Abb. 2 Achilleus verbindet den von einem Pfeil getroffenen Patroklos, bemaltes Innenbild einer Keramikschale des sog. Sosiasmalers. 500/490 v. Chr. Dm. 17,8 cm. Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung.
Dass der Kriegschirurg besondere Leistungen bieten musste, ergibt sich auch daraus, dass Homer als Ärzte an der Front vor Troia zwei Göttersöhne nennt, Machaon und Podaleirios, die Söhne des Heilgottes Asklepios. Asklepios‘ Tochter Hygieia trat erst später in Erscheinung, als man dem weiblichen Element größere Aufmerksamkeit widmete. Die meisten bei Homer in der Ilias geschilderten Kampfverletzungen waren tödlich, andere konnte man noch behandeln. Erwähnt wird die Pfeilwunde des getroffenen Menelaos, die der Arzt Machaon versorgt; in einem anderen Fall ist es Patroklos, der sich um die Pfeilwunde seines Kameraden Eurypylos kümmert.
Eine prominente Frau mit medizinischen Kenntnissen bei Homer war keine Ärztin von Beruf, sondern Königin: Helena, Auslöserin des Krieges um Troia, kannte aus Ägypten ein kummerstillendes Heilmittel (phármakon). Dem wegen seines Vaters Odysseus bekümmerten Telemachos, der das Königspaar Menelaos und Helena in Sparta besuchte, gab sie ein Mittel gegen seinen Seelenschmerz. Helena mischte eine Droge in seinen Wein, welche ihn für eine Zeitspanne alles vergessen ließ, ein Mittel, welches man ihr aus Ägypten mitgebracht hatte, jenem Ägypten, „wo die Fluren gute wie schädliche phármaka in Mengen erzeugen“ (Homer, Odyssee 4, 229–230). „Dort (in Ägypten) ist jeder ein Arzt und übertrifft an Erfahrung alle Menschen“, behauptet Homer in der Odyssee (4, 231–232). Die hohe Meinung der Griechen von der Medizin der Ägypter war sprichwörtlich.
Mit Helenas ägyptischer Droge im Wein für Telemachos hat Homer im Übrigen auch das bis heute erfolgreiche Motiv des Giftes in Frauenhand in die Literatur eingeführt; der Dichter hatte das Thema schon in der Ilias berührt, als er von Agamede erzählt, der Tochter des Königs Augeias (Augias), welche alle Heilmittel (phármaka) auf Erden kannte. Zusammen mit Medeia (Medea), der Prinzessin aus Kolchis, und der göttlichen Kirke auf ihrer Zauberinsel gaben diese mythischen Frauen das Vorbild für die unendliche Reihe von Drogenkennerinnen und Giftmischerinnen.
Die ersten griechischen Ärzte
Für uns sind die Griechen die Schöpfer der Medizin als Wissenschaft. Gleichwohl sahen sie die Heilkunst am Beginn als einen Teil der allumfassenden religiösen Welt an. Asklepios, der Heilgott, war unter den Göttern des Olymp eine junge Gottheit; die ältesten Zeugnisse stammen erst aus dem 6. Jh. v. Chr. Asklepios (lateinisch Aesculapius) war nach altem Glauben ein adliger Arzt der griechischen Heroenzeit, also des 2. Jahrtausends v. Chr. Seine Heimat war die Stadt Trikka (Trikkala) im nordgriechischen Thessalien. Aus dem Ahnenkult, der hier greifbar ist, erklärt sich die Vorstellung von Asklepios in Gestalt der Schlange, die dann in historischer Zeit sein Begleittier wurde: Die Schlange lebt teilweise in der Erde, ist also auch ein Tier – wörtlich genommen – der Unterwelt, also des Jenseits. Tote Heroen der Vorzeit stellte man sich manchmal als Schlangen im Grab vor.
Zu Zentren der medizinischen Praxis entwickelten sich seit dem 5. Jh. v. Chr. die Asklepiosheiligtümer, welche den Kult des Asklepios mit medizinischer Behandlung der Pilger verbanden. Die Hauptheiligtümer des Heilgottes Asklepios in Griechenland waren Athen, Korinth, Epidauros in der Argolis und Kos, eine Insel im Südosten der Ägäis vor der kleinasiatischen Küste. Das größte Asklepiosheiligtum im Osten lag in Pergamon in Nordwestkleinasien. Der Asklepioskult erfuhr weiteste Verbreitung.
Hygieia, die personifizierte Gesundheit, galt als Tochter des Asklepios (Abb. 3). Ihr Kennzeichen ist ebenfalls die Schlange, welche sie füttert oder hält. Meist lässt sie die Schlange aus einer Milchschale trinken. Die Gestalt der Hygieia erscheint noch später als Asklepios in der antiken Götterwelt und Bildvorstellung. In römischer Zeit wurde Hygieia als Hygia weiter verehrt, ihren Platz in der politischen Welt nahm jedoch ihr römisches Pendant Salus ein, ebenfalls die Person gewordene Gesundheit.
