Man hat an der Unbärtigkeit des jungen Chirurgen, der den Aderlass ausführt, Anstoß genommen, auch weil der Arzt des Basler Arztreliefs und der Arzt Aineios würdevolle Bärte tragen. Dieser Einwand übersieht jedoch das älteste Arztdenkmal der Griechen überhaupt, eine stehende Figur eines jungen Mannes, einen sog. kuros. Gefunden wurde der noch 1,19 m hohe Marmortorso in der Nähe von Syrakus auf Sizilien, südlich der antiken Stadt Megara Hyblaia. Der Figur fehlen zwar beide Unterschenkel, der gesamte rechte Arm und der Kopf, sie war aber keinesfalls bärtig, sondern stellt nach Art der kuroi einen jungen Mann dar. Die Figur gehört in die Jahre um 550 v. Chr. Die Inschrift ist die älteste Medizinerinschrift Europas; sie ist hinten auf dem rechten Oberschenkel eingeritzt:
(Denkmal des) Sombrotidas, des Arztes, des Sohnes des Mandrokles.
Die Inschrift auf dem Oberschenkel und nicht auf dem Statuensockel lässt den Schluss zu, dass man es mit einem Weihgeschenk an eine Gottheit, nicht aber mit einer Grabstatue zu tun hat.
In den Jahren zwischen 460 und etwa 380/370 v. Chr. lebte der Arzt Hippokrates von der Insel Kos, der Begründer der Medizin als Wissenschaft. In seiner Lebenszeit erfolgte der Aufschwung des Asklepioskultes ebenso wie Athens Aufstieg zur Großmacht und sein tiefer Fall in der Niederlage gegen Spartas Soldaten und Persiens Geld 404 v. Chr. Wir besitzen wenige zeitgenössische Dokumente zum Wirken des Hippokrates; die meisten Zeugnisse stammen aus römischer oder gar erst byzantinischer Zeit, sind also ein halbes oder ein ganzes Jahrtausend von ihm getrennt.
Von den unter seinem Namen laufenden Hippokratischen Schriften (58 Abhandlungen in 73 Büchern), dem Corpus Hippocraticum, stammt nur ein kleiner Teil von ihm selbst. Er war der Begründer der Ärzteschule auf Kos, die das genaue Beobachten des Kranken und seiner Symptome in den Vordergrund stellte. Sein Interesse galt dem Kranken als Gesamtwesen. Die auf Hippokrates zurückgehende Viersäftelehre von den vier Lebenselementen (Blut, Schleim, schwarze Galle, gelbe Galle) hat die europäische Medizin bis zur Renaissance beeinflusst.
Der hippokratische Eid ist nicht wörtlich auf Hippokrates zurückzuführen. Manche Einzelheiten wie die Ablehnung von Euthanasie und Abtreibung deuten auf die Philosophie des Pythagoras von Samos und seiner Schule, obwohl der Eid als Ganzes nicht von den Pythagoräern formuliert wurde. Der Text ist ein nicht datiertes Dokument im Rahmen der Hippokratischen Schriftensammlung (Corpus Hippocraticum). Vor der frühen römischen Kaiserzeit wird er in der antiken Literatur nicht erwähnt; der früheste Hinweis stammt von Scribonius Largus aus der Zeit kurz vor 50 n. Chr.
Die wesentlichen Bestandteile des Eides sind die Sorge für den Patienten und die Ablehnung zu hoher Risiken bei der Behandlung. Die Eidesformel ist eine beeindruckende Darstellung ärztlicher Ethik. Die moralischen Grundforderungen des hippokratischen Eides ließen ihn später auch für die Gläubigen der monotheistischen Religionen der Juden, Christen und Muslime als Maßstab gelten, wenn er auch nie zur juristischen Richtschnur wurde.
Man hat die Eidesformel immer automatisch unter dem Gesichtspunkt des Mannes gesehen. Im Text, so wie er uns vorliegt, wird allerdings nirgendwo gesagt, dass die Medizin ein Beruf sei, der Frauen verwehrt sein solle.
