Denk ich an Bagdad in der Nacht. Walter Laufenberg
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Название: Denk ich an Bagdad in der Nacht

Автор: Walter Laufenberg

Издательство: Автор

Жанр: Книги о Путешествиях

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isbn: 9783937881973

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СКАЧАТЬ Variante der Großmannssucht und setze mich zum Notieren in den Wagen. Da bin ich ungestört. Denn selbst wenn er im Schielen geübt sein sollte, was weiß ich, was alles zur Ausbildung von Geheimdienstlern gehört, jedenfalls wird er meine schwer entzifferbare Handschrift nicht lesen können, kann ich ja selbst kaum.

      Eines jedenfalls ist sicher: Seinen Job als Fahrer einer Staatskarosse, der ihm soviel Freude gemacht hat, den wird er verloren haben. Ob auch sein Leben? Wer weiß das. Oder ist er einer von denen geworden, die selbst zur Waffe gegriffen haben? Oder hat er sich den Sprengstoffgürtel umgebunden?

      Gebacken und gebacken ist nicht dasselbe

      DIE FRÖHLICHEN KORANSCHÜLER

      Die ehemalige Kalifenburg nahe Samarra führt mir den fundamentalen Unterschied von in der Sonne getrocknetem und im Ziegelofen gebackenem Baumaterial vor. Die Sonnenziegel, aus denen die Randbebauung der Palastanlage besteht, zeigen sich in allen Stadien des Zerfalls, in erschreckender Eile auf dem Weg zurück zum Wüstensand. Offensichtlich unaufhaltsam. Die Burg selbst dagegen ist recht gut erhalten, von den Zerstörungen abgesehen, mit denen der Mensch dem Zahn der Zeit tatkräftig geholfen hat.

      Ist es denn nötig, dass mir ausgerechnet an diesem Ort die zweierlei Backerzeugnisse in Menschengestalt vorgeführt werden? Nein, nicht Männlein und Weiblein. Frauen sind hier nicht zu sehen. Ich meine die Gläubigen und die Ungläubigen. Ein Reisebus liefert dem nicht mehr vorhandenen Kalifen von vorgestern eine Ladung junger Besucher, wie bestellt, gut verpackt frei Haus in den zur Ruine gewordenen Palast. An die dreißig Männer, einige in westlicher Kleidung, die meisten aber in traditionell arabischer. Touristisch aufgeschlossen für den braunen Bauwerksrest, genau wie wir, kommen sie gleich mit uns ins Gespräch. Fragen auf Englisch, wo wir herkommen. Die in aller Welt übliche Eröffnungsfrage. Dann ein erfreutes Oh für unsere Antwort in Englisch: From Germany. Und wir erfahren, dass sie Koranschüler sind, in der Ausbildung zu muslimischen Predigern. Also im Unterschied zu uns im Ziegelofen gebrannt. Wir modernen Heiden mit unserer nur noch rudimentär christlich verbrämten Alltagsmoral stehen staunend da und sehen diese jungen Muslime an, als fürchteten wir den Wind, der uns Sonnengetrocknete beschleunigt zerfallen lässt.

      Schließlich ein umständlich arrangiertes Gruppenfoto. Die Koranschüler zeigen keinerlei Scheu, sich unseren Kameras auszuliefern und sich im Bild von uns in den Westen verschleppen zu lassen. Da hat sich also auch bei den im Ofen Gebrannten schon was getan. Ein begeistertes Lachen hin- und hergereicht. Auch kräftiges Händeschütteln. Und schließlich viel Good-Bye. Ich habe jedem einzelnen noch einen schönen Tag gewünscht. Mehr nicht, denn mehr als diesen Tag habe ich meiner Wunschkraft nicht zugetraut. Wusste ich doch nicht, ob nicht schon am nächsten Tag Krieg ist.

