Verhängnis in der Dorotheenstadt. Jan Eik
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Название: Verhängnis in der Dorotheenstadt

Автор: Jan Eik

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783955520304

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СКАЧАТЬ aus?«, rief der lebhafte kleine Mann von Gontard fröhlich entgegen. »Dürfen wir die Reste seines Leichnams demnächst in Augenschein nehmen, oder haben Sie ihn lebend in Frankreich aufgespürt?«

      Hitzigs gealtertem Kindergesicht hinter der Brille sah man den ehemaligen Criminalrath und Kammergerichtsdirector nicht ohne weiteres an. In Preußens Leidensjahren aus dem Staatsdienst entlassen, hatte der Jurist sich erfolgreich als Übersetzer, Verleger und Buchhändler versucht und erste eigene Werke veröffentlicht. In jenen Jahren genoss sein Lesezimmer nicht nur unter den Studenten anhaltenden Ruhm. Er war ein vielseitiger Mann, wie er acht Jahre lang als Herausgeber der Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege in den Preußischen Staaten oder als Begründer und Mitglied der literarischen Mittwochsgesellschaft bewiesen hatte.

      Seine engsten Freunde, die Dichter E. T. A. Hoffmann und der mit Hitzigs Pflegetochter Antonie verheiratete Adelbert von Chamisso, waren inzwischen dahingegangen. Hitzig, seit einigen Jahren nur noch schriftstellernd, dachte daran, deren Lebensbeschreibungen zu verfassen. Das Haus in der südlichen Friedrichstraße teilte Hitzig mit der Tochter Clara, ihren Kindern und ihrem Mann, dem angesehenen Kunsthistoriker und Professor Franz Kugler. Eine zweite Tochter war die Frau des berühmten Geodäten Baeyerlein.

      Der Familie gehörte auch das prächtige Palais Itzig in der Burgstraße, denn Hitzig war der Enkel des Oberhofbanquiers Friedrichs des Großen, Daniel Itzig. Seine Schwester Lea war mit einem Sohn des großen Moses Mendelssohn verheiratet, und sein Sohn Georg galt als hoffnungsvoller und vielversprechender Architekt.

      Gontard schätzte Hitzig als einen amüsanten und sachkundigen Gesprächspartner, der gerne mit interessanten Fällen aus seiner reichen Berufserfahrung aufwartete. Umso weniger schätzte er es allerdings, gänzlich unerwartet in den Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit zu geraten. Also versuchte er, die angesprochene Suche nach dem verschwundenen Bathurst herunterzuspielen, indem er die Rolle des beschämten Verlierers übernahm. »Sie haben leider recht behalten, lieber Herr Criminalrath. Ich habe nicht das Geringste herausgefunden.«

      Voller Enttäuschung war er erst wenige Tage zuvor in die preußische Residenz zurückgekehrt. Trotz aller Mühe war es ihm nicht gelungen, das mysteriöse Verschwinden des Lord Bathurst aufzuklären. Glücklicherweise hatte er sich diesbezüglich auf keine Wette mit den beiden Schriftstellern und Rechtsgelehrten Hitzig und Alexis eingelassen, die seit längerer Zeit ein Buch in der Art des Franzosen Pitaval über bemerkenswerte Criminalfälle planten. Seit sie in seiner Anwesenheit im Café Stehely das geheimnisvolle Verbrechen an dem jungen englischen Diplomaten in all seinen Facetten erörtert hatten, war ihm der Fall nicht aus dem Sinn gegangen. Da er nun einmal die trübe Oktoberwoche nach Michaelis auf seinem Gut in der wenig aufregenden Prignitz zu verbringen gedachte, ließ sich diese Gelegenheit günstig nutzen, nicht nur den eigenen Pferdebestand gründlich zu prüfen, sondern auch seinem heimlichen Steckenpferd einmal richtig die Sporen zu geben. Insgeheim hoffte er, dass ihm seine vorzüglichen englischen Sprachkenntnisse dabei von Nutzen sein würden. Christian Philipp von Gontard lechzte nämlich geradezu danach, grausame Mordtaten oder andere Verbrechen aufzuklären und den oder die Täter der irdischen Gerechtigkeit zuzuführen.

      Statt sich also um sein Gut, seine Frau Henriette und seine beiden Kinder zu kümmern, hatte er beinahe eine ganze Woche damit verbracht, in Perleberg und Umgebung auf den Spuren des vermutlich ermordeten oder zumindest entführten englischen Gesandten zu wandeln und nach dessen Verbleib zu forschen. Ohne nennenswertes Ergebnis, wie er sich eingestehen musste.

      Immerhin hatte er eine gewichtige Zeugin der rätselhaften Geschehnisse ausfindig gemacht und befragt. Die Widersprüche zwischen ihren Erinnerungen und den in den Amtsstuben der Stadt vorhandenen spärlichen Protokollen und Papieren lagen auf der Hand und waren mit seinem begrenzten Wissen nicht zu klären.