Die Mutter des Sokrates und die griechischen Hebammen
Wenn man die mythischen Kennerinnen von Drogen und Giften nach Art der Helena von Sparta beiseite lässt, dann erscheinen Frauen im weiten Feld der Medizin zuerst als Hebammen, bei den Griechen wie auch – wir dürfen es voraussetzen – seit Urzeiten. Die eigene Erfahrung der Geburt mit ihren Schmerzen und Risiken hat vermutlich schon in den Höhlen der Altsteinzeit, Jahrzehntausende vor den Griechen des Altertums, Frauen bewogen, anderen Frauen bei der Geburt zu helfen.
Im klassischen Athen war die Mutter des Philosophen Sokrates, eine Frau namens Phainarete, von Beruf Hebamme (maia). Sokrates kam um die Jahre 470 v. Chr. zur Welt und für diese Zeit und sicher auch für die Generationen davor dürfen wir den Hebammenberuf in Frauenhand annehmen. Der Name Phainarete wird in einigen Quellen auch als Mutter des Hippokrates von Kos genannt, der um 460 v. Chr. zur Welt kam. Von dieser Phainarete weiß man nichts Näheres. Der Sokratesschüler Platon erwähnt in seinem Dialog Theaitetos (bald nach 369 v. Chr.), dass Hebammen diesen Beruf ausüben sollten, wenn sie selbst einmal ein Kind geboren hatten und wenn sie jenseits des gebärfähigen Alters seien.
Sokrates spricht zu Theaitetos:
Überlege dir nur recht alles von den Hebammen, wie es um sie steht, so wirst Du leichter merken, was ich will. Denn du weißt doch wohl, dass keine, solange sie noch selbst empfängt und gebärt, andere entbindet, sondern nur, welche selbst nicht mehr fähig sind zu gebären, tun es. … Das soll, sagt man, von der Artemis herrühren, weil dieser, einer Nichtgebärenden, dennoch die Geburtshilfe zuteil wurde. Nun hat sie den Unfruchtbaren zwar nicht verleihen können, Geburtshelferinnen zu sein, weil die menschliche Natur zu schwach ist, um eine Kunst in Dingen zu erlangen, in denen sie ganz unerfahren ist. Wohl aber hat Artemis diese Gabe denen, die aus Altergründen nicht mehr gebären können, verliehen …
Im Folgenden beschreibt Sokrates ganz unbefangen Kenntnisse der Hebammen in Sachen Medikamente, Zaubersprüche und Abtreibungsmittel. Auch wenn der Text von Platon stammt und man kaum annehmen darf, hier Sokrates wörtlich zu hören, so dürfte die Herkunft Sokrates’ aus einer Familie mit einer Hebamme als Mutter und einem Bildhauer als Vater hier ihre Spuren hinterlassen haben.
Hebammen mussten mit Ärzten (Abb. 4) zusammenarbeiten, wenn es Komplikationen gab. Logischerweise erweiterten die griechischen Hebammen ihr Wissen und so nannte sich die erste griechische Ärztin, die wir kennen, Phanostrate von Acharnai (Abb. 5), maía kai iatròs, Hebamme und Arzt. Auf der anderen Seite haben auch die berühmtesten Ärzte ihrer Zeit die Bedeutung der Hebammen gewürdigt: Der große Herophilos von Alexandrien schrieb ein Buch über den Hebammenberuf (maiotikon).
Abb. 4 Aderlass in einer Athener Straßenpraxis der Zeit um 480 v. Chr. Bemaltes Keramikgefäß (Aryballos Peytel). H. des Bildfeldes 6 cm. Paris, Louvre.
Der Beruf der Hebamme war im gesamten Altertum Aufgabe von Frauen. Die Bezeichnung maia (Mütterchen, mgl. ma/meter, Mutter) blieb auch im späteren griechischsprachigen Ostteil des Römischen Reiches in Gebrauch; lateinischsprachige Hebammen nannten sich obstetrix, die Frau, die sich um das im Weg Stehende, das Hindernis, kümmert (obstare: im Weg stehen). Die Hebamme blieb ein ständiger Frauenberuf im gesamten Altertum.
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