Die Griechen verbanden einen ihrer großen Götter, Apollon, sowohl mit Verderben wie mit Heilung. Apollon sendet zugleich die Pest und beendet sie. Homers Ilias beginnt mit Apollon als gnadenlosem Bogenschützen mit Pestpfeilen, der das griechische Heer heimsucht. Zugleich ist Apollon der Heilgott, der Apollo Medicus der Römer, und galt als der Vater des Asklepios.
Das moderne Arztzeichen ist der Äskulapstab, das Symbol mit der sich um den Stab ringelnden Schlange. Noch häufiger begegnet dem modernen Passanten das Zeichen der Apotheken, die Schlange, die aus einer Schale trinkt. Durch die beiden Symbole des Äskulapstabes als Arztzeichen und der Hygieiaschlange als Apothekenzeichen sind die beiden Heilgötter des Altertums und damit auch die beiden Geschlechter noch heute repräsentiert.
Antike Praxisschilder scheint es nicht gegeben zu haben. Wenn überhaupt, dann hätte man im Altertum freilich den Schröpfkopf gewählt. Dieses Instrument erscheint oft als Beizeichen der Ärzteschaft auf Reliefdarstellungen und Malereien. Mit der Medizingeschichte verbundene Plätze wie die Insel Kos in der Ägäis, die Heimat des Hippokrates und wie Epidauros auf der Peloponnes, der zentrale Ort der Asklepiosverehrung, wählten den Schröpfkopf als Münzzeichen.
Abb. 3 Arzneikästchendeckel. Aesculapius und Hygieia mit ihren Schlangen. Aus Santa Valeria, Sitten, Wallis/Schweiz. Elfenbein. H. 12,4 cm. Um 400 n. Chr. Sitten (Sion), Kantonales Museum MV 153.
Homers kurze, beiläufige Erwähnung von Ärzten als Beruf ist die literarische Bestätigung eines archäologischen Fundes. In einer Grabkammer des Palamidi-Pronoia-Friedhofes von Nauplion in der Argolis (Griechenland) lagen elf Bronzeinstrumente, darunter eine Pinzette und eine lange, schmale Zange. Damit sind schon für das 15. Jh. v. Chr. metallene chirurgische Geräte aktenkundig. Archäologisch fassbare Denkmäler entstanden dann erst wieder im Laufe des 6. und im frühen 5. Jh. v. Chr., in der wegweisenden historischen Epoche der Kriege zwischen Persern und Griechen. Von nun an begegnet man dem Arzt in ganz unterschiedlichen Darstellungsformen, auf bildlich verzierten Grabsteinen, auf Votivobjekten, auf Darstellungen der dekorierten Keramik, als Statue und in Grabinventaren medizinischen Charakters. In der Welt der Kunst war der griechische Arzt ein eigenes Thema.
Der sitzende Mann eines eindrucksvollen Grabreliefs im Antikenmuseum Basel war Arzt, was die beiden Schröpfköpfe oben an der Wand des Hintergrundes verraten. Das Werk, dessen genaue Herkunft man nicht kennt, entstand vermutlich in der Ägäis in den Jahren um 480 v. Chr. Abgesehen von den Schröpfköpfen, die auf der imaginären Rückwand hängend abgebildet sind, gab einst vermutlich eine aufgemalte Inschrift den Beruf des Toten an. Der stattliche Grabstein verrät Wohlstand des Toten und seiner Erben.
Eine andere Kunstform waren Weihegaben an Gottheiten, Votive, welche Motive und Darstellungen der Gottheit, aber auch auf den Weihenden zurückgehende Darstellungen zeigen konnten. Eine solche Weihung an eine nicht genannte Gottheit ist eine 27cm große, runde Marmorscheibe, vermutlich aus Athen, und in die Jahre um 500 v. Chr. gehörend. Die aufgemalte, inzwischen recht verblasste Darstellung zeigt einen auf einem Stuhl sitzenden und nach rechts blickenden bärtigen Mann. Die Inschrift verrät den Beruf:
Dies ist ein Denkmal für die Weisheit des Aineios, des ausgezeichneten Arztes.
In den Jahren des dramatischen Perserkrieges um 480 v. Chr. entstand in Athen ein kleines bemaltes Keramikgefäß, das eine Arztpraxis zeigt (Abb. 3): Der Arzt in der Mitte lässt einen Patienten zur Ader; der Patient steht über dem Blutbecken. Der sitzende ältere Mann rechts davon wurde bereits behandelt; СКАЧАТЬ