Название: Kein Wissen ohne Glaube
Автор: Werner Kinnebrock
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783532600122
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Das Kant’sche „Ding an sich“
„Denn es ist gewiss kein den Sinnen bekannter Gegenstand der Natur, von dem man sagen könnte, man habe ihn durch Beobachtung oder Vernunft jemals erschöpft, wenn es auch ein Wassertropfen, ein Sandkorn oder etwas noch Einfacheres wäre; so unermesslich ist die Mannigfaltigkeit desjenigen, was die Natur in ihren geringsten Teilen einem so eingeschränkten Verstande, wie der menschliche ist, zur Auflösung darbietet“, konstatierte vor über zweihundert Jahren der Philosoph Immanuel Kant und beschrieb damit die nicht überschreitbaren Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit. Dahinter erst liege das „Ding an sich“, wie er es nannte. Kant zufolge können wir diese Grenzen deshalb nicht transzendieren, weil wir subjektive Erkenntnisformen unzulässigerweise auf das zu erkennende Objekt übertragen. Durch diese subjektive Beeinflussung des Erkennenden aber werde, so der Philosoph, objektives Erkennen unmöglich. Interessanterweise deckt sich diese Auffassung mit dem, was später die Quantentheorie lehrte: die Subjektivität im Messvorgang, der ja ebenfalls eine Art des Erkennens ist.
2. Verstandesdenken oder warum wir eine übergeordnete Wirklichkeit nicht begreifen können
Unsere wissenschaftliche Erkenntnis hat kaum die Oberfläche ihrer komplexen Ganzheit angekratzt, unser Wissen steht zu unserem Unwissen in einer Relation, deren Ausdruck astronomische Ziffern erfordern würde.
Konrad Lorenz
Dass die übergeordnete Wirklichkeit sich unserem Begreifen entzieht, lässt Wissenschaftler aller Disziplinen nicht ruhen, und man hofft darauf, eines Tages den Stein des Weisen zu finden.
Aber wird die Wissenschaft trotz aller Fortschritte je in der Lage sein, alle Fragen zu beantworten? Oder gibt es Grenzen, die wir grundsätzlich und prinzipiell nicht überschreiten können?
Da sind zunächst die rational bedingten Grenzen, die aus unserer raumzeitlichen Wahrnehmung resultieren und außerräumliche oder außerzeitliche Erkenntnisse nicht zulassen. Hinzu kommen Begrenztheiten unseres Gehirns, denn dieses produziert reduzierte Bilder und damit auch reduzierte Wahrheiten. Unser neuronal fundiertes Denkvermögen erlaubt es nur, in bestimmten, vorgegebenen Mustern die Welt zu begreifen. Diese Muster sind wie Werkzeuge. Mit einem Werkzeug kann man viele Arbeitsprozesse erledigen, aber vermutlich nicht alle.
Raumzeitliche und andere Begrenzungen
Die Grundelemente unsers Denkens sind Erfahrungen und Bilder, die komplexe Zusammenhänge in reduzierter Form zeigen und uns erst befähigen, komplizierte Wahrheiten einzusehen. Selbst bei mathematischen Formeln ist zum Verständnis ein Vorstellungsvermögen vorausgesetzt, das sich letztlich an räumlichen Bildern orientiert.
Bilder wiederum sind stets an Raum und Zeit gebunden. Ohne das sind sie nicht denkbar, wie bereits Immanuel Kant erkannte, als er Raum und Zeit als A-priori-Voraussetzungen für Denkprozesse definierte.
Gibt es überhaupt eine Welt ohne Zeit und Raum?
Wir wissen, dass in den schwarzen Löchern des Weltraums die Zeit steht, also nicht existiert. Auch Photonen, die Elementarteilchen des Lichts, rasen ohne Zeit durch den Raum. Und wäre eine Welt ohne Raum und Zeit das, was die Religionen Ewigkeit nennen? Wir wissen es nicht. Und selbst wenn es so wäre, könnten wir diese Form des Seins nicht in Bilder fassen und damit nicht begreifen.
Wenn Raum und Zeit genauso wie Energie und Materie die formbildenden Elemente des Universums und damit unseres Denkens sind, können wir dieses raumzeitliche Gerüst nicht verlassen. Nicht nur das: Da die übergeordnete Wirklichkeit nicht an Raum und Zeit gebunden ist, ist sie für uns rational auch nicht einsehbar und damit fotografisch nicht beschreibbar.
