Mein langer Weg von Schlesien nach Gotha 1933–1950. Heinz Scholz
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Название: Mein langer Weg von Schlesien nach Gotha 1933–1950

Автор: Heinz Scholz

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783867775625

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СКАЧАТЬ musst du sie dir verdienen. Wir können sie nicht kaufen!“ Was will man da machen? Das gebrauchte Fahrrad für mich hatte Vater mit 18 Mark bezahlt. Also wenn ich nun in der Dunkelheit nicht mit Karbidlampe fahren wollte, musste ich eine Woche lang hart arbeiten. Dynamo und Lampe mit Kabel kosteten 7,50 Mark bei unserem Hoffmann Fritz.

      An dieser Stelle muss ich endlich erklären, dass es bei uns in der schlesischen Umgangssprache üblich war, den Nachnamen vor den Vornamen zu stellen. Ich war also für die anderen, wenn sie von mir redeten, der Scholz Heinz oder der Bahner-Scholz-Heinz, und Hoffmann Fritz, das war unser Fahrradmechaniker Fritz Hoffmann, der im Hinterdorf nicht weit von uns eine Werkstatt und einen Verkaufsladen eingerichtet hatte. Eigentlich war er ein Universalmechaniker. Er reparierte und verkaufte nicht nur Fahrräder, auch Grammophone und zunehmend Radios und dann noch Nähmaschinen. Natürlich lötete er auch Töpfe, legte eine „elektrische Leitung“ oder reparierte irgend einen anderen defekten Mechanismus. Und – er hatte eine hübsche, blondzöpfige Tochter! Aber darauf komme ich noch zurück.

      So als Dreizehnjähriger kannte ich so gut wie alle Leute im Dorf. Ich nahm fast jeden zur Kenntnis, wollte auch wissen, wer ist wer. Und bei 480 Einwohnern ist das kein großes Problem, wenn man im Dorf unterwegs ist, sich für andere Leute interessiert und auch hinhört, was da oder dort über diesen oder jenen erzählt wird. Manchmal erfuhr man auch durch direkte Begegnungen, durch bekannt gewordene auffällige Verhaltensweisen oder Leistungen Näheres über eine bestimmte Person, so dass man sich dann aus seiner kindlich jungenhaften Perspektive ein eigenes Bild machte. So lernten wir auch unter den verheirateten Männern einige als „Schürzenjäger“ einzuschätzen, oder wir hörten von Frauen, die es „sehr schwer hätten“ und natürlich auch von schlimmen Krankheiten, die verhältnismäßig junge Frauen oder Männer nach „schwerem Siechtum hinwegrafften“. – Einmal im Sommer hatte mich Vater in ein Haus im Vorderdorf geschickt, um dem darin wohnenden dorfbekannten Manne eine bestimmte Nachricht auszurichten. Da ich barfuß und ungehört durch offene Türen Hausflur und Wohnung erreichte, stand ich ganz plötzlich in der Wohnküche, zuckte aber ganz schnell zurück, dieweil der Hausherr eben in diesem Augenblicke am Sofa auf für mich eigenartige Weise mit seiner Frau hantierte und umging. „Das hätte ich von dem nicht gedacht!“ So meine gedankliche Reaktion aus der Sicht eines unwissenden, unaufgeklärten Jungen. Da geschah auch manches im Dorf oder in Familien, das uns, wenn wir zusammenhanglos davon erfuhren, zu einer recht bedenklichen oder zweifelhaften moralischen Wertung verleitete.

      Ich denke hier an die spektakuläre Geschichte mit der Opitz Marie, aus der Erwachsenensicht: ein klassischer Fall von Kindestötung. Nun, diese Marie, eine sitzengebliebene alte Jungfer zwischen 35 und 40, hatte ihr heimlich zur Welt gebrachtes Kind im sumpfigen „Errlicht“ verscharrt. Das wurde nun auf dem Schulweg mit sensationellen Enthüllungen weitergesagt und phantasievoll bis ins Kleinste durchgesprochen. Ein richtiges Kriminalstück, an dessen Erklärung wir spekulativ mitarbeiteten. In der Scheune habe sie am Vortage noch mit Flegeln das Korn mitgedroschen! Keiner habe etwas gemerkt, keiner hat den dicken Bauch gesehen! Wie das? Darüber mussten wir nachdenken! Und wer hat sie geschwängert? Das war ja die wichtigste Frage! Und warum hat sie alles „mitgemacht“? Dass sie das Kind aus Scham verschwiegen hatte – das glaubten wir zu verstehen, denn die ganze Sache war ja wirklich „schämenswert“! – Bald wurde auch unter vorgehaltener Hand der „Schürzenjäger“ benannt. Und die Marie, sie war längst „abgeholt“ worden, aber von dem Gerichtsprozeß war nichts Genaues zu erfahren. Nur dass sie dann nach Plagwitz in die „Verrücktenanstalt“ eingewiesen worden sei, das fanden wir so ungefähr in Ordnung. „Das arme Luder“, so meine Mutter, die viel besser als wir Jungen einzuschätzen verstand, was da vorgefallen war.