      Wir kennen uns nicht, wissen nicht einmal unsere Namen. Doch haben wir uns sehr herzlich als Freunde getrennt. Die gebackenen Ziegel zurück in den Bus. Die in der Sonne getrockneten zurück in die drei Regierungsfahrzeuge. Da war ich dann mit der Frage beschäftigt: Waren diese Iraker nun schiitische Koranschüler oder sunnitische? Schließlich konnte man sie ja nicht einfach danach fragen. Alles, was ich über die beiden Richtungen des Islam gelesen hatte, musste ich mir neu klarmachen. Erstmals am lebenden Beispiel studiert. Die Schiiten bilden mit rund sechzig Prozent die Mehrheit im Irak. Und Samarra, in dessen Umgebung wir sind, beherbergt eines ihrer bedeutendsten Heiligtümer, nämlich die Moschee mit der goldenen Kuppel. Die unser nächstes Besichtigungsziel sein wird. Doch auch der Anblick der Moschee bringt mich dann der Antwort auf meine Frage nicht näher. Ich rufe mir ins Gedächtnis: Die Schiiten sind die strenggläubigeren Muslime, im Unterschied zu den schon liberaleren Sunniten. Und ich kombiniere kühn: Kaum anzunehmen, dass die Schiiten ihren Koranschülern erlauben würden, auch in westlicher Kleidung aufzutreten. Die Sunniten hingegen, die nur etwa dreißig Prozent der Bevölkerung stellen, sind darin lockerer. Dass es sich um sunnitische Koranschüler handelte, dafür spricht auch, dass sie in diesem Landstrich, also im Kernbereich der Schiiten, sich nicht so gut auskennen und hierher als Touristen kommen, die eine ehemalige Kalifenburg besichtigen wollen. Da sie die Religion der herrschenden Schicht im Irak vertreten, auch Saddam Hussein ist Sunnit, können sie es sich sogar erlauben, an diesem Tag, dem Neujahrstag, mitten in schiitischem Gebiet in legerer Kleidung aufzutreten. Also sind meine neuen Freunde Sunniten, resümiere ich.

      Bleibt die offene Frage, ob dieses lockere Auftreten der Koranschüler bloß eine selbstsichere Lässigkeit war oder als ein Schlag ins Gesicht der konkurrierenden größeren Religionsgemeinschaft der Strengen empfunden werden sollte. Streiten sich diese beiden Versionen des Islam doch seit Jahrhunderten mit Inbrunst und Brutalität. Die Sunniten sehen sich in der Nachfolge des Propheten Mohammed, dagegen ist für die Schiiten allein der Vetter des Propheten Mohammed namens Ali Ibn Abi Talib mit seiner direkten Nachkommenschaft der legitime Führer. Nicht einmal die Idee des Panislamismus, der alle Muslime vereinigen wollte, Sunniten wie Schiiten, um sie im Kampf gegen die westlichen Kolonialmächte zu stärken, hat den Gegensatz beseitigen können.

      Und dieser Streit betrifft nicht nur den Irak, in dem der Diktator Saddam Hussein mit harter Hand für Ruhe an der Religionsfront sorgt. Der Irak liegt leider im Schussfeld von Eiferern der einen wie der anderen islamischen Glaubensvariante. Im Iran, dem östlichen Nachbarstaat des Irak, glaubt man fanatisch schiitisch, in dem südlichen Nachbarstaat Saudi-Arabien glaubt man genauso fanatisch sunnitisch. Bleibt nur zu hoffen, dass es in Washington jemand gegeben hat, der den amerikanischen Präsidenten über diese doppelte Sprengfalle aufgeklärt hat.

      Als ich wieder in den Wagen mit dem kleinen, lachenden Fahrer einstieg, überlegte ich: Waren nicht auch an der ehemaligen Kalifenburg selbst zweierlei gebrannte Ziegel? Hellere und dunklere? Oder waren die dunkler erscheinenden Partien des Gemäuers bloß Stellen, an denen der hellbraune Putz abgefallen war? Ich kann mich nicht so genau daran erinnern. Die Ablenkung durch die freundlichen Koranschüler, das Radebrechen und Fotografieren und Händeschütteln. Was bedeutete einem da noch das alte Gemäuer. Aber wenn ich das nächste Mal zu der Kalifenburg komme, werde ich genauer hinschauen.

      Die Koranschüler sind längst keine Schüler mehr. Jetzt lehren sie den Koran, diese Version oder jene Version. Das berührt mich nicht, wohl aber die Frage, wie viele von ihnen mit dem Leben davongekommen sind. Ziemlich sicher, dass das Gruppenfoto inzwischen Lücken aufweist.

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