Название: Die Tage von Gezi
Автор: Martin Niessen
Издательство: Автор
Жанр: Короткие любовные романы
isbn: 9783957442017
isbn:
»Frau Professor, was sagen Sie denn dazu?«
Eine Studentin rief ihr hinterher, als sie den Hörsaal mit dem Laptop unter dem Arm verließ. Sie tat, als habe sie die Frage nicht gehört und ging schnellen Schrittes Richtung Mensa. Im Gang kam ihr ihre Kollegin Zübeida entgegen.
»Kathrin, hast du gehört, was gestern passiert ist?«
Kathrin nickte.
»Ja, und? Machst du mit?«
Zübeida wirkte ganz aufgeregt.
»Mitmachen? Wobei?«
Zübeida guckte sie etwas überrascht an.
»Na, protestieren. Im Park. Ein paar Kollegen gehen jetzt hin. Viele meiner Studenten sind schon da.«
Kathrin staunte. Zübeida, die wie sie in Kuzgungcuk wohnte, war Mitte fünfzig, hatte drei Militärputsche, die blutigen Unruhen in den Kurdengebieten und Hunderte niedergeknüppelte Demonstrationen in ihrem Land miterlebt und war dennoch Feuer und Flamme für den Widerstand von ein paar Baumschützern in einem kleinen Park? Was passierte hier?
»Ich überleg’s mir«, sagte Kathrin, wollte weitergehen, überlegte es sich dann – warum, wusste sie nicht wirklich – anders.
»Warte, ich komme mit.«
Draußen, vor dem Haupteingang des Unigebäudes, hatten sich bereits Dutzende Studenten versammelt, viele trugen Rucksäcke, an die Isomatten und Schlafsäcke geschnallt waren und zusammengerollte Stoffbahnen, offensichtlich Plakate, in den Händen, manche schwenkten türkische Flaggen. Zwischen ihnen erkannte Kathrin weitere Mitglieder des Lehrkörpers, die sich den Studenten offensichtlich anschlossen. Dann setzte sich der Zug in Bewegung zur Tramstation und Kathrin trieb einfach mit. Die Studenten wirkten aufgekratzt, die Stimmung war friedlich-fröhlich, einige starteten Sprechchöre:
»Parkımızı vermiyoruz. Gezi hepimiz.«
Wir geben unseren Park nicht her, Gezi gehört uns allen.
»Toll, dass Sie mitmachen.«
Kathrin drehte sich zu der Sprecherin um, die direkt hinter ihr auf dem Bahnsteig stand. Es war die Studentin, die sie bereits beim Verlassen des Hörsaals angesprochen hatte. Kathrin lächelte etwas unsicher. Dann rollte die Tram ein. In Kabataş stiegen sie um in die Füniküler, eine Tunnelseilbahn, die hoch zur Metrostation am Taksim-Platz führte. Vom Ausgang der Füniküler zum Eingang des Parks waren es vielleicht fünfzig Meter. Der Platz war, obwohl es noch Vormittag war, bereits ziemlich voll und von allen Seiten strömten kleine Gruppen zumeist junger Leute herbei und weiter Richtung Park. Viele schwenkten Fahnen, Kathrin erkannte die Logos verschiedener Gewerkschaften und kleinerer, zumeist linker Parteien. Auf selbst gemalten Plakaten und Bannern konnte sie »Stopp demolition of Gezi-Park!« lesen, oder »Occupy Gezi«. Unwillkürlich musste sie lächeln. Schon war das Ganze internationalisiert. Aber wie hatten die sich nur so schnell organisiert?
Dann sah sie die Mannschaftswagen der Polizei, die dort aufgefahren waren, wo – seit Taksim eine Großbaustelle war – die Busse des Flughafenshuttles hielten, am nordöstlichen Ende des Platzes, vor dem Atatürk Kulturzentrum, dessen Zukunft – Abriss oder Erhalt als Museum – ebenfalls heiß umstritten war. Es waren Fahrzeuge der Çevik Kuvvet Polis, einer Sondereinheit, die bei Versammlungen eingesetzt wurde und als besonders brutal verschrien war, mit vergitterten Fenstern und Rammblechen vor der Motorhaube. In deren Schatten hockten die Polizisten, ihre Schilde an die Wagen gelehnt, die Helme davor abgelegt. In der angrenzenden Seitenstraße meinte sie, einen Wasserwerfer auszumachen. Ihr Schritt wurde unwillkürlich langsamer, als sie noch immer in der Gruppe der Studenten und Kollegen die Stufen zum Park hinaufging. Der Zugang war oberhalb der Stufen mit Gittern der Polizei bis auf zwei kleine Durchlässe rechts und links abgesperrt. Dahinter standen, ebenfalls behelmt und mit Schilden und Schlagstöcken ausgerüstet, Polizisten der Zabita, der normalen Polizei des Bezirkes Beyoğlu. In einem vergitterten Geviert um die kleine Polizeistation des Parks, mehr eine Hütte als ein Gebäude, hockte eine ganze Hundertschaft im Schatten der Bäume. Sollte sie umkehren? Das könnte eine heiße Sache werden. In diesem Moment hakte die junge Studentin sie unter und zog Kathrin mit einem aufmunternden Lächeln in Richtung des linken Durchlasses. Als sie, noch immer am Arm der Studentin hängend, an den Absperrungen vorbei auf die offene Fläche in der Mitte des Parks trat, stand sie vor einer kleinen Zeltstadt. Dreißig, vierzig kleine Zelte in allen möglichen Farben standen am Rand, auf den Rasenflächen unter den Bäumen. Plakate waren zwischen die Bäume gespannt, mit Slogans, die sie die Studenten auf dem ganzen Weg hierhin bereits in Sprechchören hatte rufen hören. Im Schutz eines größeren, weißen Pavillonzeltes in der Mitte waren zwei Tische aufgestellt, auf denen ein Megaphon lag, dahinter standen ein paar Stühle. Zwei-, vielleicht dreihundert zumeist junge Menschen in ihren frühen Zwanzigern saßen in Gruppen davor zusammen, sangen zum Spiel von Gitarren und Darbukas, kleinen Trommeln, oder diskutierten rege. Dazwischen hockten oder standen auch einige Ältere, die Kathrin, wenn es nicht gerade Kollegen von der Uni waren, nicht kannte. Ihr Blick streifte über die Gesichter und blieb an dem eines gut aussehenden Mannes hängen, der um die dreißig sein musste. Der Mann schaute abwechselnd ernst und lächelte viel, dabei redete er unaufhörlich. Irgendwie kam ihr der Typ bekannt vor. Aber woher? Dann fiel es ihr ein. War das nicht Can Bonomo, der bekannte Sänger? Musste wohl so sein, schließlich saß eine ganze Traube junger Frauen um ihn herum und hing an seinen Lippen. Promis waren also auch hier. Was er sagte, konnte sie über die Entfernung allerdings nicht verstehen. Die ganze Atmosphäre hatte etwas von einem spontanen Volksfest. Ihr gefiel diese bunte, fröhliche Versammlung, ein Gefühl des Unwohlseins aber blieb.
»Hallo Kathrin, was machst du denn hier?«
Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Neben ihr stand, sie hatte СКАЧАТЬ