiten eine wahre Goldgrube darstellen mussten. Adam Zerkelwitz war Fouragehändler, Pferde brauchten nun einmal ihr Futter, und die Königlichen Ställe lagen nahe.
Christian Philipp von Gontard besaß in der Nähe von Kyritz ein Gut, dessen Verwaltung er gerne dem älteren Bruder seiner Frau überließ, einem hagestolzen Krautjunker, der an mancherlei Launen seiner Schwester gewöhnt war und der das Beste aus Wutike zu machen verstand. Ihm verdankte Gontard auch den jungen Hengst Waldemar, auf dessen Rücken er die zwölf Meilen vom Gut hierher zurückgelegt hatte. Oft würde er dem Tier, das sich nun im Stall bei der Tierarzneischule erholte, eine solche Strecke nicht zumuten. Auf den täglichen Ritt durch den Thiergarten aber freute er sich schon lange.
Gontard, in Berlin geboren und aufgewachsen, war an das großstädtische Leben in der Residenz gewöhnt. Trotz seines Interesses für alles Criminale hatte er die militärische einer Laufbahn bei der übel beleumdeten Polizei vorgezogen. Er war der Spross einer einst adligen Hugenotten-Familie, von deren bedeutendstem Sohn tiefe oder vielmehr sichtbar emporragende Spuren in der Berliner und Potsdamer Architektur kündeten. Der berühmte Architekt und Baumeister Carl Philipp Christian von Gontard, der für seine Verdienste vom Kaiser Joseph 1767 erneut in den erblichen Adelsstand versetzt wurde, war sein leiblicher Großvater. Fürstenwillkür und Hofintrigen hatten den genialen Mann früh ins Grab gebracht. Dabei verdankte ihm die Residenz die eindrucksvollen Königs- und die Spittelkolonnaden, das Rosenthaler und das Oranienburger Thor und - neben manchem Bürgerhaus im eleganten Zopfstil - Berlins schönsten Platz, den Gensdarmen-Markt mit seinen beiden Kirchtürmen. Nur Böswillige erinnerten gelegentlich an den Einsturz des Deutschen Doms während des Baus. Dergleichen war auch dem großen Schlüter widerfahren.
Auch mit diesem historischen Vorfall hatte sich der Enkel ernsthaft beschäftigt, dabei aber keine Spuren crimineller Machenschaften entdecken können. Christian Philipp war bei allem romantischen Interesse für Ereignisse ungewöhnlicher Art ein nüchtern und rational denkender Mensch, der seine Berufung darin gefunden hatte, die künftigen preußischen Artillerie-Offiziere in der Kunst ihrer Waffen und in der Ballistik zu unterrichten. Dass der Umgang mit dem Pulver gewisse gefährliche Besonderheiten aufwies, war ihm nicht unbekannt. Häufig referierte er vor seinen Schülern über die Explosion des alten Pulverturms am Spandauer Thor, bei der im August 1720 insgesamt 72 Personen den Tod gefunden hatten und der König selbst nur durch eine gottgewollte Verspätung mit dem Leben davongekommen war.
Ob es sich tatsächlich um eine göttliche Vorsehung - immerhin war die Garnisonkirche samt Schule zerstört worden - oder um eine höchst irdisch vorbereitete Verzögerung gehandelt hatte, war ihm bei aller Mühe nicht gelungen herauszufinden. Der Soldatenkönig war alles andere als eine beliebte Persönlichkeit gewesen.
Derlei ketzerische Erwägungen erwähnte Gontard niemandem gegenüber. Er war ein königstreuer Offizier und klug genug, nicht wider den Stachel zu löcken. Das überließ man besser den Burschenschaftern und anderen Feuerköpfen, denen sich die politische Polizei mit all ihren Spitzeln und Zuträgern und am Ende das Untersuchungsgericht in Köpenick widmeten. Nicht mehr lange, wie man allgemein hoffte.
Es klopfte an der Tür, und ohne eine Antwort abzuwarten, schob sich seine Wirtschafterin Madame Koblank ins Zimmer, eine resolute Person unbestimmbaren Alters und ebenso unbestimmter Haarfarbe und -tracht. Sie hatte nicht mit seiner heutigen Rückkehr gerechnet. »Jewiss jedenken der Herr Major noch auszujehn?«, vergewisserte sie sich. »Sonst müsste ick zum Abendbrot leider was aus’n Jasthof holen …«
Nach dem langen Ritt fühlte sich Gontard eigentlich nicht in Stimmung, das Haus noch einmal zu verlassen, doch den Rest des Tages in der tristen Stube zu verbringen, danach stand ihm der Sinn noch weniger. Eine gute Woche Landaufenthalt hatte genügt, seine Leidenschaft für den Glanz und die Freuden der Residenz erneut anzufachen. Er liebte seine Henriette, und sobald er Wutike verlassen hatte, sehnte er sich nach ihr und den Kindern. Denen gegenüber hatte er ein besonders schlechtes Gewissen. Was sollte in dieser ländlichen Einöde nur aus ihnen werden?
Doch all sein Bemühen, Henriette zu einem Umzug in die Stadt zu bewegen, scheiterte an ihrer kategorischen Ablehnung. »Du weißt, ich habe es versucht«, so lautete ihr Einwand. »Ich werde krank von all diesem Gerenne und Getue, diesen alltäglichen und allabendlichen Aufregungen. Du hast gewusst, dass du ein einfaches Mädchen vom Land ehelichst …«
Nun, ein ganz so einfaches Mädchen war sie nicht, und ausgehalten hatte sie es mit ihm kaum ein halbes Jahr in Preußens Hauptstadt. Die Familie derer von Herzsprung besaß rings in der Mark umfangreiche Ländereien bis hinauf nach Mecklenburg-Strelitz, und der alte Baron hatte seinen drei Töchtern wie den sechs Söhnen eine wahrhaft fürstliche Erziehung angedeihen lassen. Dennoch war eines der Mädchen früh ins Kloster gegangen und die Älteste unlängst im Gefolge eines Musikers zweifelhafter Herkunft gen Italien verschwunden. Aus dem Bruder Heinrich war ein bigotter Pfaffe geworden, der seinem Sprengel in der nahen Spandauischen Vorstadt mit pietistischer Sittenstrenge vorstand und überdies zu Gontards Ärger dazu neigte, jeden Schritt seines ungeliebten Schwagers Christian Philipp zu überwachen, moralisch zu bewerten und nach Wutike zu melden.
Nicht etwa, dass Gontard sich etwas vorzuwerfen hatte. Sein ungebundenes Leben quasi als Junggeselle brachte СКАЧАТЬ