Malefizkrott. Christine Lehmann
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Название: Malefizkrott

Автор: Christine Lehmann

Издательство: Автор

Жанр: Триллеры

Серия:

isbn: 9783867549509

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      Ich hinkte wie üblich hinterher und verstand nichts. »Was hat das Buch denn aber hier im Laden zu suchen gehabt?«

      Richard blickte mich über die Brille hinweg an.

      »Ich meine, Flugblätter heißen Flugblätter, weil sie überall umherfliegen. Und die Flugblätter der Kommune 1, die brauchte man doch nicht in einem Buch aus dem Vormärz zu verstecken und dann hier zu deponieren.«

      »Wenn Sie politisch naive Studenten wie mich erreichen sollten, dann schon.«

      Ich musste lachen. »Und weil Thalheim dein rationales Immunsystem geschwächt hat, konnten die Kommunardentexte dich ebenfalls infizieren. Völker, hört die Signale, auf zum letzten Gefecht!«

      »Bis dahin fließt noch viel Wasser den Nesenbach runter«, bemerkte der Mann mit dem Knebelbart.

      Durs Ursprung schlitzte die blauen Augen. »Herr … äh …«

      »Weber, Richard Weber.«

      »Herr Weber. Kann es sein, dass ich Sie kenne?«

      Richard hielt dem Blick des Alten stand. »Das glaube ich kaum.«

      »Warum haben Sie das Buch nun zurückgebracht?«

      »Ich wollte für unbestimmte Zeit nach Argentinien gehen.3 Ein neuer Lebensabschnitt begann, und«, Richard lächelte schief, »über Thalheim war ich hinweg. Doch wegwerfen kann ich Bücher bis heute nicht. Ich finde, sie passen nicht in die Mülltonne zwischen Kartoffelschalen und Milchtüten. Das kann man dem schäbigsten Buch nicht antun. Und Papiertonnen gab es damals noch nicht …«

      »Und das war …«

      »Kurz vor Weihnachten 1978.«

      »Im Deutschen Herbst«, bemerkte Durs. »Schleyer, die Landshut …«

      »Nicht zu vergessen der Mord an Baader, Raspe und Ensslin in Stammheim«, ergänzte sein Sohn hinter der Theke.

      »Für Fremdeinwirkung gab es nie Beweise«, erwiderte Richard.

      Der Knebelbart lachte meckernd. »Das kennt man ja!« Dabei war er eigentlich zu jung für die RAF.

      »Ich weiß nicht, was genau Sie kennen«, sagte Richard mit Untergrundschärfe. »Aber die Toten sind zweimal obduziert und die Todesumstände von einem halben Dutzend Gutachtern der Europäischen Kommission untersucht worden. Hinweise für Fremdeinwirkung haben sich nie gefunden. Baader kann sich den Genickschuss selbst beigebracht haben. Das Einzige, was man uns, also dem Staat, vorwerfen kann, ist, dass man womöglich von den Waffen und Selbstmordabsichten der Gefangenen wusste und sie gewähren ließ, um sie loszuwerden.«

      Ursprung juniors Blick hatte etwas Unbelehrbares.

      »Ich sehe, Sie wissen da was«, bemerkte der Senior. »Sind Sie Richter?«

      Richard senkte den Blick. »Nein.«

      Erwartungsvoll schauten wir den kleinen eleganten Mann mit der Statur eines Ringers an, der ein Buch in den Händen hielt und reglos den inneren Kämpfen seiner Jugend nachspürte. Aber er sagte nichts mehr.

      »Und dann hat es wieder dreißig Jahre hier gelegen, das Buch«, bemerkte ich. »Und niemand, überhaupt niemand hat sich jemals dafür interessiert.«

      »Man hätte den Saustall schon lange ausmisten müssen!«, meckerte der Knebelbart.

      Der Alte warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Dann hätte Herr Weber uns aber niemals diese Geschichte erzählen können.«

      Plötzlich erkannte ich das Geheimnis von Durs Ursprungs Laden. Hier begegnete man sich selbst und offenbarte die intimsten Geheimnisse seines Lebens. Es war sein Lächeln, das einen dazu zwang. Als ob man den Tausenden hinter Buchrücken schweigenden Geschichten seine eigene hinzufügen müsste, eine möglichst merkwürdige, eine kuriose Geschichte, mit der man sich zum Teil der Legende dieses Ladens machte.