      Musste er sich wirklich mit der Erkenntnis zufriedengeben, dass hier entweder ein kaltblütiger Raubmord fahrlässig oder vorsätzlich auf völlig unzureichende Weise untersucht worden war? Oder steckte doch ein verborgenes Spiel weit höherer Mächte hinter alldem, das aufzuklären er nicht imstande war? Jedenfalls nicht mehr nach gut dreißig Jahren, denn der junge Lord - oder wer auch immer der fremde Reisende wirklich gewesen sein mochte - war am Abend des 25. November 1809 letztmalig lebendig gesehen worden, vor fast 31 Jahren also.

      Im Nachhinein belächelte von Gontard sein Vorhaben, das historische Rätsel lösen zu wollen. Es um ein Weniges aufzuhellen, bedurfte es mindestens einiger Auskünfte aus England und eines tiefen Blicks in die Archive der napoleonischen Geheimpolizei. Er kannte ja nicht einmal alle preußischen Unterlagen, und Zugang zum Geheimen Staatsarchiv würde man ihm kaum gewähren. Vielleicht konnte ja Hitzig behilflich sein.

      Das Schankmädchen hatte indes auf dessen fordernde Geste hin einen weiteren Stuhl herbeigeschleppt, und Gontard blieb nichts anderes übrig, als sich niederzulassen. »Was ich tatsächlich herausgefunden habe, schildere ich Ihnen besser ein andermal«, raunte er seinem Nachbarn zu. Der nickte beifällig, und nur einer der Herren fragte mit schwerer Zunge nach, um was für einen Leichnam es sich denn handle.

      Hitzig winkte ab. »Ein alter und beinahe vergessener Criminalfall«, sagte er. »Der Herr Major betreibt gelegentlich das Gewerbe eines detective, wie man derlei Leute in England tituliert.«

      »Und Sie und Ihr Freund Häring bringen seine Abenteuer zu Papier!«, vermutete der Fragende und sah sich um Zustimmung heischend im Kreise um. Die anderen am Tisch waren an ihrem vorherigen Gesprächsgegenstand hängengeblieben und stritten weiter über Wert oder Unwert der zahlreichen vom König ausgesprochenen Standeserhöhungen und Gnadenbeweise.

      »An altem Adel mangelt es uns wahrhaftig nicht«, meinte Hitzigs linker Nachbar und blickte von Gontard entschuldigend an, bevor er fortfuhr. »Und an verarmtem wohl ebenso wenig. Wozu benötigen wir da einen neuen Verdienstadel, der nicht einmal mehr an den rittermäßigen Grundbesitz gebunden sein soll? Das schafft nur einen neuen armen Adel, der sich verstärkt in die Staatsämter drängen wird!«

      Ein glattrasiertes Habichtgesicht widersprach lebhaft:

      »Meinicke, in Ihnen steckt immer noch der verkappte Demagoge! Kaum hat der König die ersten wohlbedachten Maßnahmen ergriffen, streuen Sie Ihre unbedarfte Kritik darüber aus! Der neue Adel ist in zweiter und dritter Deszendenz, will sagen, in absteigender Erblinie, sehr wohl an den Landbesitz gebunden.«

      »Immer mehr große Güter befinden sich in bürgerlicher Hand«, entgegnete ein Kahlkopf undeutlich und ohne dabei das Mundstück seiner überlangen Pfeife zwischen den gelben Zähnen loszulassen, indessen ein anderer gehässig ergänzte: »Wenn nicht gar in jüdischer!«

      Worauf sich für einen Augenblick verlegenes Schweigen ausbreitete, wusste doch jeder hier am Tisch, dass Julius Eduard Hitzig vor seiner Taufe Isaak Ephraim Itzig geheißen hatte. Seine jüdische Familie war die erste in Preußen gewesen, der ein königliches Dekret die vollen Bürgerrechte gewährt hatte.

      Hitzig, in sechzig Lebensjahren an stärkere Attacken gewöhnt, lachte nur gutmütig und sagte: »Das ist allemal der wirkliche Kummer, dass nun sogar reiche Juden geadelt werden könnten! Nur bei den Staatsämtern sieht es bisher weniger günstig aus.«

      »Eben!«, meldete sich wieder der Adelskritiker. »Sagt doch der Paragraph 35 des Allgemeinen Preußischen Landrechts eindeutig: Der Adel ist zu den Ehrenstellen im Staate vorzüglich berechtigt

      Von Gontard war dieser Art von Debatten überdrüssig, vermochten sie doch nicht das Geringste an den Entscheidungen des Monarchen und seiner Ratgeber zu ändern. Preußen war nicht England oder Frankreich.

      Wie um ihn zu erlösen, vernahm er plötzlich eine vertraute Stimme an seinem Ohr: »Du wirst begeistert sein von dieser Aufgabe!«

      Mit triumphierender Miene stand СКАЧАТЬ