Название: Das Attentat auf die Berliner U-Bahn
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955522124
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»Wir müssen hier in den Rattenlöchern vegetieren, und Sie kommen her und …« Die richtigen Worte fehlten ihm an dieser Stelle, und er hoffte, dass sie ihn und einige begabte Genossen im neuen Arbeiterbildungsverein auch schulen würden, um bessere Redner aus ihnen zu machen. »Rhe … Rhe …?« Er kam nicht darauf, wie der Fachbegriff dafür hieß.
Der Maler, offenbar ein Lehrer, ließ sich nicht davon abbringen, für sein Motiv zu schwärmen. »Das müssen Sie verstehen, mein Herr, das ist doch hier viel schöner als auf dem Montmartre mit seiner Kirche Sacré-Cœur.«
Gottfried Ruppin ging weiter, freute sich aber, dass die wackere Mutter Scholz mit ihrem Krückstock in einen frischen Haufen Hundekacke fuhr und ihn dem Kunstmaler vor die Nase hielt: »Kacke am Stock is ooch ’n Bukett. Det malen Se mal!«
Er wollte gerade in seine Haustür treten, als er Paula die Straße heraufkommen sah, einen Einkaufskorb in der Hand. Mit beiden Armen winkte er ihr zu. »Das ist ja eine Überraschung!«
Paula Plötzin stammte aus einer zwölfköpfigen Familie und war in einem Hinterhof im Wedding groß geworden. Jetzt hatte sie eine Anstellung bei einem Arzt, der seine Praxis und seine Wohnung in der Klosterstraße hatte. Sie wusste, dass sie hübsch war und durchaus Chancen hatte, den Herren aus den höheren Ständen den Kopf zu verdrehen, doch seit dem letzten Frühjahr war sie mit ihrem Gottfried verbandelt und hoffte, dass der es einmal zum Bauunternehmer bringen würde, fleißig und strebsam, wie er war.
Sie konnten nur ein paar Worte miteinander wechseln, denn Paula war auf dem Weg zu einem Kranken, um ihm die Medizin direkt nach Hause zu bringen. Das duldete keinen Aufschub. Ein kurzer Kuss nur, dann eilte sie weiter. An ihrem freien Abend wollten sie wieder einmal tanzen gehen.
Beschwingt sprang Gottfried Ruppin die Treppe hinauf, so dass sich die morschen Stufen unter seiner Last gefährlich bogen und krächzten. Er schloss seine Wohnungstür auf, zog sich bis auf die Unterhose aus und warf sich erst einmal auf sein Bett, seine Schweinebucht, das in einer Nische stand. Die Arbeit im Straßenbau war schwer, und er brauchte immer einige Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen. Schon nach einigen Atemzügen war er eingenickt, nur um wenige Minuten später wieder hochzufahren, denn draußen wurde an die Tür gebummert.
»Aufmachen, Polizei!«
Draußen standen zwei Kriminalschutzleute, die ihn sofort in die Mangel nahmen. Der Mann, der auf den Kaiser geschossen hatte, war schnell als der arbeitslose Schreiner Emil Max Hödel identifiziert worden – und in Hödels Notizkalender hatte sich auch der Name Gottfried Ruppins befunden.
»Sie geben zu, diesen Hödel zu kennen?«
»Ja. Wieso, was ist mit dem?«
»Erst einmal wollen wir von Ihnen wissen, was Sie mit Hödel zu tun haben.«
Gottfried Ruppin ahnte, dass Hödel etwas Verbrecherisches getan hatte, denn er galt als politischer Wirrkopf. Also war er entsprechend vorsichtig. »Ich habe mit Hödel nie direkt zu tun gehabt, sondern ihn nur hin und wieder mal gesehen … aus der Ferne.«
»Und wo war das?«
»Auf der Straße …« Gottfried Ruppin versuchte, ruhig zu bleiben.
»Nicht etwa in einem sozialdemokratischen Verein?«, kam die Frage mit einiger Schärfe zurück.
»Hödel war doch bei Ludolf Stoecker.« Gottfried Ruppin gab sich naiv und versuchte, die beiden Kriminalbeamten auf eine falsche Spur zu locken. Ludolf Stoecker war evangelischer Hof- und Domprediger und erklärter Feind der Sozialdemokratie. Seiner Meinung nach war die Lage der Industriearbeiter allein durch christliche Nächstenliebe zu verbessern, so dass man nicht der Sozialdemokratie auf den Leim gehen, sondern sich mit den religiös und monarchistisch ausgerichteten Parteien verbünden sollte.