      Bald wurden wir wieder abgelenkt durch andere Vorkommnisse. Da waren doch noch einmal die Zigeuner ins Dorf gekommen und hatten auch am Errlicht mit ihrem Planwagen ihr Lager aufgeschlagen, und deren Frauen zogen bettelnd von Haus zu Haus. Oder das Manöver hatte wieder mal unser Dorf berührt, was uns sofort in Bewegung setzte, Kontakte zu den Soldaten zu knüpfen und Neues über Waffentechnik und Kampftaktik zu erkunden. Vielleicht war auch das „Lautsprecherauto“ von der Puddingfirma „Dr. Oetker“ mit lauter Musik durchs Dorf gefahren, um uns alle einzuladen zu einer Pudding-Filmvorführung im Saal von Hübners Gasthaus. Oder der Theaterwagen einer Puppenbühne war eingetroffen und kündigte lautstark die Aufführung eines Märchens am folgenden Tag an. Auch das „Kornfrank-Auto“ brachte Abwechslung; in einer Werbeveranstaltung verteilten die Reklameleute an uns Jungen leicht auffaltbare Pappflieger, die wir mit einem Spanngummi zum Gleitflug in die Luft schießen konnten. Alles dafür, dass unsere Mutter künftig nur noch von „Kathreiner“ und „Kornfrank“ Malzkaffe kaufen sollte, denn die Zeit, wo man die Körner selbst in einer drehbaren Trommel über einem Feuer zu Malzkaffee röstete, war mittlerweile auch im Dorf zu Ende gegangen. Nun kamen solche Spektakel nicht zuhauf über uns. Umso mehr zogen sie uns an als willkommene Abwechslungen … .

      Darüber hinaus ergaben sich für uns Kinder auch besondere Höhepunkte durch Feste oder Veranstaltungen, die dem jahreszeitlichen oder dörflichen Brauchtum entsprachen, immer mehr jedoch von der „neuen Zeit“, von der „NS-Bewegung“, vereinnahmt wurden. Nur die Kirmes in der ersten Novemberwoche blieb immer noch das, was sie gewesen war, mehrtägig und mit großem Tanzfest für die Erwachsenen, wo wir höchstens mal durch die erleuchteten großen Saalfenster hineinschauen durften. Für uns war „der Bernern ihr Paschtisch“ das Wichtigste. An ihrem Verkaufsstand wurde gewürfelt, mit einem Einsatz von 5 oder 10 Pfennigen, um eine Tüte „Mehlweisen“ oder um eine Schokolade oder ähnliche begehrenswerte Süßigkeiten. Wer sicher gehen wollte oder höchstens 30 Pfennige von zu Hause mitbekam, musste genau überlegen, wie er seine Groschen anlegte. Wenn unsere Onkels oder Tanten aus Neuland zu unserer „Langvurbcher Kirms“ kamen, dann konnten wir mit deren Beigabe auf ein Kirmesgeld von 50 Pfennig kommen. Am spendabelsten war unser Großvater Albert Liebig. Zum „Blücherfest“ schenkte er jedem von uns, meinem Bruder und mir, sogar einen Fünfziger.

      Interessanter für mich war das „Schissen“ im Frühsommer, das jährliche Schützenfest, das von Jahr zu Jahr militärischer und eben auch schon hakenkreuzgeschmückt vonstatten ging. Auf dem Schießplatz das große Festzelt interessierte uns weniger. Da saßen die biertrinkenden Erwachsenen, vor allem die uniformierten Schützen, die sich über ihre guten Treffer freuten oder ihren Ärger wegen schlechter Ergebnisse mit einem deftigen Korn hinunterspülten. Vor dem langen Hohlweg zum Wald hin, war der Schießstand aufgebaut. Da standen wir, wenn Vater dran war oder der Hilger Bruno. Und weit hinten, aus dem Unterstand vor den Schießscheiben, reichte man nach jedem Schuss eine gut sichtbare Tafel hoch hinaus, die über die Entfernung (von vielleicht 80 m) die Zahl des getroffenen Ringes bekannt gab. Vater meinte ja auch, es sei gar nicht so verwunderlich, dass die wohlhabenden Bauern bzw. die spendabelsten Vereinsmitglieder stets besser schossen als die armen Luder im Dorf. Die „besten Schützen“ wurden zum Schützenkönig und zum Marschall ausgerufen, entsprechend feuchtfröhlich gefeiert und mit je einer großartig bemalten Scheibe geehrt, die Tage danach sichtbar für jedermann an einer Außenwand des „königlichen“ Wohngebäudes aufgehängt wurde.

      Und wir „jungen Schützen“ kamen auch auf unsere Kosten. Seitwärts und durch Absperrseile gesichert, war ein kleiner Schießstand mit Scheibe an einer 12 m entfernten Eiche eingerichtet. Hier wurde nur mit Bolzen geschossen. Man konnte das Luftgewehr auflegen beim Schießen. Das fand ich gut, denn so brachte ich es auf der 12-er-Scheibe mit 3 Schuss auf passable 30 Ringe. Irgendwann hatte ich auch einen der auf einem Tisch ausgestellten Preise zweiter Garnitur gewonnen. Neben der Schießscheibe, hinter einer hölzernen Schutzwand, verbarg sich der „Bolzenzieher“, wenn geschossen wurde. Diese Aufgabe übernahm ich gern. Ich musste nach dem Schuss den Bolzen mit einer Bolzenzange herausziehen und die Zahl des angeschossenen Ringes nach vorn laut und deutlich durchrufen. Mir war natürlich bewusst, dass nicht jeder, der wollte, als Bolzenzieher „genommen“ wurde! – Unter den Verkaufsbuden reizte mich die vom „Wehner-Flescher“ aus Kunzendorf am meisten. Weil hier unser Vater, wenn alles klappte oder wenn er gut geschossen hatte, für jeden von uns beiden ein „Viertel Warme“ für 20 Pf kaufte, mit Semmel und Senf. Hm, das schätzten wir mehr als die üblichen Süßigkeiten bei der СКАЧАТЬ