Der zweite Grund für die Nichterkennbarkeit übergeordneter Wahrheiten hat mit unserem Gehirn zu tun, das schon evolutionsbedingt nicht angelegt ist als Instrument zur Welterkenntnis. Biologisch betrachtet, arbeitet es wie ein Tiergehirn, wenngleich wesentlich komplexer. Ein Beispiel: Im Gegensatz zum Menschen, der problemlos das Schachspielen erlernt, kann man das einem Hund nie und nimmer beibringen, weil es seine neuronalen Fähigkeiten übersteigt. Und da unser Gehirn zumindest vom Prinzip her ähnlich konzipiert ist, stellt sich natürlich die Frage, ob auch für uns neuronal bedingte kognitive Grenzen existieren.
Eine nähere Betrachtung, wie das überhaupt funktioniert mit dem Aufnehmen der uns umgebenden Wirklichkeit, schafft hier Klarheit.
Wir nehmen die Dinge um uns herum mittels sensorischer Signale auf, die wiederum neuronale Reize im Gehirn auslösen. Die Gesamtheit aller Reize formt dann ein Bild dessen, was wir aufgenommen haben, doch ist das noch keine Realität. Diese wird über energetische Reize auf unser Gehirn abgebildet, und von den gespeicherten Bildern schließen wir am Ende auf die Realität.
Über die Bilder hinaus speichern wir zeitabhängige Vorgänge, die wie Filmsequenzen oder Filmausschnitte wirken – sie sind das, was wir als Erfahrungen bezeichnen, und zusammen mit den Bildern stellen sie den Urgrund unseres Verständnisses von der Welt dar. Allerdings sind wir stets versucht, die Realität mit diesen neuronal gespeicherten Bildern und Erfahrungen zu identifizieren, was ein Trugschluss ist. Wir verwechseln sie bloß damit, denn die Realität geht weit über unser Verständnis hinaus.
Deshalb ist es sinnlos, wenn wir die Wahrheit auf unsere Verständnisebene herunterzubrechen versuchen und das, was wir dann verstehen, als absolute Wahrheit betrachten.
Kant hat sich in seiner Kritik der reinen Vernunft ebenfalls mit dieser Problematik beschäftigt und gelangte zu der Erkenntnis, dass man sich dem „Ding an sich“ zwar mithilfe der Sinnesorgane und der Vernunft annähern könne, es jedoch nie voll zu erfassen vermöge.
Uexkülls Seifenblase
Die neuronale Begrenztheit unserer Erkenntnisfähigkeit hat aus biologischer Sicht als Erster um 1900 der baltische Baron Jakob Johann von Uexküll beschrieben. Auch er stellte fest, dass uns in unserer Wahrnehmung keine objektive, sondern eine subjektive Welt umgibt. Martin Heidegger nannte Uexküll, der zweimal für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, „einen der scharfsinnigsten Biologen unserer Zeit“.
Aus biologischer Sicht versuchte er zu begründen, dass wir auf unsere Sinneserfahrungen angewiesen sind und daher nur ein Modell der Welt in unserem Kopf haben. In seiner Schrift Umwelt und Innenwelt der Tiere heißt es, dass sich jedes Tier aus seinen sensorischen Fähigkeiten heraus, die ihm aufgrund seiner Genetik gegeben sind, eine Umwelt schafft, die ausschließlich auf seine eigenen Bedürfnisse zugeschnitten ist und nicht mehr als einen kleinen Ausschnitt der Gesamtrealität darstellt.
Bekannt wurde sein Beispiel mit der Zecke:
Sie hängt regungslos an der Spitze eines Astes in einer Waldlichtung. Ihr ist durch ihre Lage die Möglichkeit gegeben, auf ein vorbeilaufendes Säugetier zu fallen. Aus der übergroßen Welt, die die Zecke umgibt, leuchten drei Reize wie Lichtsignale aus dem Dunkel hervor und dienen der Zecke als Wegweiser, die sie mit Sicherheit zum Ziel führen.
Das erste Signal ist der Geruch von Buttersäure, den alle Säugetiere durch den Schweiß abgeben – sobald die Zecke ihn wahrnimmt, lässt sie sich fallen. Das zweite Signal ist der Tastsinn, СКАЧАТЬ