»Lassen Sie den Unfug, Ruppin, Sie sind doch in denselben sozialdemokratischen Vereinen gesehen worden, in denen auch Hödel verkehrt hat, zuletzt bei der Versammlung mit diesem Bernstein.«
»Ich habe nie ein persönliches Wort mit Hödel gewechselt!«, betonte Gottfried Ruppin. »Was in Gottes Namen hat er denn Schreckliches getan?«
»Er hat auf Seine Majestät, unseren Kaiser Wilhelm I., geschossen«, verriet ihm der ältere der Kriminalschutzleute.
Gottfried Ruppin musste sich an seinem Bettpfosten festhalten. Sie würden Hödel hängen oder mit der Guillotine köpfen und seine Komplizen lebenslang einsperren. »Ich habe nichts damit zu tun!«, rief er.
»Nein, nein!«, höhnte der zweite Kriminalbeamte. »Und das hier?« Er zeigte zur Wand, an der drei Strophen der Freiheitshymne hingen, gesungen am Heldengrabe im Friedrichshain am 4. Juni 1848.
Georg Grasmuck und Germanus Cammer hatten im eleganten Restaurant »Vier Jahreszeiten« Versöhnung gefeiert und waren dann in einer von Grasmucks eigenen Droschken nach Rixdorf gefahren, wo er in der Richardstraße einen Pferdestall und ein Fuhrgeschäft besaß. Dort stand zurzeit ein Holsteiner Hengst, den ihm ein insolvent gegangener Gutsbesitzer aus dem Fläming in Zahlung gegeben hatte, und für dieses Pferd interessierte sich Cammer. Schon lange träumte er davon, an den Abenden und Wochenenden einfach aufzusteigen und durch den nahen Thiergarten zu reiten.
»Du weißt ja, dass ich vom Lande komme«, sagte er zu Grasmuck, während sie durch die Hasenheide fuhren und den Rollkrug schon in Blickweite hatten. Man duzte sich nun wieder. »Aus der Uckermark. Mein Vater war dort Gutsverwalter, und ich hab täglich auf einem unserer Pferde gesessen.«
»Und warum bist du dann nicht zu den Ulanen gegangen?«, fragte Grasmuck.
»Ja, warum eigentlich? Meine Liebe zur Technik ist wohl meine größte Leidenschaft. Darum die Artillerie. Das war bei mir genauso wie bei Werner Siemens.«
»Hör auf mit dem Namen Siemens!«, rief Grasmuck. »Wenn dessen elektrische Bahnen kommen, kann ich mich aufhängen.«
»Oh, Entschuldigung.« Cammer merkte, dass er sich auf gefährliches Terrain begeben hatte und die eben neu besiegelte Freundschaft schnell wieder in Feindschaft umschlagen konnte. Also bemühte er sich abzuwiegeln, auch wenn er sich dabei gehörig verstellen musste. »Keine Angst, Georg, das dauert ja alles noch seine Zeit. Und bis in Berlin die ersten elektrischen Bahnen rollen, bist du Großvater geworden und hast deine Schäfchen schon lange im Trockenen.«
Grasmuck schwieg. Für ihn ging die Welt unter, wenn das Pferd aus dem Straßenbild verschwand. Pferd und Mensch gehörten zusammen. Pferde waren Leben, von Gott gewollt, Dampflokomotiven und elektrische Bahnen aber waren Teufelszeug und brachten den Menschen nur Tod und Elend. Und genau dafür stand Germanus Cammer, er war ein Diener des Dämons Technik, und schon reute es Grasmuck, mit ihm Frieden geschlossen zu haben. Besser wäre es gewesen, er hätte ihn über den Haufen geschossen. Tat er es, verzögerte sich das Aufkommen elektrischer Bahnen womöglich um Jahre, denn so schnell konnte man bei Siemens & Halske einen Fachmann wie Cammer bestimmt nicht ersetzen. Nur fünf Jahre Aufschub – und Hunderte von Pferden konnten aufgezogen und eingesetzt werden. Aber immerhin wollte Cammer ja etwas von ihm kaufen – und noch dazu ein Pferd. Dennoch …
Während sie den СКАЧАТЬ