      »Übrigens«, sagte Richard mit untergründigem Lächeln, »ist das Buch so selten, dass ich mich gefragt habe …«

      Das Bimmeln der Türglocke unterbrach ihn.

      Mit Lärm und Wichtigkeit brachen drei Menschen in die Buchhandlung ein, zwei Männer und ein Mädchen. Am dicken schwarzen Haar erkannte ich die Autorin vom Plakat. Lola Schrader war groß und büffelhüftig und sah niemanden, schon deshalb nicht, weil schwarze kinnkurze Haare ihr von beiden Seiten über die Schläfen und Wangen fielen. Sie folgte einem Mann von filigraner Statur, der mit lauter Lehrerstimme »Guten Abend!« rief und auf Durs Ursprung zusteuerte, der das Lächeln auf sein Gesicht zurückzurrte. Die Tür machte ein junger Mann im hellgrauen Anzug mit Schlips zu, der beseligt lächelte.

      »Michel Schrader ist mein Name«, erklärte der Filigrane und wandte sich nach seinem Gefolge um. »Und das ist Julius Hezel vom Verlag Yggdrasil …«

      »Wir haben telefoniert«, sagte Julius strahlend und reichte seine Hand an der Autorin vorbei zu einem kräftigen Händedruck zuerst dem Alten, dann dem Jungen mit dem Knebelbart hinter der Kassentheke, auf der inzwischen zwanzig Exemplare des callgirlroten Taschenbuchs lagen.

      »Ruben Ursprung.« Er streckte die Hand über den Tisch. »Wie Jakobs Erstgeborener. Woran man erkennt, dass mein Vater ursprünglich zwölf Söhne haben wollte. Hat aber nur zu einem gereicht.« Er lachte. Sonst niemand.

      »Und«, nahm Michel Schrader wieder das Wort, »das ist Lola, meine Tochter, Lola Schrader. Aber das haben Sie sich vermutlich schon gedacht.« Es fehlte nicht viel, und er hätte seine Tochter aufgefordert, den Buchhändlern die Hand zu geben. Doch sie erinnerte sich von selbst.

      »Guten Abend«, sagte sie mit überraschend reifer Stimme.

      Ein kleiner Schauer kringelte sich zwischen meinen Schulterblättern.

      Durs Ursprungs Blick lagerte sich auf dem jungen Mädchen ab. Sein Lächeln wurde genießerisch. Sein Sohn starrte ihm hasserfüllt in den Nacken.

      »Und wo … äh … findet das statt?«, fragte Michel Schrader, sich umschauend. Auch einer, der noch nie hier gewesen war.

      Ruben kam hinter der Theke hervor. Der Blick der Autorin taxierte mich blitzkurz, bevor sie die Treppe betrat. Ich kam mir plötzlich durchschaut vor in meiner Montur. Du also auch! Nein, ich nicht! Lola und ich hatten eines nicht gemeinsam: den postpubertären Protest gegen die bürgerliche Bildungskultur. Sie verkörperte alles, was wir immer abgelehnt hatten. Fragen Sie mich nicht, wer wir sind. Unterschichtkinder sagen nicht wir und wollen nicht sein wie die, auch wenn sie die glühend um das beneiden, was sie haben: weiße Kniestrümpfe, Mofas, spendable Verwandte.

      Ich hatte das dringende Bedürfnis zu gehen. Hätte ich es mal getan. So griff ich nur nach meinen Zigaretten. Im Augenwinkel sah ich, wie Richard bedächtig die zwei obersten Bücher eines Stapels anhob und Schloss und Fabrik samt Flugblättern der Kommune 1 darunterschob.

      Es nieselte. Die Geräusche einer milden Geschäftigkeit hallten in den Gassen des Gerberviertels, Autoreifen auf Kopfsteinpflaster, Stimmen von Frauen, die aus einem Laden traten, Gelächter. Ein Autofahrer versuchte krachend einzuparken.

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